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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

ich den armen Hager todt daliegen. In seiner Brust steckte mein Messer, der Klaas, den ich vorher nicht gesehen hatte, knieete neben ihm, und als wären tausend Geschütze vor meinen Ohren abgebrannt worden, ertönte seine Stimme, indem er ausrief: ‚Peter Seiling, Du bist ein Mörder; Du hast den Hager erstochen.’“

Die letzten Worte sprach Seiling leise und schwer verständlich; dann schwieg er und starrte wie abwehrend vor sich hin.

„Ihr handeltet aus Nothwehr, Peter Seiling,“ nahm nach einer Pause Bertus das Wort, der bisher kaum zu athmen gewagt hatte, „Keiner an Eurer Stelle hätte es anders gemacht.“

Seiling richtete sich auf. Die glühende Stirn der kalten Brise preisgebend, sog er, wie um sich zu kräftigen, in tiefen Zügen die feuchte Seeluft ein.

„Ja, ich handelte aus Nothwehr,“ antwortete er gefaßt, „und dennoch wär’s besser gewesen, wenn die Kugel, die hart an meinem Kopf vorbeisauste, mich hingestreckt hätte. Denn ob aus Nothwehr, durch Zufall oder um einen Raub auszuführen: das vergossene Blut bleibt dasselbe. In den achtzehn Jahren, in welchen ich bei der Kordel gewissenhaft Vaterstelle vertrat, betrachtete ich sie kein einziges Mal ohne den Gedanken: ich habe deines Vaters Leben auf dem Gewissen; kein einziges Mal lachte sie mir zu, nicht den kleinsten Liebesdienst erwies sie mir nach Kinderart, ohne daß ich bei mir selber sprach: wenn sie’s wüßte! Ja, das waren schreckliche Jahre, und doch ist’s Spielerei gegen das, was ich seit des Klaas’ Eintreffen erduldete. Und dabei die Gewißheit, daß er selber den Zank zwischen mir und dem Hager schürte, um’s zum Zusammenstoß zu bringen und seinen Vortheil davon zu ziehen! Und wäre ich das Opfer des Streites geworden, so hätte er den Hager ebenso verfolgt, wie mich. Denn der Klaas ist eine so hinterlistige Natur, wie nur je eine ungestraft einen Mitmenschen in’s Elend stürzte, und zum Fluch ist er Allen geworden, die jemals mit ihm verkehrten, ohne daß es in deren Macht gelegen hätte, ihn abzuschütteln.“

„Ich kenne ihn,“ versetzte Bertus, als Seiling wiederum schwieg, „der Zufall führte mich mit ihm auf einem Schiffe zusammen. Er wurde verachtet –“

„So erzählte mir Kordel gestern Abend,“ nahm Seiling lebhaft das Wort, „gestern Abend, als sie – – doch mag das ruhen! Geschehenes ist nicht zu ändern. Meine Geschichte will ich zu Ende bringen, und was dann folgt – nun, ich denke, Ihr Beide sollt mir kein schlechtes Andenken nachtragen.“ Er seufzte und strich mit der Hand über seine feuchte Stirn. „Wie mir zu Muthe war, als ich den todten Hager vor mir liegen sah, was soll ich’s heut noch auffrischen? Erst Klaas brachte mich wieder zur Besinnung, indem er mir zuraunte, daß ich fort müsse, wenn ich nicht gehangen werden wolle. Das Wort hängen aber machte mich wild; denn es lag am Tage: wurde dieses Ereigniß unter den Minenarbeitern ruchbar, so gab’s keine Rettung für mich. Der Richter Lynch zaudert nicht lange, und wie hätte ich beweisen sollen, daß ich wirklich aus Nothwehr handelte? Keine Seele hätt’s mir geglaubt, und der Klaas wäre nicht der Mann gewesen, für mich zu zeugen, obwohl er Alles beobachtet haben mußte. Ueber dergleichen viel nachzudenken, hatte ich auch keinen Sinn. Den Hager begruben wir in selbiger Nacht heimlich. Am folgenden Morgen zahlte ich dem Klaas für sein Schweigen zweitausend Dollars aus; zugleich übertrug ich mein Anrecht an die gemeinschaftliche Waschstelle auf ihn, worauf ich mit dem Kinde, von welchem er nichts wissen wollte, nach Sacramento floh. Mein Gold und das des Hager nahm ich mit. Klaas wußte nicht, wie viel es im Ganzen war, und ich hütete mich, es ihm zu verrathen, denn er hätte sich schwerlich mit der empfangenen Summe zufrieden gegeben, wohl gar das Kind um des Geldes willen an sich genommen. Vielleicht calculirte er auch, daß, wenn die Sache vor’s Gericht kam, er mit leeren Händen ausgegangen wäre. Mein Versprechen, mit ihm in San Francisco zusammenzutreffen, hielt ich nicht. Ich fürchtete ihn zu sehr. Mein Kopf war ja allmählich klarer geworden, und als ich mir Alles genau überlegte, fand ich heraus, daß ohne sein Dazuthun das furchtbare Verhängniß schwerlich über den Hager und mich hereingebrochen wäre. Mein nächstes Ziel war Bremen, und als es dem Klaas nach langjährigem Forschen endlich gelang, mich aufzufinden, floh ich hierher. Doch auch hier sollte ich meine Tage nicht ruhig beschließen – und verdient hätt’ ich’s wohl um der Reue willen und weil ich das Kind von ganzer Seele liebte und mein eigenes Vermögen mit dem seines Vaters getreu für die Kordel verwaltete – nein, es war mir nicht vergönnt; sonst hätte das Unglück den Klaas nicht abermals auf meine Spuren geführt. Was seit seinem Eintreffen hier vorgegangen ist, weißt Du. Alles habe ich erduldet, sogar in seine Verheirathung mit dem Mädchen gewilligt. Ich mußte ihm gehorchen, um nicht öffentlich als Mörder hingestellt zu werden. Hätt’s nur meine eigene Person betroffen, so wäre mir nichts dran gelegen gewesen; wie bald ist’s vorbei mit mir, allein die Kordel, die Kordel! Unter die Erde hätte es sie gebracht, wäre ihr kund geworden, mit wem sie seit ihrer frühesten Kindheit lebte, wen sie so lange Vater nannte, und in ihrer Natur liegt’s, daß sie lieber zu Grunde geht, bevor sie eine Schande an ihrem Namen duldet.

All’ das soll jetzt sein Ende nehmen. Ich habe meinen Plan gemacht, und Du wirst mir helfen, ihn auszuführen. Wie Du mit der Kordel stehst, weiß ich; ebenso, daß sie bei Dir besser aufgehoben ist, als bei irgend einem andern Menschen. Ich habe daher heute im Geheimen eine Schrift aufgesetzt, in welcher ich in Eure Verheirathung willige, zugleich meine ganze Habe und die des – des verstorbenen Hager auf die Kordel übertrage. Kann der Kordel das Ende ihres Vaters verschwiegen bleiben, so ist’s gut, wenn nicht, so hast Du’s in Deiner Hand, ihr Alles, was ich Dir anvertraute, mitzutheilen. An ihrem rechtmäßigen Besitz wird dadurch nichts geändert. Hier ist’s,“ und er reichte Bertus ein zusammengeschnürtes Paket; „unter den Papieren wirst Du ein Bild finden. Ich hab’ es oft betrachtet, und so oft ich’s that, ergriff mich der ganze Schauder des fürchterlichen Augenblicks, der mich zum Mörder machte. Es ist das Bild ihres Vaters. Gieb’s ihr, Bertus, und sage, es sei ein guter Freund von mir! Mach’ mit Allem, was das Paket enthält, wie Du es für am besten befindest. Gelingt Dir’s, bei der Kordel einen freundlichen Gedanken an mich rege zu halten, so danke ich Dir’s noch in meinem Grabe.“

Er verstummte; das Haupt geneigt, schien er nachzusinnen, ob er in seinen Mittheilungen ausführlich genug gewesen. Bertus beobachtete die in nächtliche Schatten gehüllte Gestalt an seiner Seite mit unbeschreiblichen Empfindungen. Das Vernommene, welches zugleich eine neue freundliche Wandlung seiner vernichteten Hoffnungen in sich barg, hatte ihn bis in’s Mark hinein erschüttert. Minuten verrannen in drückendem Schweigen.

„Alles, Alles soll geschehen, wie Ihr es anordnet,“ sprach er, und seine Stimme klang zaghaft und doch überzeugend, „es soll mir sein wie ein Vermächtniß meines eigenen Vaters –“

„Das weiß ich,“ unterbrach Seiling ihn, und sich mit einer lebhaften Bewegung aufrichtend, drückte er des jungen Mannes Hand, „ja, ich weiß, daß Du ein ehrlicher Bursche bist, und darum schenke ich Dir mein ganzes Vertrauen Ich weiß aber auch, daß für die Kordel ohne Dich kein Glück auf Erden, und darum wünsche ich, daß Ihr Euch zusammengebt und in Eurem Glück alt mit einander werdet.“

Er lachte bitter vor sich hin, daß es Bertus erschreckte.

„Aber Ihr? – Ihr sprecht so seltsam,“ begann dieser zögernd.

„Ich?“ fragte Seiling unheimlich sorglos, „nun ja, ist man im Begriff von Jemand zu scheiden, den man über Alles liebt, dann mag Einem wohl seltsam um’s Herz sein. Und fort muß ich, bleiben kann ich nicht länger, soll ich nicht Zeuge sein, wie der Klaas noch im letzten Augenblick der Kordel das Leben vergiftet. Doch Du wirst Dich jetzt auf den Heimweg begeben; noch läßt’s der Wind zu; morgen weht’s freilich anders. Das Barometer ist gefallen, und was das bedeutet, ist Dir als Seemann nicht fremd. Morgen Abend komm’ in mein Haus, aber auf dem Landwege, Bertus, denn morgen um diese Zeit kocht’s hier vor uns, wie in einem Theekessel am Neujahrsabend, oder ich müßte mich nicht mehr auf’s Wetter verstehen. Findest Du die Kordel allein, dann grüße sie recht herzlich von mir! Sag’ ihr, ich wäre gegangen, um sie von dem schurkischen Klaas zu befreien. Ob ich jemals wiederkehrte, wüßte ich nicht. Und was sonst noch zu besprechen ist, kannst Du mit ihr abmachen, die Zeit Eurer Hochzeit und –“

„So wollt Ihr fort, bevor –“ hob Bertus an.

„Ueberlege Alles,“ fiel der Alte hastig ein, „und Du wirst begreifen, daß meines Bleibens hier nicht länger ist. Also kein Wort mehr davon. Thue, was ich Dich heiße, und laß’ mich handeln, wie’s mir gefällt! Ja, ich gehe, um nicht mehr zurückzukehren.

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