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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Das bisher Entwickelte bezeichnet den Standpunkt des Wissens und Könnens, auf welchem wir gegenwärtig der Pestfrage gegenüber stehen. Man sieht, daß wir in der Hauptsache vor einer Reihe offener Fragen angelangt sind, von deren ausreichender Beantwortung es abhängt, ob die Bewältigung des furchtbarsten Feindes, den das Menschenleben hat, endlich gelingen wird. So ist es wohlberechtigt, wenn wir mit ängstlicher Spannung der Berichte unserer abgesandten Commission harren. Erfahrene Mitglieder derselben berechneten die Zeit ihrer Abwesenheit auf fünfundzwanzig Tage. Die letztere sind (seit dem 8. Februar) abgelaufen in einem Moment, in welchem factisch erst die ersten Materialien für jenen Bericht gesammelt werden. Hält man die Abgesandten auf, führt man sie irre? – so wird in der Presse bereits gefragt. Mit Sicherheit läßt sich nur antworten, daß die Abwesenheit der Commission nach Berechnung der ihr zudictirten Quarantänefristen reichlich noch einmal so lange dauern wird, wie ursprünglich vorgesehen war. Mag indeß immerhin die Gelassenheit der Mitglieder durch die Verzögerungen, ihre Widerstandsfähigkeit durch Wetter und Wege hart geprüft werden – was sie uns bringen, wird Wahrheit sein und unbeeinflußt von russischen „höheren Gewalten“. Wir Alle aber begegnen uns in dem Wunsche, die Besprechung des erhofften Berichtes möge die letzte Veranlassung sein, unseren traurigen Gegenstand aus der Liste der „allgemein interessanten Themata“ erscheinen zu lassen.

Dr. A. W.


Die Juister.
Von Heinrich Kruse.[1]


Norderney ist bewohnt von ehrlichen Fischern, die redlich
sich vom Fischen ernähren; drum liebt sie der heilige Petrus.
Gnädig gesinnt auch ist er den Leuten von Borkum, die fleißig
Ackern ihr fruchtbares Feld und mähen das Gras auf den Wiesen,
Salzig vom Hauche der See, ein leckeres Futter den Rindern.
Aber von sämmtlichen Inseln des friesischen Ufers ist Petrus
Eine verhaßt: das ist Juist! Juist ist nur Dünen und Flugsand,
Rings von gefährlichen Bänken umringt, ein Schrecken der Schiffer.
Und die Bewohner von Juist sind räuberisch, lauernd auf Beute:
Wehe dem strandenden Schiff! Drum läßt sie der heilige Petrus
Nicht in den Himmel hinein; sie klopfen umsonst an die Pforte.
Einmal war es geschehen, daß Petrus schläfrig geworden
Oder wohl gar einnickte. Da sind zwei Juister gekommen
Und in den Himmel geschlüpft. Sie hielten zuerst sich bescheiden
Unter den Andern versteckt im hintersten Grunde und staunten
Alle den Glanz und die Herrlichkeit an. Doch wurden die Beiden
Bald schon dreister; es sind von Natur nun einmal die Juister
Grob und unverschämt. So begannen sie unter einander
Laut zu schwatzen und keck zu tadeln, was ihnen nicht anstand,
Meinten, es flögen die Engel im Himmel doch lange so leicht nicht
Wie am Strande von Juist die Regenpfeifer und Schwalben;
Denn sie hätten nur Flügel an beiden Schultern, es fehlte
Ihnen der Schwanz und der Schwung, und was sie noch schwätzten in Einfalt.
Nun, es verdroß nicht wenig den heiligen Paulus, Geschöpfe
Also meistern zu hören den Schöpfer. Er ging nach der Thüre,
Und dort frug er den Hüter: „Was sind das, Petrus, für Leute,
Die sich so unnütz machen? Was sind das für grobe Gesellen?“
„Das sind Leute von Juist. Ich weiß nicht, wie sie es machten,
Um in den Himmel zu kommen, wohin sie so wenig gehören,
Wie ein Schwein in ein jüdisches Haus,“ antwortete Petrus.
„Nun, so wirf sie doch wieder hinaus!“ „Nein, Lieber, das geht nicht.
Unser himmlischer Vater ist so grundgütig; wenn einmal
Wer in den Himmel gelangt, hat Gott mir geboten, ich soll ihn
Nicht mit Gewalt austreiben, und, siehst Du, sie gehen von selbst nicht
Wieder zur Pforte hinaus.“ „Ei nun, das will ich doch sehen!
Für ein Völkchen wie dies, ist der wahre Himmel der Strandraub.“
Also versetzte darauf der heilige Paulus und legte
Sich zum Fenster hinaus, als ob da draußen was los sei.
„Schiff am Strande!“ so rief er mit dröhnender Stimme. Die Juister
Hörten sobald nicht den Ruf, so liefen sie rasch aus der Thüre,
Wie auf Juist sie gewohnt, wenn „Schiff am Strande!“ geschrie’n wird.
Rasch schloß Petrus die Thür und rief: „Ihr kömmt mir nicht wieder.“




Deutsches Frauenleben im Mittelalter.
Eine culturhistorische Studie von Fr. Helbig.

9. Im Dienst des Himmels. – Gottesminne, Kreuzfahrt und Wunderglauben.


Pater Berthold von Regensburg rühmt den Frauen, denen er sonst nicht eben gewogen ist, nach, daß sie eher in’s Himmelreich kämen als die Männer, denn sie wären barmherzig und gingen lieber zur Kirche, zu Gebet und Ablaß und sprächen eher Gebete als die Männer. In der That entrichtete die Frau des deutschen Mittelalters täglich zweimal ihren Zoll der Kirche. Am Morgen um die neunte Stunde schritt sie an der Seite des Mannes zur Messe; am Abend folgte sie wiederum fromm dem Läuten der Vesperglocke. Die Mette war Frauenkirche; Mannesschritte führten nur selten zu ihr. Aber auch zu jener Zeit wurde für die Frau dieses Kirchengehen zuletzt so sehr Sache der Gewohnheit und Mode, daß alle Innerlichkeit dabei verloren ging. So deckte der genannte geistliche Eiferer auch wieder die Kehrseite seines eben gehörten Lobes schonungslos auf: „Sie sprechen in den Kirchen wie auf einem Jahrmarkte hin und her, was Jeglicher gesehen in fremden Landen, auf dem Meere oder der Romfahrt oder zu Sanct Jacob, und die Frauen lassen ihren Mund nie still stehen vor unnützem Gespräche.“

Gleichwohl wußte die Kirche, welch ein Schatz ihr im Frauenherzen ruhte. Sie verlieh nicht umsonst dem schöne Geschlechte die höchste Weihe in dem Cultus der Jungfrau Maria, der Mutter Gottes, der Königin des Himmels. Diese wurde der Frau, der Jungfrau zugleich zum leuchtenden Muster und Vorbild, und kirchliche und weltliche Dichter werden nicht müde, den Preis ihres Ruhmes in hohen Tönen zu verkünden. „Du lichte Rose ohne Dorn, wie Sonnenglanz so klar, hochschwellend Meer der Gnade, ganzer Tugend durchlauchtiger Sonnenschein, ewig unerschöpfter Hort der Gnade“ – also singt und klingt es von ihr.

Auch für die Entbehrung irdischer Liebe bot die Kirche der Jungfrau im Kloster Ersatz. Dort wartete ihrer das „himmlische Rosenlager ihres Bräutigams Christus“, um in der Sprache der Kirche zu reden, welche die Formeln der Verehrung hier vom weltliche Minnedienste entlehnte. Der Gedanke der Bräutigamschaft Christi war ein so geläufiger, daß er sich auch plastisch kund gab. So stellt ein im Germanischen Museum aufbewahrter Altarschrein die Verlobung der heiligen Katharina von Siena mit dem Christuskinde dar. Konnte somit das erregte jungfräuliche Gemüth für das ihm in der Wirklichkeit Versagte im freien zwanglosen Reiche der Phantasie, wo sich Himmel und Erde bunt vermengten, idealen Ersatz finden, so füllte andererseits auch die der Kirche verlobte Frau die Muße ihres klösterlichen Stilllebens vielfach in realer und nützlicher Weise aus. Wir trafen sie im Laufe unserer Darstellung schon als Lehrerin der Mädchen, denen sie Unterricht in Lesen und Latein gab. So finden wir sie aber selbst auch emsig am Schreibtisch sitzen und mit geschwärzten Fingern das in Rauch getrocknete Schreibrohr, das sie vorher mit einem Messer fein zugespitzt und mit Bimsstein geglättet hat, über die pergamentene Fläche führen, um eine alte Heiligenlegende aus einem Buche zu copiren, das, um nicht gestohlen zu werden, an einer Kette verschlossen liegt. Von Zeit zu Zeit taucht sie den Rohrgriffel in ein Näpfchen mit rothem Mennig, um die schwarzen mit rothen Buchstaben abwechseln zu lassen. Entlang der große Initialbuchstaben legt sie durch Anwendung eines heißen Eisens glatte Goldblättchen, wenn sie nicht blos Goldtinctur mit dem Pinsel aufstreichen mag. Auch fügt sie in die Innenräume der großen Buchstaben die zierlichsten Miniaturgemälde, oder schneidet in die Lederfläche des Bucheinbands

  1. Von dem Verfasser, der sich durch seine Trauerspiele „Die Gräfin“, „Wullenwever“, „König Erich“, „Moritz von Sachsen“ „Brutus“, „Marino Faliero“ und „Das Mädchen von Byzanz“ den Ruf eines geistvollen und bühnenkundigen Dramendichters erworben hat, befindet sich, wie wir bei dieser Gelegenheit mittheilen wollen, ein neues Trauerspiel „Rosamunde“ (Leipzig, S. Hirzel) unter der Presse.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_217.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)