Seite:Die Gartenlaube (1879) 202.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

besondere Naturen, und unter diesen Jagdaufsehern befinden sich, nebenbei bemerkt, durchaus nicht lauter junge Männer, sondern sogar sehr gereifte Bursche, die aber womöglich noch zäher sind, als die jungen, die nach ihrem Ausspruche „nichts mehr vertragen können“. Wenn sich solch ein Mohikaner aber an einem freien Tage im Wirthshause ansiedelt, dann sitzt er so fest wie ein Dachs, und wollte man ihn vor der Zeit heraus bringen, so müßte man ihn, wie diesen, wahrhaftig ausräuchern.

Die Jachenau wird von Touristen häufig, von eigentlichen Sommerfrischlern aber wenig besucht, weil, wie schon erwähnt, die directe Verbindung mangelt. Von Lenggries führt aber nach Jachenau ein sehr hübscher Weg, zugleich bequeme Fahrstraße, und lediglich die beinahe vierstündige Dauer desselben schreckt viele Ausflügler ab, bis in das reizende Thal ihre Wanderungen auszudehnen. Lenggries selbst ist mit dem Markte Tölz durch einen regelmäßigen Postverkehr verbunden, und Tölz ist die Endstation einer Zweigbahn von Holzkirchen und daher auch ein sehr beliebter Ausflugspunkt für die Münchener und Diejenigen, welche München zum Hauptquartiere erkoren haben. So ist es selbst für nicht geübte Fußgänger ein Leichtes, die Jachenau ohne besondere Beschwerde zu erreichen, und wer in der kommenden Reisesaison einige Tage so recht unberührt von den Wogen des alltäglichen Getriebes, die sich heutzutage sogar bis auf Bergeshöhen und in die wildesten Schluchten hinwälzen, verbringen will, stoße dort getrost seinen Wanderstab in die Erde und beginne frohen Muthes und nach Herzenslust „Natur zu kneipen“!

B. Rauchenegger.




Irrende Sterne.
Novelle von Georg Horn.
(Schluß.)
Nachdruck und Dramatisirung verboten.
Uebersetzungsrecht vorbehalten.


Der alte Warbusch ging. Erich war wieder allein.

Von Regina’s Privatverhältnissen hatte weder er noch seine Frau etwas Sicheres erfahren. Die Freundin hatte sich nie darüber geäußert. Sie wußten nur, daß sie von den Erträgnissen des Unterrichts lebte, den sie in verschiedenen Lehranstalten gab; daß sie bedürfnißlos wie ein Einsiedler in der Wüste war und niemals etwas von ihnen angenommen hatte – das war Alles. Erich war nicht so sehr über ihr Handeln erstaunt, als über die Summe, welche Regina zu ihren Disposition gehabt. Ihm wäre es schwer geworden, dieselbe in dem gegebenen Momente zu beschaffen, und der Augenblick war hier das Entscheidende gewesen. Da er Regina’s Freundschaft immer wie eine Art Kameradschaft des Lebens mit gegenseitiger Verpflichtung zur That empfunden, war er durch ihr rettendes Eingreifen selbst innerlich nicht bedrückt; er empfing nur das, was er in gleichem Falle auch gegeben haben würde. Und doch war bei der großmüthigen Handlung etwas, was ihm peinlich war. Regina hatte einen Einblick in Beziehungen seiner Frau zu Lideman gewonnen, die ihm keine Scrupel mehr machten, weil er an Doris glaubte, die aber in Regina die Achtung mindern konnten, welche sie seiner Frau schuldete. Der arglose Mann ahnte nicht, daß Regina seit lange schon mit dem Auge der Leidenschaft Doris und Lideman schärfer beobachtet hatte, als er.

Ueber all dieses half ihm das Verlangen hinweg, das er nach seiner Frau empfand. So wie sich ein Geräusch vom Vorgärtchen her vernehmen ließ, trat er an’s Fenster, um zu sehen, ob sie es wäre. Endlich kam Doris. Er eilte ihr bis an die Treppe entgegen. Seine Freude, sie zu sehen, zog sich indeß in sein Inneres zurück, als er bemerkte, daß sie auf ihren Mienen den Ausdruck gedrückter Stimmung ihm entgegenbrachte.

„Du warst lange weg, liebe Doris.“

„Ja; ich komme von Wandelt’s, und die Geheimräthin hat mich länger zurückgehalten, als es mir lieb war. Ich möchte etwas mit Dir sprechen – es betrifft Else.“

„Bei Wandelt’s – fuhr sie im Zimmer fort, während sie Hut und Handschuhe ablegte, – „herrscht eine gedrückte Stimmung; heute wurde dem Geheimrath angedeutet, daß er sein Entlassungsgesuch einreichen möge. Seine Nerven wären der Arbeitslast nicht mehr gewachsen. Das noch zu dem Scheitern aller ihrer Hoffnungen in Bezug auf den Präsidenten! Else ist allein guter Dinge. Sie hatte, wie sie mir gestand, schon länger im Sinn, Dich zum Vertrauten zu machen. Eines Abends – Du weißt es ja – als Du sie nach Hause geleitetest vor Deiner Abreise, und dann bei dem Gartenfeste, wo sie nahe daran war, Dir Alles zu enthüllen und Dich um Vermittelung bei ihren Eltern zu bitten, um Deine Fürsprache – auch da kam es nicht dazu. Nun zog sie mich in das Geheimniß. Sie liebt den jungen Lichtner – Du kennst ihn, glaube ich –“

„O ja – den jungen Lichtner – ich kenne ihn – sehr – den netten Violinspieler –“

„Von Stunde zu Stunde machte Else bei der Mutter Anläufe, um ihr Herz von einer Last zu entladen, aber niemals wollte es gelingen – da solltest Du der Beistand sein. Ja, Erich, sei es! Wenn man zwei Menschen durch ein Wort glücklich machen kann, so hat man doch noch den Widerschein dessen, was man so voll nicht besessen – und nicht gewährt hat.“

„Doris!“

„Geh’! Thue es mir zu Liebe!“ rief sie ihm im Gehen noch von der Thürschwelle zu.

Erich ging um sich anzukleiden – wie hätte er der Bitte seiner Frau widerstehen können! Nichts wäre ihm jetzt für sie zu thun unmöglich gewesen. Bevor er ging, wollte er ihr noch Adieu sagen. Er horchte an ihrer Thür. Er hörte Doris gehen und öffnete das Zimmer – alles Blut wich ihm aus dem Gesichte. An ihrer Brust leuchtete eine jener weißen Blumen, die Lideman mit dem Schmucke abgeschickt hatte; in einem Glase auf dem Tische standen im Wasser noch mehrere. Sein Blick war immer nur auf die Blumen gerichtet; es war ihm, als ob giftige Düfte ihnen entströmten.

„Siehe da, die herrliche Magnolien!“

„Nicht wahr, seltene Exemplare, und sie machen auch Dir Freude?“

„Freude! Jawohl! Natürlich – Freude!“

Er stieß diese Worte mit einem gellenden Lachlaute heraus. Doris sah ihn befremdet an.

„Und wer hat sie Dir denn geschenkt?“ fragte Erich.

„Else hat sie mir mitgegeben.“

„Ich dachte – der Präsident habe sie Dir geschickt.“

Scharf, wie ein Stoßvogel sein Wild, behielt er bei dieser scheinbar unbefangenen Rede seine Frau im Auge. Diese senkte die Augen, und ihr Blick schien mit ihren Gedanken nach innen zu gehen. Das war das Zeichen der Schuld –! Seine Selbstbeherrschung hatte ihre Grenze gefunden.

„Jawohl – ein solcher Ehrenmann wie er giebt nichts umsonst. Doris – ich hätte Deine Ehre mit meinem Leben bezahlt, und Du – Du bist damit so billig.“

„O, vergieb, Erich, daß ich Dir nicht schon früher ein Geständniß machte, eine Beichte, die mir schon längst das Herz bedrückte! Keine Empfindung meines Herzens soll Dir verborgen bleiben. Es giebt für ein Weib eine Schuld des Gefühls; sie braucht einem fremden Manne nicht eine Fingerspitze gereicht zu haben, und doch kann sie ihr Herz dem eigenen abgewandt haben. Ich bin jung; ich bin lebensfroh. Du warst in dem Abwenden meines Sinnes von der Welt oft herb – streng. In dem Präsidenten nahte sich mir ein Mund, der mir schmeichelte, von Mitleid sprach. Hier im Herzen regte sich Groll, erwachten Wünsche. Ich wollte sie unterdrücken. Alles, was ich bisher empfunden und geglaubt, für recht und wahr gehalten, gebilligt und bestritten, gehört und gesehen – das bestimmte und drängte mich, sie abzuweisen, zu ersticken. Aber dann war mein Auge nicht mehr das meinige. Ein neues brach in mir auf – ich sah neue Verhältnisse, neue Gestalten, neue Farben. Alles Vergangene löste sich. Ein Fremdes, Niegekanntes drang auf mich ein – mein Herz, bisher so widerstandskräftig, schlug in schwächeren Pulsen; ein Gefühl der Ohnmacht kam über mich. Ja, ja – nun sollst Du es wissen – mein Herz schwankte – es kam ein Augenblick

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_202.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)