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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

unzulässig, diese Thatsache für die Wanderzüge der Pest zu verallgemeinern oder gar ihr eine Verwandtschaft mit den „Sumpffiebern“ aufdrängen zu wollen. Auf Kreide und Trachyt, auf Kalkboden und Urgestein hat sie sich ausgebreitet, und die selten angeführten Fälle, in denen sie einen hohen Berg oder eine Hügelkette verschonte, lassen bei ihrer Vereinzelung alle anderen Erklärungen ebenso gut zu wie die, daß die Krankheit durch die Bodenhöhe abgehalten werde. Auffallend ist übrigens, daß mit völliger Uebereinstimmung aus den großen Pestjahren des vierzehnten Jahrhunderts unerhörte Naturerscheinungen, so 1337 und 1338 in China sechstägige und zehntägige Erdbeben, 1348 allgemeine Erderschütterungen durch ganz Europa, Orkane, Sturmfluthen, Ueberschwemmungen, berichtet werden, um so auffallender, als die gegenwärtige Epidemie mit den nämlichen Naturerscheinungen zusammentrifft. (Man könnte wirklich versucht sein, die Falb’sche Hochfluth-Theorie mit ihrer auch nach Pettenkofer seuchenbefördernden Grundwasserhebung zur Erklärung herbeizuholen; wenn die Theorie nur wissenschaftlich anerkannt wäre! D. Red.)

Man muß mit einigem Befremden eingestehen, daß für eine dem Anschein nach so streng begrenzte Krankheit das Ergebniß der geographischen und klimatischen Bedingungen ein dürftiges ist, und mit um so größerem Interesse wenden wir uns dem Menschen selbst und denjenigen menschlichen Verhältnissen zu, welche zur Erklärung der Pestentstehung herangezogen werden können. Kein Lebensalter wird verschont; in gleichem Maße sinken Männer und Frauen, Greise und Kinder dahin; vereinzelt wird angegeben, daß jenseits des fünfzigsten Lebensjahres die Erkrankungen seltener seien; daß junge Mädchen und hoffnungsvolle Mütter stärker ergriffen werden; daß ein melancholisches und phlegmatisches Temperament mehr disponire als ein sanguinisches und cholerisches. Auch hinsichtlich der Racen finden sich nur zerstreute Angaben: ein stärkeres Erkranken der Neger in Aegypten, ein Freibleiben der Engländer von der Himalayapest werden erwähnt. Viel dreister und bestimmter treten schon in alten Pestberichten Erklärungen auf, nach denen die Seuche am frühesten und stärksten in den niederen Volksclassen ihre Opfer suchte.

„Diese Haufen von Armseligen und Schlechtgenährten,“ sagt Covino, „die unter dem unbeschränkten Einflusse des feindlichsten der Gestirne, des Saturnus stehen, fallen dem Todesengel vor Allen zur Beute. Nächst ihnen erliegen Personen von mittlerer Körperstärke, die dem Monde und Mercur Untergebenen, während dagegen Vornehme, Heerführer und Richter, denen alle Bequemlichkeit und jeder Genuß des Lebens beschieden ist, selten ergriffen werden.“

Diese Beobachtung, die sich ähnlich ausgedrückt in den meisten Darstellungen wiederfindet, führt fast unmittelbar auf die Frage, ob man Elend, Hunger und Schmutz etwa auch für die Entstehung der Pest verantwortlich zu machen habe?

Zur Beantwortung dieser Frage verlohnt es sich wohl, einen prüfenden Blick auf das Stammland der Pest zu werfen. Wer, wie der Verfasser dieses Aufsatzes vor zwei Jahren, Aegypten bereist hat, wer aus eigener Anschauung jene zerfallenden Lehmhöhlen der ägyptischen Dörfer kennt, wer mit schaudernder Verwunderung die starrenden Schmutzkrusten auf dem Leibe und in den Kleidern der Bewohner betrachtete und – roch, wer die gänzliche Indolenz begreifen lernte, mit der die Aegypter sich von Krankheiten und


Das Urtheil des Paris.
Nach seinem Oelgemälde auf Holz gezeichnet von G. Süs.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_181.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)