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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


„Der Roxas stolzes Haus, es sank dahin;
Nichts blieb von ihm als eine letzte Hoffnung:
Rodrigo, Gott mit Dir! Sei Du bestimmt,
Den Namen Posa durch die Welt zu tragen!“

Wir haben hier also eine Art Vorspiel zu Schiller’s „Don Carlos“, aber doch ein vollkommen selbstständiges Stück, das auf der Bühne großartige Wirkung erzielte. In Prag hatte die Polizeidirection die Aufführung des Schauspiels 1873 verboten, weil in demselben zum Oefteren betont sei: „Man könne ein ganz guter Katholik sein, ohne die göttliche Mission der Inquisition anzuerkennen.“ (!!) Ein Jahr später wurde das Verbot zurückgenommen, doch mußten mehrere Stellen, in denen das Crucifix vorkam, wegbleiben.

Im August 1874 verlebte ich in Coburg zum letzten Male mit Meyern frohe Stunden im Kreise seiner reizenden Familie; im Herbste siedelte er nach Constanz über, wo er sich in herrlicher Lage am See eine Villa baute, die, wie er mir schrieb, General Werder einweihete. Hier gewann auch sein poetisches Schaffen neuen Schwung. Zunächst erschien von ihm „Ein Märchen aus unseren Tagen“ (Constanz, 1875), eine allegorische Verherrlichung der „Königin Zeit“. Diesem folgten, abermals ein Werk ernster Studien, „Die Malteser. Geschichtliches Schauspiel in fünf Aufzügen“, wieder zuerst und diesmal ohne polizeiliche Bedenken auf dem deutschen Landestheater in Prag mit großem Erfolge aufgeführt. – Die Nähe des Elsaß erzeugte seine „ Ballade vom Elsaß“ (Stuttgart, Cotta, 1876). Seine patriotische Absicht dabei hat am besten der Herzog von Coburg erkannt, der „seinem alten Freund“ schrieb: „Ich habe Ihr Buch mit aufrichtigem Interesse gelesen, mich namentlich darüber gefreut, wie Sie den anziehenden Stoff in so einfacher und volksthümlicher Form zum praktischen Ausdrucke gebracht haben – und wünsche von Herzen, daß es durch die Macht treuherziger Dichtung im neuen Reichsland Propaganda für das Reich mache.“

Ein kleines Lustspiel „Die Gänseleber-Pastete“ entsprang derselben Quelle. Eines der gelungensten dramatischen Feste, bei dessen Aufführung Kaiser Wilhelm und Großherzog Friedrich von Baden selbst unbewußt mitspielte, war das „Kaiserfestspiel auf Mainau“ am Abend des 14. Juli 1876, über welches die „Gartenlaube“ (Nr. 33) ausführlich berichtet hat. Neben einem vieractigen romantischen Schauspiel „Teuerdank“ entstand dann das romantische Zeitbild „Teuerdank’s Brautfahrt“, mit dessen Schicksal wir dieses Lebensbild begonnen haben.

Wenn Gustav von Meyern im Volke und in der Literatur weniger genannt und bekannt war, als viele Andere, die weder an Bedeutung ihrer Person noch ihrer Leistungen ihm gleich standen, so trägt die Schuld zum Theil er selbst oder vielmehr seine Selbstlosigkeit und Anspruchslosigkeit, die als eine seiner hervorragendsten Charaktereigenthümlichkeiten wir halb preisen, halb aber beklagen müssen. Wie viele, besonders von unseren jüngeren Autoren, hätten es über sich vermocht, die ihm so vielfach gebotene Gelegenheit des Einblicks in die höchsten Fürstenhöfe Europas, des näheren Umgangs mit den einflußreichsten Männer und Frauen nicht in Zeitungsberichten, Erinnerungen, Essays und dergleichen zu ihrer persönlichen Glorification auszubeuten? Meyern war nie zu dergleichen Mittheilungen zu bewegen, wie oft ich auch selbst ihn darum bat. Ebenso wenig benutzte er seine Stellung als Hoftheater-Intendant zur Beeinflussung seiner Collegen zu Gunsten seiner eigenen dramatischen Arbeiten. „Meine Anspruchslosigkeit,“ schrieb er mir einmal, „ist zu einer Art Lebensweisheit ausgebildet, und ihr unterwerfe ich auch das, was ich schreibe. Ist es vom Stapel gelaufen, betrachte ich es, wie ein Vogel sein flügges Junge. Das Nest zu bauen und das Ausbrüten und Nähren hat mir Vergnügen gemacht, war eine Befriedigung des Naturbedürfnisses. Ist das Junge aus dem Nest, so füttere ich es noch eine Zeitlang, indem ich ihm einen Verleger suche, bei dem es sich künftig selbst sein Futter verschafft, und dann – sage ich mich los. Alles Uebrige würde auf Eitelkeit, Ehrgeiz oder Gelderwerb hinauslaufen, drei Dinge, denen, wo nicht etwa das dritte ein zwingendes ist, Lebenserfahrung und etwas Stoicismus entsagen lehrt.“ Solche Grundsätze vertragen sich mit keinerlei Cliquen- und Reclamenwesen. Aber um so höher achten wir den Mann und waren dem Dichter es schuldig, ein möglichst vollständiges Bild wenigstens seines geistigen Schaffens zu geben.

Wir schließen mit einem tragischen Nachspiel. Meyern war, wie wir wissen, kein Gesellschaftsmensch, sondern suchte seine Erholung und seine schönsten Freuden im Kreise der Seinen. „Er war ein Hohepriester seiner Familie und pflegte den Altar des Hauses mit wahrhaft geweihter, reiner Hand“. Das sind Worte seiner Gattin. Das reizendste Verhältniß hatte sich mit Gretchen’s Nachfolgerin in seinem Herzen, mit Clärchen, angesponnen. Das achtjährige Töchterchen war „der Sonnenstrahl des Vaters“. Kind und Vater waren unzertrennlich und verstanden sich mit den Augen. Clärchen besaß ausgezeichnete Begabung für Musik und machte unter der Mutter Leitung, noch mehr aber durch eigenen Eifer große Fortschritte; wie andere Mädchen zur Puppe eilen, so eilte sie zum Flügel. In Meyern’s letzter Krankheit war sie die unversiechliche Quelle seiner Heiterkeit. Denn diese hielt er fest mit aller Kraft. Noch seinen letzten Brief an mich, vom 24. Februar, in welchem er seine gezwungene Unthätigkeit beklagt, die Arbeiten aufzählt, die nunmehr fertig sein könnten und auf deren Vollendung er sich freut, und eben deshalb auf die Genesung und den Frühling „wie das Kind auf Weihnachten“ – selbst da schließt er: „Seien Sie mit den Ihrigen gegrüßt vom Lazarus, sonst aber, wenn er auch keinerlei Emotion vertragen kann, immer noch gutgelaunten Freund G. v. M.“ – In dieser Zeit spielte einmal Clärchen dem Papa Mendelssohn’s Melodie zu „Wer hat dich, du schöner Wald“ vor. Tief bewegt äußerte Meyern: „Dieses Lied müßte ein Abschiedslied, ein Lied am Grabe werden.“ Einen Tag nach seinem Tode fand man den Entwurf des Liedes, noch im Brouillon, in seinem Schreibtisch – „es war der Schwanengesang für Vater und Kind geworden“ (vergl. „Gartenlaube“ 1878, Seite 289). Vier Wochen nach des Vaters Tode lag auch Clärchen auf der Bahre. In der Familie ging das Wort. „Papa hat sie gerufen; da mußte sie ja folgen.“




Die Weltpost.


   „Dringt ihre Sprache
Doch wunderbar zu allen Menschen – –
Von Land zu Land und durch der Wogen Grollen
Selbst der Entfernteste vernimmt sie noch;
Er hört sie nicht – und er versteht sie doch.“

Mit diesen Worten feiert die griechische Dichterin Sappho das Himmelsgeschenk der Schrift und die Boten unseres Geistes, die Briefe, nach Stephan’s poesievollem Vergleiche „jene Schiffe auf dem Ocean der Entfernungen“, welche den neidischen Raum überbrücken und den Gedanken bis zu den letzten Ausläufern des Erdballs tragen. Was wären wir ohne diese Möglichkeit, mit weit entfernten Menschen uns unterhalten zu können! Was wäre die Menschheit ohne jene Einrichtung der Post, welche, einem unendlich verzweigten Netze von Nervensträngen gleich, die Lebenswärme, den Blutumlauf des geistigen und seelischen Fluidums über den ganzen Weltkörper verbreitet! Sie fürchtet nicht den dörrenden Hauch der Wüste, nicht die eisigen Gletscher der Cordilleren; sie überbrückt die grollenden Wogen; sie schlingt ein unzerreißbares Band um die Welttheile, das selbst der völkervernichtende Krieg nicht zu zerstören vermag. Eine so wunderbare und gewaltige Kraft sehen wir täglich vor unseren Augen wirken, in der Fülle der Erscheinungen, die den modernen Menschen umgiebt, achten wir aber nur wenig ihrer; und erst dann, wenn ihr Einfluß einmal durch zufällige Störungen beeinträchtigt oder außer Wirksamkeit gesetzt ist, erinnern wir uns der Vorzüge einer Einrichtung, die uns täglich geistige und materielle Wohlthaten in Hülle und Fülle zuführt.

Die mächtige Vervollkommnung unserer heutigen Verkehrsmittel, unter denen die Post wegen ihrer Ausbreitung in die weitesten Kreise wie in die engsten Canäle des menschlichen Culturlebens die wichtigste ist, bildet ein anziehendes Capitel der Geschichte; ihre Entwickelung ist zum Theil so neuen Datums, daß

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_196.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)