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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

über mich, wo ich den Mann, den ich meine, schön, liebenswerth fand. Es war an jenem Abendfeste. Da kamst Du, und Deine Erscheinung war meine Rettung, Erich! Ich weiß nicht, ob ich Dich vorher wahrhaftig geliebt hatte, aber von jenem Abende an wußte ich, daß ich Dich lieben mußte, wie nichts mehr auf der Welt – wie selbst mein Kind nicht, und treuer und fester hänge ich an Deinem Herzen. Wenn ich Deine Stimme nicht höre, Deinen Puls, Deinen Hauch nicht fühle, verliere ich mich selbst. Erich, Erich, laß mich nicht von Dir! Sei wieder mein einzig geliebter Mann!“

Rechting sah ein ganz neues Wesen vor sich, ein Wesen mit einem Herzen, das ursprünglich empfand. Es berührte ihn der Athem eines Lebens, dessen geheimnißvolles Dasein und dessen tiefe Strömung ihm unter der stillen Oberfläche bisher entgangen war. Ihr Antlitz glühte; in dem bebenden Tone ihrer Stimme, in der ganzen Spannung ihres Wesens lag jene Verklärung der Leidenschaft, der so leicht keines Mannes Herz widerstehen kann. Voll überwallenden Gefühls riß Erich seine Frau an sein Herz und verdeckte ihren kleinen Kopf mit seinen bebenden Händen.

Würde jetzt Lideman mit der schwärzesten Anklage gegen Doris hervorgetreten sein – Erich würde ihm mit einem: Lüge und tausendmal Lüge! geantwortet haben. Hier aus den thränenfeuchten Blicken seines Weibes, aus dem rührenden Herzenston ihrer Stimme traf ihn der Lichtstrahl der Wahrheit und überzeugte ihn mächtiger und unmittelbarer, als alle materiellen Beweise es hätten thun können. Im Glauben an sein Weib fühlte er sich stärker und seliger denn je.




12.

Mit der Geheimräthin war eine merkwürdige Veränderung vorgegangen. Das jüngste Ereigniß hatte sie förmlich gebrochen. Sie plapperte nicht mehr; sie war still geworden und sprach davon, daß sie von nun an fleißiger zur Kirche gehen würde. Etwas Besonderes schien ihr auf dem Herzen zu lasten, was ihr den Sinn erweichte, in Momenten sogar verwirrte. Vom Präsidenten durfte ihr Niemand sprechen. Eines Morgens brachte der Geheimrath den bekannten, blauen, rothgesiegelten Brief nach Hause, der ihm in kurzen Worten anzeigte, wie sehr man seine langjährigen Dienste anerkenne, in Rücksicht deren man ihm den wohlverdienten Ruhestand gewähre.

Der Verabschiedete war still, und das blaue Papier in seinen Händen mit einer wehmütigen Verlegenheit bewegend, richtete er die Blicke angstvoll auf seine Ehehälfte. Aber es kam kein Sturm von dieser Seite, wie er gefürchtet hatte. Constanze wurde sogar wieder einmal zärtlich, streichelte ihm die eingefallenen Wangen und mahnte ihn, daß er sich die Sache nicht allzu sehr zu Herzen nehmen möge. Die Leute von der neuen diplomatischen Aera wüßten die Traditionen der alten guten Schule, in welcher sie Beide aufgewachsen seien, nicht mehr zu schätzen. Undank sei stets der Lohn der Welt gewesen, und daher sei es am gerathensten, sich aus dem modernen Blocksbergtreiben in sein besseres Bewußtsein zurückzuziehen. Die königliche Bibliothek sei jeden Tag von neun bis drei Uhr geöffnet, mit Ausnahme der Sonnabende, wo um zwölf Uhr geschlossen würde; im Winter sei da gut geheizt, im Sommer sei es kühl; und für den Club habe er bisher die Jahresbeiträge fast umsonst bezahlt, nun könne er davon profitiren, um am Abend seine Partie Whist zu machen; es seien lauter ausgediente Excellenzen und der Point würde um einen Viertelpfennig gespielt.

Der Geheimrat starrte seine Frau an, als verstände er sie nicht mehr. Eine Weile ging diese unruhig und gedankenverloren auf und ab. Endlich faßte sie einen Entschluß. Sie machte Toilette.

„Herr von Rechting kann hier allein rathen,“ sagte sie. „Wenn ich bei der Verhandlung als Zeugin aufgerufen würde, drei Finger in die Höhe heben müßte – Gebühren liquidiren – mein Name in der Zeitung – entsetzlich! Zu Rechting’s!“ rief sie Else zu, als diese sie fragte, wohin sie gehen wollte. Vorerst gab es aber noch eine Abhaltung: Herr Warbusch ließ sich melden.

Die Geheimräthin hatte von seiner Existenz kaum eine Ahnung. Früher würde sie ihn haben abweisen lassen, nun aber betrachtete sie andere Menschen fast wie ihresgleichen.

„Ich bin Buchhalter der Bank, deren Präsident zu sein Herr Lideman die Ehre hatte,“ begann Warbusch.

„Ich bitte, mein Herr, keine Injurien! Dieser Name ist für uns todt.“

„Die gnädige Frau,“ fuhr Warbusch fort, „werden von einem Korbe mit Blumen und Früchten wissen, auf dessen Grunde ein kleines blausammetenes Portefeuille mit Schmuckgegenständen sich befand.“

„Ja, ja,“ stimmte die Geheimräthin bei, nicht ohne daß eine gewisse Verlegenheit durch fliegende Röte auf ihrem Gesicht bemerkbar wurde. „Es war ein Angebinde des Präsidenten.“

„Doch nicht, gnädigste Frau –“

„Wie sagen Sie?“ rief Frau Constanze. Ein Gefühl der Ohnmacht überkam sie, so daß sie nach einem Sessel sich umsehen mußte. „Aber der Bediente brachte mir doch den Korb in’s Haus,“ stotterte sie, „am Abend, kurz bevor wir zum Feste fahren wollten?“

„Ja wohl, es war der Diener des Präsidenten. Er sollte Ihnen eine Bestellung vom Herrn Präsidenten machen. Als er bei Ihnen klingelte, öffneten Sie ihm und schnitten ihm jedes Wort mit dem freudigen Ausrufe ab: ‚Ach, ein Geschenk vom Herrn Präsidenten! Das ist zu lieb und freundlich von ihm!’ – Der arme Mensch war, wie er aussagte, so perplex darüber, daß er zuließ, wie Sie ihm den Korb abnahmen und ihm die Thür vor der Nase zumachten.“

Das Schweigen der Geheimräthin bekräftigte die Thatsache.

„Aber für wen war denn der Korb?“ stöhnte sie.

„Für wen? Das weiß ich nicht, geht auch mich nichts an. Ich komme, um das Angebinde wieder zu holen; der Werth gehört zur Masse. Die Magnolien können Sie behalten.“

Im Nu war Else’s Mutter verschwunden; im Nu erschien sie wieder – mit dem Etui in der Hand.

„Hier, hier, haben Sie es. Sie nehmen mir eine große Last vom Herzen. Ich hatte die Nachtruhe nicht mehr, und eben wollte ich zu Herrn von Rechting.“

Derselbe erschien eine Stunde darauf selbst.

Es begegnete der Geheimräthin, wie so vielen Menschen, die lange geheimnißvolle Pläne stricken und bei dem ersten Riß, den dieselben erleiden, das schadhaft gewordene Netz vor dem Ersten Besten, der ihnen vor’s Auge tritt, ausbreiten. Frau Constanze kam Rechting gleich mit der Erzählung ihres ganzen Jammers entgegen; die ganze Familie sei durch den Präsidenten compromittirt. Wer hätte so etwas von dem Manne gedacht! So recht getraut habe sie ihm eigentlich nie. Sie berichtete ihm die Intrigue mit dem Blumenkorb, mit dem Diener; sie beschrieb ihm auch die Schlange, die in Gestalt eines blausammetenen Schmucketuis auf dem Boden gelauert habe.

Erich hütete sich wohl den rauschenden Redestrom zu unterbrechen. Er hatte nicht wieder an das verhängnißvolle Geschenk gedacht, und was er hier aus dem Munde der Geheimräthin vernahm, war nur eine Bekräftigung dessen, was er in seinem Herzen schon wußte.

Wie die Dinge jetzt lagen, wurde es Rechting nicht schwer, sich seines Auftrages zu entledigen und einen Erfolg zu erzielen. Die Geheimräthin sah wohl selbst ein, daß unter diesen Umständen die Verlobung Else’s eine Notwendigkeit sei.

„Kennen Sie die Familie?“ fragte sie Rechting.

„Gold – gnädige Frau!“

„Also viel Vermögen?“

„Das meinte ich weniger als ihren Ruf, Moralität, obwohl auch das Vermögen des Färbereibesitzers Lichtner ein immenses ist –“

„Färber? Der Mann hat doch keine blauen Hände? Der junge Lichtner hat ganz tadellose Hände, mit denen er die Violine spielt, aber die Großväter wiederholen sich in den Enkeln Gott, wenn man an diesen etwas von den blauen Nägeln des Metiers bemerkte – –!“

Die Geheimräthin wurde sentimental. Sie hob das thränenschwere Auge zu dem Bilde auf, welches über ihr hing. Es stellte ihren Vater, den Gesandten der siebenundzwanzigsten Großmacht dar, in Uniform, mit dem großen Bande über dem vollen Embonpoint.

„Was wird der dort oben dazu sagen?“ seufzte sie.

„Daß Sie ein Verbrechen an zwei Herzen begehen würden, wenn Sie ,Nein’ sagten.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_203.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2020)