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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

wir uns nicht wundern dürfen, wenn sie noch nicht überall bekannt genug ist, um immer die gebührende Würdigung zu finden.

Noch vor wenigen Jahrzehnten war das Postwesen in seiner engherzigen, meist nur auf finanziellen Ertrag gerichteten Verfassung mehr eine Schranke, als ein Bindemittel zwischen den Völkern. Wo eine neue Landesgrenze, ein neuer Schlagbaum auftauchte, begann die Herrschaft eines neuen Tarifs, der mit den Taxen des Nachbarlandes an Höhe wetteiferte. Die Finanzweisheit der Postverwaltungen hatte eine wahre Mosaik von Brieftaxen ausgeklügelt. Es gab Tarife für gute und für schlechte Wege, Tarife zu Lande und zu Wasser, für Posten, die am Morgen, und für Posten, welche am Abend gingen, nicht minder für die ehemaligen Schnellposten; ja Tarife für die gute Jahreszeit und für den Winter: ein Wirrwarr, der – wie Stephan treffend sagt – selbst zur Macht geworden war. Dabei suchte man auf jede mögliche Art vom Briefschreiben abzuschrecken und bediente sich dazu des Mittels, für jedes Transitgebiet besondere Durchgangsbriefzölle zu erheben; häufig führte man die Briefe deshalb auf zahlreichen Umwegen spazieren, wie es heutzutage die löblichen Eisenbahnen Deutschlands mit den Frachtstücken machen. Für kleinere Orte gab es zudem noch ein besonderes Binnenporto, weil nur die großen Postanstalten im Besitze directer Tarife sich befanden und der Bezug des Portos vom nächsten größeren Orte bis zu dem kleineren sich als eine neue ergiebige Einnahmequelle erwies.

Ob man durch solche Maßregeln den Handel und Wandel unterband, sowie den Austausch der Gedanken und Empfindungen erschwerte – war den Postverwaltungen gleichgültig. So erklärt es sich denn, daß ein einfacher Brief von Memel nach Aachen noch im Jahre 1825 nicht weniger als achtzehn Groschen kostete, und wehe ihm, wenn er schwerer war, als gewöhnlich! Noch viel abschreckender sind die Beispiele von der Höhe des Portos für Briefe zwischen entfernteren Ländern. Als während des griechischen Befreiungskrieges ein kleines Paket mit Zeitungen aus Missolunghi in Griechenland nach London kam, mußte der Empfänger, dessen Söhne dort auf Seiten der Civilisation und Freiheit gegen die Barbarei kämpften, siebenundsiebenzig Pfund Sterling Seeporto für jene Zeitungsblätter zahlen. Selbst auf die gute Stimmung, welche die Annehmlichkeit, einen Brief zu empfangen, bei den Menschen gewöhnlich hervorruft, hatten die Postverwaltungen früher Taxsysteme gebaut; denn wenn zwischen verschiedenen Staaten ein Postvertrag zur Regelung der Postbeziehungen und Portotaxen nicht abgeschlossen war, erhob das Postamt am Bestimmungsorte einfach noch einmal Porto für den bereits theilweise frankirten Brief, wohl in der Annahme, der Empfänger werde dasselbe sehr gern zahlen, da er doch „einen Brief erhielt“. Goethe hat in den „Geschwistern“ einen solchen Fall, wie er gewiß damals ganz gang und gäbe war, als Zeichen des einstigen Taxwirrwarrs verewigt, indem er Wilhelm beim Empfange eines beschwerten Briefes „franco halb“ zum Briefträger, der Porto forderte, sagen läßt. „Gut, sehr gut! Notir’ Er mir’s zum Uebrigen!“

Allerdings war diese Art der Portoerhebung die einfachste und auch für die Postbeamten die angenehmste; denn sie brauchten in solchem Falle ihr Gedächtniß mit dem trostlosen Inhalte jenes Wustes von Postverträgen nicht zu beschweren, die zu Hunderten abgeschlossen wurden, um die gegenseitigen Beziehungen und den Portoantheil der einzelnen Postverwaltungen zu ordnen und festzusetzen. In allen diese Postverträgen herrschte der Geist der Fiscalität, der Uebervortheilung, des Kampfes Aller gegen Alle vor. Es war noch ärger als im Alterthum; denn in Hellas und Rom, wo es allerdings an Posteinrichtungen für das Publicum gänzlich fehlte, bezahlte man doch nur die wirkliche Leistung der Boten (gewöhnlich Sclaven), die den Briefverkehr besorgten, und hatte alsdann jedenfalls den Vortheil einer größeren Sicherheit der Uebermittelung. Im Mittelalter und bis in die jüngsten Jahrzehnte hinein aber war die Post überall eine melkende Kuh, welche dem Staate Erkleckliches einbringen sollte.

Der gewaltige Aufschwung, welche die Eisenbahnen und Dampfschiffe im Verkehrswesen der Neuzeit hervorzauberten, blieb naturgemäß auch auf die postalischen Beziehungen der Völker nicht ohne Einfluß. Die Portotaxen im Innern wurden nach dem Vorgange Englands allmählich mehr und mehr ermäßigt; die bloße finanzielle Ausbeutung der Post hörte auf als ein unumstößlicher Grundsatz der Staatswirthschaft zu gelten; das Wehen der neuen Zeit fegte mit frischem kräftigem Hauche auch die alten verrotteten und pedantischen Tarife hinweg; man erkannte endlich, daß die Post als ein wichtiges Culturelement, als ein Hebel der Volkswohlfahrt betrachtet und in freisinnigem Geiste eingerichtet und verwaltet werden müsse. Namentlich die preußische Postverwaltung ging für ihr Gebiet auf dieser Bahn der Entwickelung voran; letzteres galt schon in den vierziger und fünfziger Jahren als das relativ bestverwaltete Postwesen Deutschlands, welches namentlich hinsichtlich der Fahrpost, die z. B. auch jetzt noch in England, Frankreich und Italien nicht als Staatsverwaltungszweig betrachtet wird, die Leistungen anderer Postverwaltungen überragte. Allein auch die preußische Post ließ für den internationalen Verkehr die alten Posttarife im Wesentlichen bestehen; es bedurfte noch langer Zeit und zahlloser Anstrengungen erleuchteter Geister, um eine gesunde Entwickelung auf dem Gebiete der internationalen Postbeziehungen anzubahnen.

In Deutschland war die erste wichtige Etappe auf dem Wege freisinniger Postpolitik die Gründung des deutsch-österreichischen Postvereins (1850), welcher wenigstens für die Briefpost ein einheitliches Postgebiet aus der Mosaik der damals bestehenden siebenzehn deutsche Postverwaltungen herstellte, die postalische Grenzen für Briefsendungen aufhob und dem deutsch-österreichischen Verkehre in ähnlicher Weise unschätzbare Dienste leistete, wie der deutsche Zollverein auf dem Handelsgebiete. Leider ließen die Ohnmacht Deutschlands und die Vielköpfigkeit seiner Territorialpostverwaltungen es nicht zu, daß ein gleicher Erfolg auch auf internationalem Gebiete erreicht wurde.

Als auf Nordamerikas Anregung im Jahre 1863 zu Paris eine internationale Postconferenz zur Regelung der postalischen Beziehungen größerer Völkergruppen zusammengetreten war, schien die Morgenröthe einer neuen Entwickelung auf diesem für die Cultur so wichtigen Gebiete zu winken. Der geographische Begriff „Deutschland“ – ein Gespött der übrigen Nationen – vermochte indessen keinen Krystallisationspunkt für freisinnige Regelung des Verkehrs zu bilden, weil ihm die politische Macht fehlte; so kam es, daß die Conferenz nur einen theoretischen Meinungsaustausch, aber keine praktische Ergebnisse lieferte.

Offenbar war Deutschland bei seiner Lage im Herzen Europas am meisten geeignet, zur Lösung der Weltpostfrage beizutragen. Hierzu aber bedurfte es zuvor seiner politischen Wiedergeburt; es mußte im Rathe der Völker erst wieder eine Stimme erlangt haben, welche seiner geistige Höhe, wie seiner Geschichte und seiner Machtverhältnisse würdig war. Die denkwürdigen Ereignisse von 1866 bahnten den Weg dazu; die glorreiche Zeit von 1870 bis 1871 ließ endlich den Traum so vieler Edlen in Erfüllung gehen, und noch Begründung des neuen Deutschen Reiches erstand auch die neue Reichspost, nicht als ein Epigone der einstigen Feudalreichspost des Fürsten von Thurn und Taxis, sondern als eine Reichseinrichtung, deren Ziele einzig auf die Hebung und Erleichterung des Verkehrs, die Wohlfahrt des deutschen Volkes gerichtet waren. Erst in dieser achtunggebietenden politische Stellung vermochte Deutschland die Lösung der Postfrage in die Hand zu nehmen. Zum Glück besaß es den rechten Mann dazu, den Generalpostmeister Heinrich Stephan, der schon in früheren Jahren als Geheimer Rath unablässig für die Reform der internationalen Postverkehrsbeziehungen gewirkt hatte und gleich nach dem Antritt seiner Stellung als Chef der Reichspost (Mai 1870) mit einem durchgreifenden, die ganze Erde umfassenden Plane zur Umgestaltung der internationalen Posteinrichtungen hervortrat.

Der weitblickende Geist dieses genialen Mannes hatte erkannt, daß die verschiedenartigen Formen, unter denen das Postwesen in den einzelnen Staaten verwaltet wurde, bei ihrer Ungleichmäßigkeit nicht geeignet waren, die großen Culturaufgaben der Post, die in der Freiheit des Gedankenaustausches und in der Annäherung der Völker gipfeln, wirksam zu fördern. Diese Mission kann nur dann erfüllt werden, wenn alle Kräfte, die das Verkehrsleben der Völker zu vermitteln und zu unterhalten bestimmt sind, gleichförmig dem einen großen Ziele, der uneingeschränkten Förderung der Cultur, sich dienstbar machen.

„Volle Freiheit der Verkehrsbewegung in dem ganzen von civilisirten Nationen bewohnten Raume der Erde, Beseitigung der postalischen Grenzen und der Transitportogebühren, schnellste Beförderung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 197. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_197.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)