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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Von Paris begleitete Meyern den Herzog direct nach Wien. Noch voll von den Tuilerien-Bildern, wurde er von selbst zu Vergleichungen geführt, von denen die interessantesten die beiden Kaiserinnen betreffen. Wir dürfen uns aber von dem verlockenden Material nicht zu weiteren Ausführungen verleiten lassen, damit wir den Mann, den wir im Dienst des Hofs und der Diplomatie nun wohl genügend kennen gelernt, endlich auch als Dichter betrachten können.

Zum Theil eine Frucht der Frankfurter Erlebnisse ist seine erste Gedichtsammlung: „Monatsmärchen, Bilder und politische Gedichte“ (Leipzig, 1850), letztere besonders frischen, kernigen Inhalts. Noch vor der Pariser Reise war „Das Welfenlied“ (Berlin, 1854) vollendet, eine an poetischen Schönheiten reiche epische Verherrlichung der Helden des Welfenstammes von Welf Eticho bis zu dem Herzog Friedrich Wilhelm von Braunschweig, der bei Quatrebras auf dem Felde der Ehre fiel.

Meyern’s Poesie ist, so lange man in Deutschland nach einem Vaterlande rang, nicht von der Politik des Tages zu trennen; hat er doch oft versichert, daß er das Lesen der Zeitungen jeder andern Lectüre vorziehe. Unsere schlimmste Zeit begann, nachdem Oesterreich wieder im alten Bundespalast „seine Kukukseier in’s deutsche Nest legen konnte“, wie Meyern zürnte. Damals baute Jeder sich sein Zukunftsbild „des Reichs“, und Meyern that dies in einem politisch-dramatischen Stücke in vier Aufzügen: „Ein Kaiser“ (Gotha, 1857). – Blieb dieses Drama auf den Bücherbrettern liegen, so eroberte er mit seinem nächsten Stücke in einem wahren Siegessturm alle deutschen Bühnen. Schleswig-Holstein, von den Bundesgroßmächten schutzlos und gefesselt der Rache der Dänen preisgegeben, war das Schmerzenskind aller Patrioten, das Klagelied „Schleswig-Holstein stammverwandt“ war Nationallied geworden. Da brachte Meyern sein fünfactiges Schauspiel aus dänisch-deutscher Geschichte: „Heinrich von Schwerin“ auf die Bretter und erzielte einen unvergleichlichen Erfolg. In Hamburg neunzig Male bei immer vollem Hause aufgeführt, machte es die Runde in ganz Deutschland und hielt sich, bis das Land von der Dänenherrschaft befreit war. Die Kritik hob besonders hervor, daß nicht blos die Tendenz, sondern auch der dramatische Werth den großen Erfolg des Stückes rechtfertige. Dieser Vorzug verschaffte auch Meyern’s nächsten Stücken, dem Trauerspiel „Die Braut Conradin’s“ und dem historischen Schauspiel „Prinz Eugen“ Eingang auf den ersten deutschen Bühnen.

Offenbar waren es diese Erfolge, welche den Herzog veranlaßten, Meyern, der 1855 zum Cabinetsrath und vier Jahre später zum Geheimen Cabinetsrath ernannt worden war, am vierten April 1860 die Intendantur des Hoftheaters (von Coburg und Gotha) zu übergeben. Hier war er endlich in seinem Element und leistete mit verhältnißmäßig bescheidenen Mitteln das Beste, was je an dieser Bühne geleistet worden ist. Es ist dort noch unvergessen, wie er den vielen Schwierigkeiten, die ihm nach der Sachlage im Wege standen, mit Klugheit, aber auch mit großer Festigkeit zu begegnen wußte und sich die Verehrung und Anhänglichkeit seiner nicht immer leicht zu behandelnden Untergebenen durch Unparteilichkeit und, wenn nöthig, eifriges Vertheidigen ihrer Rechte in hohem Maße gewann. Besonders kam ihm für sein neues Amt eine geheime Errungenschaft zu statten: die Beherrschung seines alten Gebrechens, die ihn befähigt hatte, sein Talent im lesenden Vortrag zu wahrer Meisterschaft auszubilden. Ich finde unter meinem Material aus jener Zeit nur zwei Notizen, die auf Curen gegen das Stottern hinweisen: einmal ist von einer gut anschlagenden homöopathischen Behandlung die Rede, ein andermal wird ein Landgeistlicher bei Harzgerode genannt, der Meyern durch „Uebung im richtigen Athemholen und bestimmte Regeln beim Sprechen“ so weit von seinem Uebel erlöste, daß es seiner Selbstbeherrschung leicht war, den Rest zu bewältigen.

Meyern’s dramatische Schaffenslust wurde in dieser Zeit von der heiteren Muse geleitet. Es entstanden, rasch nach einander, die dreiactigen Lustspiele „Hol’s der Kukuk!“ und „Einer nach dem Andern“, die einactigen Scherze und Schwänke: „Wie man zu einem Lustspiel kommt“, „Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen“, „Die erste Schnepfe“, ferner: „Des Sängers Fluch“, Oper in drei Acten (Musik von A. Langert) und „Die Fabier“, dramatische Oper in vier Acten, nach Gustav Freytag.

Das Jahr 1866 riß ihn aus seinem Musentempel noch einmal auf die diplomatische Bahn. Kurz vor dem Ausbruch des deutschen Kriegs übernahm er einen Auftrag des Herzogs, eine Mission, über deren Verhandlungen, wenn sie auch mit zwei seitdem verstorbenen Staatsmännern stattfanden, wir leider schweigen müssen – leider: denn gerade sie sind ein sprechendes Zeugniß für seinen politischen Scharfblick, wie für seine immer schlagfertige Dialektik, namentlich dem unpraktischen Doctrinarismus gegenüber. War das ihm aufgetragene Bestreben, den Krieg vermeidlich zu machen, auch vergeblich, dennoch konnte er behaupten: „Eindruck hat es doch gemacht.“

In demselben Jahre wurde er zum Generalintendanten des Hoftheaters erhoben. Meyern’s dramatische Fruchtbarkeit wuchs. Sein fünfactiges Schauspiel „Die Cavaliere“, eine Episode aus Cromwell’s englischer Herrschaft, kam zuerst aus dem königlichen Hoftheater in Berlin, dann in Köln (Friedrich Haase als Cromwell), Königsberg etc. zur Aufführung. Denselben Erfolg hatte sein dreiactiges Lustspiel „Die gute alte Zeit“, in welchem der feine Kenner fürstlicher Höfe die Widerhaarigkeit eines kleinstaatlichen Hofs gegen den Eintritt in den Norddeutschen Bund schildert, ein Zeitgemälde, das seinen Werth behält, weil in ihm ein edler patriotischer Ernst den Faden des Stückes nicht aus der Hand läßt. Ihnen folgte das dreiactige Lustspiel „ Moderne Rivalen“, welches das Münchener Hoftheater zuerst aufführte, und diesem das fünfactige Schauspiel „Das Ehrenwort“. – Meyern hatte indeß (am ersten October 1868), aus Gesundheitsrücksichten, sich in den Ruhestand zurückgezogen, fortan vollkommen frei dem dichterischen Schaffen und seiner Häuslichkeit lebend, die ein prächtiger Kranz von Kindern schmückte. Und aus diesem Kranze fiel in jener Zeit Meyern’s liebste Blume. Sein jüngstes Kind, Gretchen, hatte sich seinem Herzen so tief eingeschmeichelt, daß der Tod des sechsjährigen Lieblings seinem Gemüthsleben eine tiefe Wunde schlug. Ein rührendes Zeugniß seiner Seelenstimmung ist ein mit dem Bildniß des todten Kindes geschmücktes Album, das die einfache Widmung an seine Gattin trägt: „Zu ihrem Gedächtniß meiner Clara. Februar 1869. Gustav.“ In ergreifenden Liedern weint er darin seinen und der Mutter Schmerz aus, nicht für die Welt – das Album ist ein stilles Familienheiligthum. Eine Reise nach Holland sollte ihn zerstreuen; aber erst, als ihm wieder ein Töchterchen geboren war, gewann er die alte Lebensfreudigkeit zurück; er übertrug nun alle Liebe zum verlorenen auf dieses jüngste. Das war Clärchen.

Die großen Tage der Jahre und 1870 und 1871 packten und erhoben ihn, wie jeden Patrioten. Oeffentliche Zeugnisse dafür sind seine Gedichte in der „Gartenlaube“ (1870, Nr. 33 und 35) und sein Bändchen „Zeitgedichte“ in Franz Lipperheide’s Sammlung: „Für Straßburgs Kinder! Eine Weihnachtsbescheerung von Deutschlands Dichtern“ (Berlin, 1870). Eine Auswahl seiner lyrischen Dichtungen erschien (Leipzig, Günther, 1872) unter dem Titel „Altes und Neues“. Aus diesem Buche tritt uns der ganze Gustav von Meyern, der gute Mensch und wahre Mann mit seinem innersten geistigen und gemüthlichen Leben entgegen, die fünf Abteilungen der Sammlung: „Philosophisches“, „Episches“, „Politisches“, „Satirisches“ und „Vermischtes“, bieten einen Gedankenreichthum, eine Fülle warmen Empfindens und zeugen von einer Tüchtigkeit des inneren Menschen, daß man Buch und Dichter zugleich lieb gewinnen muß.

Wiederum der Gegenwart, den Nachwehen des großen Krieges im neuen „Reichslande“, entnommen ist sein dreiactiges Drama: „Ein Kind des Elsaß“, das zum ersten Male, im Verein mit meinem Festspiel: „Drei Kämpfer“, zur Feier des 2. September 1874 im Stadttheater zu Leipzig mit großem Erfolge über die Bühne ging. Eine bedeutende Arbeit ist: „Das Haus der Posa. Historisches Schauspiel in fünf Aufzügen“ (Leipzig, J. J. Weber, 1874). Meyern stellte sich die Frage: Ist der Marquis von Posa Schiller’s eine historische Person? Geschichtsforschung und historische Wahrscheinlichkeitsrechnung leiteten ihn auf eine Spur, die er als poetische Wahrheit dramatisch ausbeutete. Die Familie Roxas hatte das Marquisat von Posa erhalten und war unter Ferdinand dem Zweiten der Inquisition zum Opfer gefallen, theils vernichtet, theils verbannt worden. Rodrigo ist der gerettete Erbe des Namens. Daher einer der Verbannten das Schauspiel mit den Versen schließt:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_195.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)