Seite:Die Gartenlaube (1879) 170.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

der bekannten komischen venetianischen Masken dargestellt. Der finstere, fanatische Herzog von Guise figurirt darin als Scaramuzzia, der Herzog von Anjou, der spätere ebenso weibische wie grausame Heinrich der Dritte als Harlekin, der Cardinal von Lothringen als Pantalon, Katharina von Medicis als Columbine, und der allerchristlichste König erscheint in der Maske des Brighella. Das Gewand des ausgelassensten Muthwillens an diesen Menschen, die mit Feuer, Gift und Dolch ihre unheilvollen Pläne verfolgten!

Wie die Masken von einer dichterischen Kunstübung ausgingen, so mündeten die Maskeraden wieder ebendahin: aus ihnen entwickelte sich die moderne Oper. Zuerst verband man mit den Maskeraden mythologische Darstellungen, Tänze, dann traten Personen auf, welche sprachen oder sangen, es wurden die Chöre eingeführt, kurz die ganze Oper ist in diesen Anfängen deutlich erkennbar. Noch im vorigen Jahrhundert trugen die Tänzer auf dem französischen Operntheater Masken, und es war gar nicht so selten, daß Leute aus der Gesellschaft und selbst Herren vom Hofe sich unter die Tänzer mischten und sich vom Publicum Beifall zuklatschen ließen. Selbst ein Helvetius hat sich in seiner Jugend dieses Vergnügen gar oft erlaubt.

Die Palais und die Straßenecken waren lange Zeit die einzigen Orte, wo sich die Maskeraden versammeln konnten. Was man heutzutage einen Maskenball nennt – diese Form öffentlichen Vergnügens datirt erst aus der Zeit des Regenten. Philipp von Orleans war bekanntlich, was das Amüsement anbelangt, nichts weniger als intolerant. Er fand gar kein Bedenken darin, dem Carnevalsscherz ein Local zu eröffnen, ihn gleichsam salonfähig zu machen, und die Oper in Paris erhielt von ihm die Erlaubniß, in ihren Räumen maskirte Bälle zu geben. Damit aber die Maske nicht zum Vorwand rohen Treibens mißbraucht würde, war der Eintrittspreis ein so hoher, daß nur Leute aus der besten Gesellschaft daran teilnehmen konnten. Die Folge davon war, daß die grotesken Farcen aufhörten. An Stelle der Charaktermaske trat der Domino. So grobkörnig auch früher die Carnevalsscherze gewesen waren, so hatten sie doch noch eine gewisse Summe naturwüchsiger Volkskomik repräsentirt. Das hörte nun ganz auf.

Von Frankreich aus haben sich die Maskenbälle über die ganze Erde verbreitet. Ihr Treiben beginnt mit dem Ende der zwölf heiligen Nächte und verstummt vor der ersten Mahnung des Aschermittwochs. Am üppigsten stehen sie noch immer in Italien im Flor, von wo her auch die typischen Figuren stammen, die noch heute alle Faschingsbälle der Welt bevölkern, die Columbinen, der Harlekin, Domino etc.. In Italien spielt auch die Scene unseres Bildes, das uns in das Garderobezimmer einer Carnevalmaskerade führt. Da kommt sie eben hereingetänzelt, die kokette Bürgers- oder Kaufmannstochter von Venedig – denn hier hat der Maler des Bildes seinen Wohnsitz –, den säumigen Liebhaber, welcher so unausstehlich langsam Toilette macht, in neckischer Weise zum Aufbruche mahnend. Ertönt doch schon längst die lockende Musik aus den maskenerfüllten Sälen. Nun nur noch ein Ruck – und der Amatore hat den Arm glücklich im Rock, und dann schreiten sie, ein stolzes Paar, durch das bunte Volk der Masken, von Saal zu Saal.

Es ist doch ein eigener Zauber, der Zauber der Maske! Wie kommt es, fragt sich der Einsichtige, der den Gang der Zeiten nach ihrem inneren Treiben beobachtet, wie kommt es, daß sich der Gebrauch der Masken, die doch nichts als eine Aeußerlichkeit sind, so lange durch die Jahrhunderte und durch die ernsten und trübsten Zeiten erhalten konnte? Die Antwort wird auf psychologischem Gebiete zu suchen sein: in dem Bestreben der Mehrzahl der Menschen – für etwas Anderes gehalten zu werden, als sie in der That sind!

H.




Irrende Sterne.
Novelle von Georg Horn.
(Fortsetzung.)
Nachdruck und Dramatisirung verboten.
Uebersetzungsrecht vorbehalten.


Doris hätte niederstürzen mögen, aber sie hielt sich aufrecht. Es kam jetzt – gegenüber der herben Begegnung, die sie in ihren Gedanken nicht verdient hatte – die Energie des verbissenen Schmerzes über sie. Mit festem, energischem Schritte nahm sie den Weg nach dem Zimmer, in welchem das Kind mit dem Mädchen schlief. Beide lagen im leisen Schlafe. Die Lampe war tief herabgeschraubt, und der grüne Schirm warf auf das Kind einen gedämpften Schein, der, wie es dem Reflex von Grün eigenthümlich, Liddy mit einem rosigen Schimmer verklärte. Doris nahm sich nicht die Zeit den Mantel abzunehmen. Sie beugte sich über das Bettchen und beobachtete die tiefen Athemzüge ihres Kindes.

Das blonde seidene Haar Liddy’s begann sich schon in Löckchen über der Stirn zu kräuseln; der zarte Mund war halb geöffnet und ließ zwei kleine Zähne sehen; das eine Händchen lag unter dem vollen Kinne – Liddy glich ihrem Vater in dem blonden Haar, in dem Schnitte der Nase und des Mundes, sogar in der Form der Nägel an den kleinen Händen. Doris glaubte in dem Kinde das Bild Erich’s zu sehen. Alles, was sie dem Gatten hatte vertrauen wollen, drängte über der Wiege mit erneuter Gewalt zum Aussprechen und sprengte die Bande, die sich um ihr Herz gelegt hatten. Erfaßt von einer Eingebung erhob sie sich, um das Zimmer zu verlassen. Allen Trotz, alles selbstsüchtige Gefühl von sich werfend, war sie auf dem Wege nach Erich, um sich rückhaltslos an sein Herz zu werfen und nicht eher wieder von ihm zu gehen, als bis er wieder seine liebewarmen Arme um sie geschlungen hätte.

Da hörte sie seine Thür gehen – seine Schritte nahmen die Richtung treppabwärts. Sie stürzte in den Salon, von dem aus sie nach der Straße sehen konnte. In Hut und Regenmantel ging er durch den Vorgarten, schloß diesen ab und verschwand auf der Straße. Sie war allein. Keine Frage, wohin er gegangen, keinerlei Verdacht stieg in ihr auf – nur die schmerzliche Empfindung überfiel sie plötzlich, daß sie ohne ihn war. Quälende Unruhe trieb sie zurück an das Bett des Kindes. Und was sie hier innerlich durchlebte, das waren Augenblicke der Selbstprüfung. Abgewandt allem Aeußern, zählte sie die Minuten nicht, die, zu Stunden werdend, über sie hinflogen – ihr innerer und äußerer Blick war auf das Kind gerichtet, das ihr Richter ward. War nicht die Schuld des Gedankens, deren sie sich Erich gegenüber zu zeihen hatte, durch eine andere und größere längst vorbereitet? Hatte sie ihren Mann geliebt, wie ein Weib denjenigen lieben soll, der ihr sein Leben gegeben hat, seine Ehre, sein Gut, seine Kraft, Herz und Gedanken – Alles, was ein Mann einem Weibe zu geben hat? War er ihr seit ihrer Verbindung das Erste und Höchste auf der Welt gewesen, hatte sie zu ihm fest im Herzen, stark im Gedanken gestanden, nur das suchend, was er wollte, mit zartem Verständniß ihn stützend, mit treuer Sorge ihn begleitend, nie an sich selbst denkend, ihren Willen, ihre Neigungen, ihre Launen seinem besseren Ermessen unterordnend, nichts für sich begehrend, Alles für ihn, nichts liebend, außer was er liebte, sich selbst wollend und sehend nur in ihm allein?

Das Kind bewegte das Händchen, als gäbe es eine Antwort. „Nein,“ schien es zu sagen, „so hast Du mich nicht geliebt!“ Aus Doris’ Augen stürzte ein Thränenstrom. Sie riß das Kind aus dem Schlafe und drückte es leidenschaftlich an ihre Brust, sodaß Liddy zu weinen anfing.

„Was ist denn geschehen, Doris?“

Es war Erich’s Stimme, die so fragte. Doris hätte vor Freuden aufjauchzen mögen, daß er wieder bei ihr war. Eine einzige Bewegung deutete ihm den Zustand ihrer Seele. Aber er wies auf das Kind.

„Laß’ es schlafen!“ sagte er kurz, fast herb.

Wie Frost wirkte diese Bemerkung auf Doris. Sie wandte sich nicht ihrem Manne zu, sondern bettete das Kind wieder auf sein Lager.

„Ich glaubte Dich schon längst zu Bett, Doris.“

„Ich konnte nicht schlafen, Erich. Es ist fast schon ein Uhr; Du warst fort, und ich ängstigte mich um Dich.“

„Ich fand ein Billet des Ministers vor, das mich zu ihm

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_170.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)