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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


Irrende Sterne.
Novelle von Georg Horn.
(Fortsetzung.)
Nachdruck und Dramatisirung verboten.
Uebersetzungsrecht vorbehalten.


Als Lideman in das zur Zusammenkunft bestimmte Zimmer trat, war der Eindruck, den Rechting von ihm empfing, ein mitleiderweckender. Die lächelnde vornehme Ruhe, die der Bankpräsident sonst zu zeigen pflegte, war von ihm gewichen. Er suchte nach einem Wort – er konnte nicht sprechen. Rechting fragte nach seinen Wünschen.

„Wünsche? Ich habe nur einen – den Tod.“

Lideman war ein so trauriges Bild menschlicher Vernichtung, daß Rechting die Erinnerung an den Aufschrei – den Hülferuf seiner Frau in sich wachrufen mußte, um sich nicht von Mitleid bemeistern zu lassen.

„Ich möchte nichts sehnlicher wünschen, als das Ende aller Dinge,“ nahm Lideman wieder das Wort – „wenn Eines mir nicht noch höher stände – meine Rechtfertigung vor der Welt.“

„Ihre Rechtfertigung, Herr Präsident?“

„Präsident!“ wiederholte der Gefangene mit dem Ausdrucke herben Schmerzes. „Die Rolle ist aus – Lideman sans phrase! Wenn ich nicht wüßte, daß die Ironie Ihnen fremd – nein, Sie spotten nicht, Sie sind ein Mann, der stets Gefühl und Herz hatte. Vielleicht werden Sie meine Bitte unterstützen – mit dem Ansehen Ihrer Person –“

„Diese Bitte ist? Wenn ich Ihnen etwa Erleichterungen verschaffen kann, die sich mit den gesetzlichen Bestimmungen vertragen –“

„Meine vorläufige Freilassung gegen eine hohe Caution wünsche ich. Ich muß auf freiem Fuße sein, um meine Unschuld vor der Welt beweisen zu können. Jetzt, als ein armer gefangener Mann, bin ich ein Mensch, der ohne Arme ist. Ich werde mich nicht dem Bereiche der Gerechtigkeit entziehen. Mein gutes Gewissen kann allen Proceduren entgegensehen. Wenn eine Erinnerung an unsern freundschaftlichen Verkehr in Ihrem edlen Herzen zurückgeblieben ist, so bitte ich Sie, Ihren Einfluß –“

Auf eine heftig abweisende Geberde Rechting’s schwieg er, während er zugleich mit lauerndem Blicke den Ausdruck der Empfindung in den Mienen seines Gegenüber verfolgte.

„Ich kann Ihnen wenig Hoffnung machen, Herr Lideman.“

„Warum wenig Hoffnung, Herr von Rechting? Ihr Wort ist von großem Einfluß –“

„Warum? Weil – Ueberzeugung, Ehre und Pflicht es mir verbieten – weil ich es war, der die Beweise für Ihre Schuld ergründete, weil ich als Staatsanwalt die öffentliche Anklage gegen Sie zu erheben beordert bin und weil ich nach Pflicht und Recht Ihren Antrag nie unterstützen könnte.“

Lideman starrte den Staatsanwalt gläsern an, und seine Unterlippe bewegte sich wie im Fieber.

„Ich darf nichts thun,“ fuhr Rechting fort, „als was Ehre und Pflicht mir gebieten. Mit Ihrer Rechtfertigung dürfte es schlimm stehen. Ich erinnere Sie nur an einen Menschen, an den Diener des Generals W. – nun, Sie wissen ja: an Pechner, mit dem Sie sich in verräterische Verbindungen eingelassen haben. Sie haben ihn durch Geld bestochen, daß er Ihnen Schriftstücke aus dem Ressort des Generals am Abend auslieferte; die Nacht über ließen Sie dieselben copiren, sodaß sie des folgenden Tages wieder auf dem Tische des Chefs lagen, scheinbar unberührt. Ich weiß Alles. Dieser Mensch hat gegen Sie ausgesagt. Es war auch von weiteren Auslieferungen die Rede –“

Lideman setzte die Maske der Ueberraschung auf.

„Von Festungsplänen zum Beispiel, um Ihnen noch mehr zu sagen. Vielleicht hatten Sie betreffs Copirung derselben eine Persönlichkeit in’s Auge gefaßt, die Ihnen das besorgen sollte – Sie erinnern sich wohl noch einer Unterhaltung, die Sie in Ihrem Garten mit einem jungen Ingenieur hatten. Den Namen brauche ich Ihnen nicht zu sagen –“

„Lichtner!“ zischte der Angeklagte zwischen den gepreßten Lippen hervor. „Sie haben wohl gelauscht, Herr von Rechting?“

Der Staatsanwalt maß ihn mit stolzen Blicken.

„Verzeihen Sie, Herr von Rechting! Ich bin gereizt, weil ich unglücklich geworden bin. Ich wollte nur sagen, daß, wenn Lichtner gegen mich schwört, er einen Meineid schwört.“

„Sorgen Sie sich nicht – er wird nicht gegen Sie aufgerufen werden. Was ich Ihnen hier sagte, war eine rein private Bemerkung. Ich habe die Mittheilung von ihm selbst. Uebrigens habe ich noch ganz andre Dinge entdeckt. Ich war verreist, Herr Lideman, im Auslande –“

Lideman stieß einen Laut der Ueberraschung aus und starrte Rechting wie in plötzlich gewonnenem Verständniß an. Dann senkte er das Haupt. Er gab sich dem Anschein nach gefangen.

„Vor wenig Monaten noch,“ sagte er gedrückt, „war ich jeden Abend zu Ihnen zum Thee geladen – und nun laden Sie mich vor die Geschworenen. Diese werden mich verurteilen – wie Alle sicher sein können, verurtheilt zu werden, deren Verbrechen darin besteht, daß sie sich über den Unsinn der nationalen Grenzsperren hinwegsetzten. Hier bin ich gebrandmarkt – jenseits der Grenze werde ich vielleicht Ehrenbürger. Das sind so wechselnde Begriffe – je nach dem beschränkten nationalen Standpunkte. Ein praktischer Mann wird fragen: was hat er denn gethan? Er hat einen internationalen Austausch getrieben – ein Geschäft wie jedes andere. Sie werden mich verstehen. Es wird Ihnen auch Manches in milderem Lichte erscheinen, wenn ich Sie einen Blick in mein armes Herz thun lasse. Eine Leidenschaft hat mich ruinirt – eine Frau. Was soll ich Ihnen weiter sagen? Ein großes Vermögen zu gewinnen, ihr mit allen Lockungen desselben zu erscheinen – die alte Geschichte vom goldenen Regen der Danaë – auch vielleicht mit äußeren Auszeichnungen, die auf die Herzen der Frauen jeder Zeit ihre sichere Wirkungen üben. Hier haben Sie die Erklärung!“

War das der Name seiner Frau, der Erich aus diesen halb verschleierten Worten entgegen klang? Es überlief ihn heiß, daß er Mühe hatte, sich nicht zu Thätlichkeiten hinreißen zu lassen. Lideman nahm den Kampf Rechting’s für ein Aufwallen des Mitleids an.

„Nehmen Sie ein Stück Papier, Herr von Rechting, schreiben Sie ein paar Worte an den Untersuchungsrichter, etwa so: ‚Stellen Sie, verehrter Herr College, das Verfahren gegen den Bankpräsidenten ein! Ich habe eine andere Ansicht von den Verhältnissen bekommen.’ Fertig – todt die ganze Geschichte!“

„Ich habe Sie absichtlich nicht unterbrochen,“ sagte Erich mit tiefem Atemholen, „um eine Blick in das dunkle Gewirre Ihres Charakters, in Ihre tiefe Verkommenheit zu werfen. Wenn ich etwas innerlichst bereue, so ist es der Schritt, der uns gesellschaftlich zusammen geführt hat. Nichts mehr davon! Sie muthen mir, dem Manne, gegen dessen Glück und Ehre Sie den Todesstoß zu führen im Begriffe waren, eine Schurkerei zu! Und wenn Sie mir mit alle Banden des Blutes an’s Herz geknüpft wären – wenn ich Ihr Leben retten könnte – ich möchte kein solches retten.“

Er machte Miene zu gehen.

„So soll ich also vernichtet werden!“ rief Lideman.

„Sie werden Gerechtigkeit finden.“

Der Gefangene lachte höhnisch auf.

„Damit Sie nicht überrascht werden, möchte ich Sie auf Eins aufmerksam machen, Herr von Rechting.“

In den Blicken Lideman’s schimmerte etwas wie Bosheit.

„Die Geschäftsbücher, die vielleicht der Untersuchungsrichter an sich nehmen wird – es ist das immer so – das Cassabuch und das Hauptbuch – in diesen ist ein Posten gebucht – eine ziemlich beträchtliche Summe, welche –“ und hier nahm seine Rede ein langsameres Tempo an, „welche für ein Geschenk ausgegeben wurde, das Frau von Rechting, die Gattin des Herrn Staatsanwalts von Rechting, vom Bankpräsideten Lideman erhalten hatte – in allen Ehren – heißt das.“

Eine Pause. Lideman hatte die Wirkung seiner Worte richtig berechnet. Der Staatsanwalt hatte die Augen geschlossen – nur die tiefe Blässe seines Gesichts verriet, mit welcher Wucht der Schlag ihn getroffen.

„Gebucht,“ wiederholte Lideman, „– schwarz auf weiß – Cassabuch – Hauptbuch! Sehen Sie, Herr von Rechting, gewöhnlich trägt ein Geschäftsmann solche Privatausgaben nicht ein, aber bei einem größeren Posten – und ich weiß eigentlich selbst

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_186.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)