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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

gehalten hat, weiß nur der da droben! Denn eine Woche später sagt sie: ‚Vater – hier kann ich nicht bleiben, ich würde sterben vor Scham. Im Burggraben hauset auf der Lasseralm meine beste Freundin, die Sternbauervroni; zu der will ich geh’n und meine Stunde erwarten.'

Und ist fort gegangen, aber bis zur Lasseralm ist sie nicht gekommen. Wir haben sie drei Tage später zerschmettert gefunden, tief unten im Burggraben. Ob sie sich selbst hinabgestürzt hat, ob sie am schmalen, steilen Steg durch einen falschen Tritt ausgeglitten – wer weiß es? Sie ward begraben mit den Ehren einer Jungfrau, und nur drei sind bei ihrer Gruft gestanden, welche gewußt, daß ihr diese Ehre nimmer gebührt. Das war ich und mein Weib und unser Franzl. Der war zum Begräbniß der Afra herüber gekommen aus Vöcklabruck, wo er Lehrling gewesen bei einem Büchsenmacher, und war eben zum Gesellen gesprochen worden. Ich hatte ihn dorthin gegeben, weil er so klug und anstellig war, und zudem ein so feines, schwaches Bürschlein, daß er zum Holzknecht oder Flößer nimmer getaugt hätte. Er und die Afra haben sich aber mehr lieb gehabt, als ich könnte sagen, und sind immer so treu und gut zu einander gewesen, wie selbst unter Geschwistern selten zu finden. Darum hat es mich nicht gewundert, als der Franzl so furchtbar verstört war bei dem Begräbnisse – todtblaß war er und ist dagestanden wie versteint in Schmerz; dann hat er von uns Abschied genommen, noch am selbigen Tage: er müsse zurück zum Meister nach Vöcklabruck; es wär’ große Arbeit da. Ich hab’ ihn darin bestärkt und gesagt: ‚Arbeite und bete für die arme Seele; ich will es auch so halten, denn nur so läßt sich solcher Schmerz ertragen.’ Eine Woche, nachdem er fort ist, begegnet mir der Postmeister:

‚Bin gestern ist Vöcklabruck gewesen,’ sagt er, ‚und der Meister Büchsenmacher läßt Euch fragen, wo denn der Franzl bleibt?’

Ich bin zu Tod erschrocken bei dieser Post, und mein erster Gedanke war: ‚Er ist dem Jäger nachgegangen, Rache zu nehmen.’ Und also war es. Der Franzl hat den Jäger erlauert und niedergeschossen und sich dann selbst zu Zell dem Gericht gestellt, und einen Monat später haben sie ihn zu Salzburg zum Tode verurtheilt. Der Kaiser aber hat ihn begnadigt – zu zwölf Jahren Zuchthaus, weit er seiner Schwester Verderben an dem Verderber gerächt. Sehet – das war das Vierte.“

„Und das Letzte!“ rief ich erleichtert.

Mir hatte sich, während er sprach, eine schwere Last auf die Brust gewälzt. Selbst die leidenschaftlichste Klage, selbst Jammer und Thränen hätten mich unmöglich so tief erschüttern können, wie seine sanfte, ruhige Art. Er erzählte, als ob er Fremdes, Fernes berichtete und nicht das furchtbare Unglück seines eigenen Lebens. Und gerade dieses machte mir die Erzählung doppelt entsetzlich.

„Das Letzte?“ wiederholte der Greis. „Nein, das war’s noch nicht. Nach zwölf Jahren ist der Franzl wieder gekommen, aber wie im Antlitz kein Zug mehr war von meinem liebsten Buben, so auch nimmer im Herzen. Das Zuchthaus hat ihn verderbt bis in die Knochen; er war faul an der Seele und morsch am Körper. Hat aber noch zwei Jahre gelebt, lang’ genug, seine Mutter unter die Erde zu bringen und mein Häuslein so mit Schulden zu belasten, daß ich es verkaufen mußt’. Und so ist mir auch das Schlimmste nicht erspart geblieben, ja das Schlimmste, was ein Herz auf Erden tragen kann, der Gedanke: ‚Es wäre besser, wenn Dein Kind todt wär’, statt die Erde zu verunreinigen.’ Dieses war das Letzte. Mein Erblinden rechne ich nicht – es war mir kaum noch ein Wehe. Und jetzt ist mir wohl, denn ich habe nur mehr mein eigen Leben zu verlieren, und wenn mir dieses genommen wird, gewinne ich die ewige Seligkeit. Und Gott ist barmherzig; er hat es immer gut mit mir gemeint und wird darum einsehen, daß ich jetzt bald abberufen werden muß.“

Das ist, was ich von den Ansichten und Geschicken des Hiob von Unterach zu berichten hatte. Aber es liegt mir auf der Seele, noch Eines zu sagen, ehe ich schließe. Ich habe dies erzählt, um die Antwort zu suchen auf eine ewige Frage. Daß die Antwort, welche der arme Ebenhiesel giebt, eine uralte ist, bekümmert mich wenig; er hat sie auf’s Neue gefunden und unter schwererem Druck als die meisten Menschen, und darum schien es mir der Mühe nicht unwerth, daß man es höre. Aber man könnte glauben, daß ich seine Antwort für die einzig mögliche, einzig richtige halte. Und dem ist nicht so. Es ist eine Antwort für Millionen, aber nicht für Alle. Eine solche ist nicht gefunden, wird nie gefunden werden können. Uralt ist die Frage, uralt die Mühe nach Antwort, und Beides wird währen, so lange Menschen leben. Und so wollen auch wir fortfahren, zu suchen, ernst und duldsam. Vielleicht ist jener der Glücklichste, der die Antwort, welche jener alte, beklagenswerte Mann gefunden, als die seine anerkennen kann. Wer es nicht kann, der sänftige sein Herz und stimme mit mir ein in das edel-schöne Wort des Dichters:

„– – Er diente dem Gott, der ihm der wahre geschienen –
Sag’, was kann ein Sterblicher mehr? Draus mag es auch mir nun,
Da zu anderem Glauben das Herz mich drängte, vergönnt sein,
Meinen Göttern getreu hinfort mein Wesen zu treiben,
Wie ich muß und vermag!“




Die Pest.
III. Anschauungen über die Beschaffenheit des Krankheitskeims – Seine Lebensbedingungen und seine Vernichtung.


Keiner anderen Krankheit gegenüber hat sich im Geiste der Ungebildeten wie der Gelehrten so früh die Vorstellung eines Krankheitsstoffes befestigt, wie angesichts der Pest. In den ersten Epidemien schon richtete sich der Blick zunächst auf den Boden selbst als auf die Quelle eines Miasma. Wir erwähnten im vorigen Artikel der besonders betonten Berichte der Schriftsteller des vierzehnten Jahrhunderts über Erdbeben, Bergstürze etc.; – aber man wollte auch beobachtet haben, wie z. B. in Istrien die Erde sich spaltete und Blut und Wasser entströmen ließ, wie weiße giftige Dünste dem Boden entstiegen, die Athmungsorgane beklemmten und in bestimmten Richtungen als dicke Wolken weiter zogen. Später – aber noch während der Herrschaft des „schwarzen Todes“ – ging die Idee einer giftigen, todbringenden Bodenausdünstung in die der Brunnenvergiftung über. Nicht aber wurde daran gedacht, daß die Menschen selbst es sind, welche absichtslos durch ihre Auswurfstoffe sowohl den Boden, wie mittelbar die Brunnen und Wasserläufe verunreinigen; man dachte nur an ein wohlpräparirtes Gift, welches fremde Bosheit in die Brunnen geschüttet habe.

In ganz Europa ging die Sage, daß die Juden, von Toledo her, durch Sendlinge und Briefe von geheimen Oberen zu jener verbrecherischen Unthat aufgestachelt wären. Man wollte Briefe gefunden haben, verfaßt zur Zeit der Kreuzigung Christi und von den Juden zu Jerusalem an ihre Glaubensbrüder, z. B. in Ulm, gerichtet, deren Inhalt den Rachedurst des Pöbels wohl zu entflammen vermochte. Die gräuelhaften Folgen dieses Wahnes sind zu bekannt, als daß wir sie hier ausmalen möchten; zu Straßburg wurden 900 Juden verbrannt (von 1884, die überhaupt dort lebten); in Mainz gaben sich die zahlreichen Juden der Stadt in ihren Häusern freiwillig den Feuertod. Ebenso fanden in Augsburg, Ulm, Constanz, Hall, München, Salzburg, Erfurt, Eisenach massenhafte Judenverbrennungen wegen der angeblichen Brunnenvergiftungen statt.

Einige Jahrhunderte später wurde dem „Pestgift“ mit anderen Voraussetzungen nachgespürt. Man hatte beobachtet, daß es an gewisse Einzelherde, an menschliche Wohnplätze und die Orte größerer Versammlungen gebunden schien; es entwickelte sich die Idee eines Wohnungs- und Hausmiasma und zwar in der unklaren Form, daß die Mauern und Geräthe absichtlich verunreinigt, mit Peststoffen bestrichen seien. Sehr lehrreiche Beispiele liefern in dieser Richtung die Epidemien der ersten Hälfte des siebenzehnten Jahrhunderts in Italien. Man glaubte fest daran, daß überall teuflische Künste, Verschwörungen, organisirte Giftmischerbanden thätig wären, die Seuche zu verbreiten. Ein ausgesuchtes Gift von plötzlicher, höchst durchdringender Wirkung anzunehmen, lag ganz in der Denkweise

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_214.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)