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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

von Gott und Rechtswegen gebühre. Weiter brachte der Beamte nichts aus dem Alten heraus.

Indem Rechting sich verabschiedete, fragte er nach Regina; die Thür unten sei verschlossen.

„Wenigstens zehnmal habe ich schon geklopft – mit gleichem Resultate, wie Sie, Herr von – Herr Staatsanwalt.“ Dann erzählte er, daß die Wirthin des Hauses, wie sie ihm gesagt, Regina zum letzten Male vorgestern Abend gesehen habe. Tief eingehüllt in ihren schwarzen Mantel, die Kapuze über das Gesicht gezogen, sei sie noch spät ausgegangen, wie das sonst ihre Gewohnheit nie gewesen. Fast unheimlich habe sie der Ton der Stimme berührt, mit der ihr Fräulein Regina „Gute Nacht“ gesagt habe.

Warbusch schloß mit der Aeußerung der Befürchtung, es möchte ihr etwas zugestoßen sein. Rechting schüttelte dagegen den Kopf. „Sie kennen doch unsere Freundin genugsam – sie hat ihre Eigenthümlichkeiten. Sie wird so unvermutet wieder eintreffen, wie sie gegangen, und ihre Aufklärung über die Abwesenheit wird eine sehr einfache sein.“

„Möchte es sein, wie Sie sagen, Herr von Rechting! Ich muß Ihnen beichten, daß ich eine namenlose Angst in mir trage. Das kommt davon, wenn sich ein so alter Esel, wie ich, an eine Person so attachirt, wie ich es mit Fräulein Regina getan habe. Wenn Sie wüßten, wie ich mich darüber oft ärgere! Glücklich ist nur der, der frei – und frei, wer sein Herz an kein menschliches Wesen hängt. Ich habe mich immer gefürchtet, mir einen Pudel anzuschaffen – und nun passirt mir das mit Fräulein Regina! Die Steuermarke wäre allerdings erspart – aber seit achtundvierzig Stunden ist Fräulein Regina weg!“

Beim Abschied rief Rechting dem alten Manne noch einmal den Zweck seines Kommens in’s Gedächtniß. Dann verabschiedete er sich. An Regina’s Thür horchte er wieder. Alles still.

„Sie werden sehen, Sie werden sehen,“ rief ihm Warbusch oben von der Treppe nach.

Dem alten Manne hatte die Anwesenheit Rechting’s eine achtbare Zurückhaltung auferlegt. Als dieser jedoch verschwunden war und er sich allein sah, fielen die Fesseln derselben. Seine innere Bewegung war so stark, daß sie ihren Ausdruck in einem lauten Selbstgespräch fand. „Den Proceß wird er selbst führen, der Herr Staatsanwalt! Welche Verstrickung der Dinge! Wird er es wirklich thun, auch wenn er sehen muß, daß seine eigene Frau – –? Die Bücher will er sehen – ja, ich muß sie ihm bringen lassen aber was der Herr Principal mir vor wenigen Tagen noch aufgetragen, es muß auch geschehen.“

Im Laufe des Tages ward Rechting auf amtlichem Wege das Ansuchen Lideman’s um eine Unterredung mit ihm mitgetheilt. Unter anderen Umständen hätte Erich dasselbe abgewiesen, so aber verlangte die Pflicht seines Amtes, daß der Staatsanwalt dieser Bitte genügte. Wie schwer wurde ihm dieser Weg nach dem Gefangenenhause! Wie eine trübe Ahnung lag es auf ihm. Aber Rechting war nicht der Mann, der einen gefaßten Entschluß aufgab – eine gegebene Zusage zurückzog. Die Begegnung sollte in dem Bureau stattfinden, welches der Staatsanwalt in dem Gebäude inne hatte.

Es war die erste schwere Stunde, welche der Vertreter des öffentlichen Rechtsbewußtseins mit seinem Herzen zu bestehen hatte. Der Mann, der nun vor ihm erscheinen sollte, war der Gegenstand seiner tiefsten sittlichen Empörung und des höchsten Grades von Abscheu geworden, den er gegen ein menschliches Wesen zu empfinden fähig war.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


Aus Bosnien. (Mit Abbildung S. 161.) In manchen Gegenden der Herzegowina und – wohin die „Gartenlaube“ ihre Leser bereits im vorigen Jahrgang (S. 678) geführt hat – Bosniens lebt der arme, gemeine Mann kaum besser als das Stallvieh unserer Bauern. Vier Wände aus rohen Holzbalken mit Lehmfachwerk ausgefüllt, gedeckt durch ein Dach von Stroh und Rasen, bilden die gemeinschaftliche Wohnung für Menschen und Vieh; sie sind Küche, Stall, Schlafstube und Fruchtboden zugleich. Entweder ist in der Mitte ein freier Herdplatz ohne Rauchfang, oder an der Seite ein solcher mit Kamin. Wohlhabendere Leute – ich rede hier übrigens nur von den Häusern christlicher Bewohner – haben ihr Haus, das unter Umständen auch mit Ziegeln oder in bergigen Gegenden mit platten Steinen gedeckt ist, in zwei Räume getheilt. Während der hintere Raum, das Staatszimmer, mehr für das weibliche Geschlecht bestimmt ist, dient der vordere mit dem Herdplatze zum gewöhnlichen Aufenthalt der Familie. Ueber dem Feuer hängt der große eiserne Kochkessel mit der ständigen Speise der Bosniaken, der Mamalika, die auf sehr primitive Art aus dem türkischen Weizen (Kukuruz) bereitet wird. Bei besonderen Gelegenheiten wird dieser Maisspeise noch Fleisch hinzugefügt, Schweinefleisch oder geröstete Hammelfüße; ein noch festlicheres Essen bildet der Pilaff, ein Reisbrei mit Hammel- oder Hühnerfleisch.

Abends sammelt sich die ganze Familie mit den etwa eingekehrten Nachtgästen um den Herd, die Männer ruhig und würdig den Tschibuk rauchend. Hat nicht vielleicht ein fremder Gast neue Nachrichten über Krieg, Politik oder ein anderes interessantes Thema mitgebracht, durch die er eine längere Unterhaltung anregt und belebt, so bereitet sich bald Einer nach dem Anderen das Nachtlager, das heißt er breitet ein Lammfell oder eine Decke als Unterbett in der Nähe des erwärmenden Feuers aus, hüllt sich in einen Teppich und träumt von Krieg und Vogelfang, von Mamalika und Steuern.

Der civilisirte Reisende, der in ein Dorf einkehrt, in dem sich keine Herberge oder Wirthschaft befindet, quartiert sich selbst oder durch Vermittelung der Dorfbehörde in eins der besseren Häuser ein. Ihm wird, wenn man bei ihm aus seinem Aeußeren auf viele paras (Geld) oder Geschenke schließen kann, die zweite, die Staatsstube, zum Nachtquartier eingeräumt. Für alle Bequemlichkeiten freilich, die er genießen will, muß er selbst sorgen.

In der Staatsstube steht ein großer Thonofen, der von dem Herdplatze im vorderen Raum aus geheizt wird. In der einen Wand befindet sich gewöhnlich ein mehr oder weniger kunstvoll aus Holz geschnitzter Wandschrank mit dem Hauspatron, dem Schutzheiligen der Familie (slava). Manchmal sieht man auch ein Bild der heiligen Jungfrau oder andere Heiligenbilder, meistens Geschenke durchreisender Fremden. Von der Decke herab hängen die besten Exemplare der letzten Maisernten, entweder durch ungewöhnliche Größe oder bunte Farbenzeichnung merkwürdig, auch Kränze und Sträuße aus Aehren, die dem heiligen Ivan, der das Haus vor bösen Wettern schützen soll, geweiht sind. Ein oder zwei Fenster, das heißt Löcher in der Wand, die mit geöltem Papier verklebt sind, erhellen nothdürftig das Zimmer.

Nicht so dürftig, wie die der Rajahs (Christen), sind die türkischen Wohnungen eingerichtet. Dieselben sind fast durchgängig zweistöckig und meist mit Ziegeln gedeckt; in den Stuben kann man aufrecht stehen. Das untere Stock ist nur zum Theil zu Ställen ausgebaut; der übrige Theil bildet einen freien Raum, der den Bewohnern und einkehrenden Fremden zum Unterstellen der Pferde dient. Zum oberen Stock, der auf der vorderen Seite einen veranda-ähnlichen Vorbau besitzt, führt eine äußere Treppe. In mohammedanischen Häusern befindet sich immer ein Harem oder Haremlik, eine für das schöne Geschlecht abgesonderte Stube, deren Fenster mit eisernen oder hölzernen Gittern versehen sind. An einer oder zwei Wänden entlang sind in den Zimmern Divans angebracht, auf die man sich aber im Vertrauen auf orientalische Weichlichkeit nicht zu heftig niederlassen darf. Es sind lange Bretterkasten mit ziemlich harten Heumatratzen und bunten dünnen Teppichen belegt.

Die erste Zeichnung, welche diese Nummer schmückt, eine werthvolle Arbeit Professor Zverina’s, der in den türkischen Donauprovinzen interessante Studien gesammelt hat, zeigt uns ein türkisches Wirthshaus, ein „Han“, in Bosnien, das von einer Abtheilung bosnischer und herzegowinischer Insurgenten besetzt ist.

Rechts ist das Hauptwohngebäude mit dem Haremlik; zu der Veranda führt eine primitive Treppe empor, und ein kleiner Vorbau schützt die Eingangsthür in den oberen Stock gegen Wind und Wetter. In der Mitte, durch den aus schweren Balken errichteten Fruchtboden etwas unserem Anblicke verdeckt, befindet sich das gewöhnliche Zimmer mit dem Herdplatze, das jedem Fremden zur Einkehr offen steht. An den Boden ist ein kleines mit Holzschnitzereien verziertes Minaret (eine Art Capelle) angebaut, sicher der Stolz und die Hauptzierde des Hauses. Im unteren Stock, unter der eigentlichen Familienwohnung, sind die Ställe angebracht. Aus der Dachfirst heraus hängt an einer Stange ein rundes Korbgeflecht, das zum Vogelfang benutzt wird (vergleiche Jahrgang 1874, Nr. 29). Die Holzpritsche vor dem Hause dient in geregelten friedlichen Zeiten einem Verkäufer zum Sitze und zur Niederlage seiner Waaren.

Die kleine Insurgentenschaar, welche einen Viehtransport mit sich führt, hält hier ihre Mittagsrast. Auf dem Djebenak vor dem Hause sitzt, durch einen ausgespannten Teppich gegen die Strahlen der Sonne geschützt, der Anführer der Bande und empfängt den Bericht einer Streifpatrouille. Es ist schwüles Wetter; die aufgestellten Posten halten sich mit Mühe wach, fest auf die lange Flinte gestemmt, damit sie nicht umfallen; die armen Posten auf dem Dache befinden sich in einer wenig beneidenswerten Lage, und der Herzegove, dem die Aufsicht über das Vieh anvertraut ist, möchte sich am liebsten zu den Schweinen legen, die er mit neidischen Blicken betrachtet. Die übrigen Leute schlafen, auf dem Rücken oder – was sie nach der Mahlzeit gern thun – auf dem Bauche liegend. Ein Faulpelz hat sich sogar unter der Pritsche mit dem Leibe in den kühlen Sand eingerammelt; vielleicht denkt er auch dadurch der Aufmerksamkeit des Feldherrn zu entgehen, der es von Zeit zu Zeit für seiner Würde angemessen hält, einen wenn auch unnöthigen Befehl zu geben, damit die Disciplin nicht gelockert wird.

Da meldet der Posten auf dem Dache, daß er auf dem Kamme eines nahen Berges eine Patrouille österreichischer Ulanen bemerkt. Die Schlafenden werden geweckt, die Teppiche und das Kaffeegeschirr des Commandanten wieder auf das Saumpferd gepackt, und Rinder und Schweine aus ihrer behaglichen Ruhe aufstörend, setzt sich die kleine Raubschaar in Bewegung, um an einem sichereren Platze das Nachtquartier aufzuschlagen.

– r.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_172.jpg&oldid=- (Version vom 24.9.2022)