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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


10. In Schmerz und Trauer. – Letzte Rast.

„Mit dem Tode des Mannes erlischt die Sonne der Frau. Wer durch die Liebe gelebt, soll freudig durch die Liebe sterben.“ Also gebot eine alte düstere Satzung der Frau, dem Gatten in den Tod zu folgen, und die Sage weiß von Frauen zu erzählen, die diesen Brauch ehrten. Ebenso wehrten sich auch Gesetz und Sitte lange Zeit gegen die Aufgabe des Wittwenthums der Frau, gegen die Erneuerung der Liebe in zweiter Ehe, denn tief eingewurzelt in der Brust des Germanen war das Gefühl der Treue. Nur um den Gewinn der Rache wider die Mörder ihres ersten Gemahls folgte Chriemhild dem neuen Werber. Die Anschauungen der Zeit wurden indeß milder; das weltliche Verbot schwieg; nur die Kirche wollte lange solcher Nachsicht sich nicht beugen; dreißig Tage – so gebot die Sitte – sollte die Wittwe allein im Hause trauern und in dieser Zeit kein fremdes Gesicht schauen. Dann durfte sie ihre Gespielinnen und Nachbarinnen empfangen und nach zwölfmaligem Wechsel des Mondes dem Freier wieder die Thür öffnen.

Tief erschütternd sind die Ausbrüche des Schmerzes der verwaisten Frau beim Tode des Mannes wiedergegeben in den Gesängen der Dichter. Als der im Kampfe schwer verwundete Erec einem Todten gleich vom Rosse fällt, wirft sich Frau Enite über ihn, küßt ihn, schlägt heftig die Brust, küßt ihn wieder und schreit laut auf vor Weh. „Auf riß sie manche schöne Flechte; an ihrem Leibe sie sich rächte nach aller Frauen Art.“ Dann fleht sie in heißem inbrünstigem Gebete zum Himmel, daß er den Gemahl rette:

„Trenne, Herr, uns nicht
Weil über mich sonst bricht
Von dir rechtwidrige Gewalt!
Ist dein Erbarmen mannigfalt,
So hilf auch mir zum Tode hier,
Damit sich also scheide
Nicht unser Körper auf zwei Wegen.“

Vom Herzeleiden der Gemahlin Gemuret’s wird im „Parcival“ erzählt, daß, als sie den jähen Tod des jungen Gatten, von dem sie ein Kind unter dem Herzen trug, erfuhr, sie ganzer achtzehn Wochen lang in Ohnmacht mit dem Tode rang. Dann durch Hülfe eines weisen Mannes zum Leben zurückgebracht, erhebt sie laute Wehklage: „Wo ist,“ ruft sie, „wohin kam mein Trauter? Soll ich nun alle Freude missen? Ich bin ihm Mutter jetzt und Weib, und leide so zwiefachen Kummer.“ Sie betet innigst zu Gott, daß er die Frucht ihrer Liebe rette, und läßt sich des Gatten blutgetränktes, im Kampfe ganz zerschlissenes Hemd bringen; nur mühsam kann man ihrem Beginnen wehren, es selbst anzulegen, um es beständig vor Augen zu haben.

Auch Chriemhilde sank, als sie den Gatten erschlagen vor ihrer Kammerthür liegen sah, lautlos und ohnmächtig zu Boden, dann schrie sie laut auf, daß rings das Gemach erscholl und ihr das Blut vor Herzensjammer aus dem Munde brach. Und als der Todte auf der Bahre im Münster liegt, will sie nicht zugeben, daß man ihn begrabe. Drei Tage und drei Nächte, heischt sie, soll er noch über der Gruft stehen. So lange will sie bei ihm bleiben und seinen Anblick genießen.

War die Ehe kinderlos, so mußte altdeutschem Rechte zufolge die Frau nach dem Tode des Mannes aus dessen Geschlechte und dem Gute scheiden. Sie kehrte wieder in das eigene Geschlecht zurück. Um sich von der Verpflichtung zur Uebernahme der in und vor der Ehe gewirkten Schulden des Mannes zu lösen, sollte sie nach Vorschrift der alten Weisthümer Schlüssel, Gürtel oder Mantel auf das Grab legen, um damit symbolisch anzudeuten, daß sie von des Mannes Gemeinschaft und Verantwortung scheide. War ihre Ehe eine gesegnete gewesen, so blieb sie in des Mannes Geschlechte, genoß dessen Schutz und stand unter dessen Herrschaft.

Und wenn die Frau selbst nun den Weg antrat zur letzten Rast, so war es in alten Zeiten nur ein roh aus einem Baumstamm gezimmerter Sarg, in den ihre irdischen Gebeine sich senkten. Mit der Zeit wurde auch diese letzte Wohnung kostbarer und kunstvoller. Wer nur irgend durch Wohlhabenheit und Geburt hervorragte, hatte für sich und sein Geschlecht ein umschlossenes Plätzchen in der Krypte eines Klosters oder unter den Steinfließen einer Kirche erworben. Rührend schön war der Brauch, daß die, so im Leben Freud und Leid mit einander getragen, nun auch im Tode an gemeinsamer Stätte ruhten. Zahlreiche Inschriften, geschmückt mit den Bildnissen beider Gatten, geben uns Zeugniß von dieser im Steine noch lange fortlebenden Liebe.


So stehen wir denn am Schluß unserer Schilderungen. Wir bekennen, daß wir darin vielfach nur die Lichtseiten des mittelalterlichen Lebens hervorgehoben haben und an den Schatten, deren keine Periode der geschichtlichen Entwickelung entbehrt, hie und da schweigend vorüber gegangen sind. Aber das möge uns nicht als eine kritiklose Parteinahme für eine längst überwundene Geschichtsperiode gedeutet werden! Nichts liegt uns ferner als eine unfruchtbare Propaganda für das Mittelalter und seine Zustände. Schon unser Glaube an den stetigen Fortschritt der Menschheit zum Guten und Besseren beschützt uns vor dem Wunsche, der Gegenwart das ganze Gepräge des Mittelalters wieder aufgedrückt zu sehen. Und doch möchten wir an der Frau der Gegenwart gern wieder das preisen können, was ihre Ahnin so besonders auszeichnete – Schlichtheit und Natürlichkeit, treue Hingabe an das Haus und seine Pflichten, strenge Grenzeinhaltung des Weiblichen!



Deutschlands große Industrie-Werkstätten.
Die Uhrenfabrikation von Glashütte.


In den südwestlichen Theilen der Schweiz heben sich bekanntlich die Cantone Genf und Neuenburg durch die hohe Blüthe ihrer großartig betriebenen Uhrenfabrikation hervor. Eine unbestreitbare Thatsache ist es, daß die Bevölkerungen hier wohlhabend geworden sind durch die regsame Thätigkeit, welche sie auf diesem Gebiete entfalten, und durch den rüstigen Geschäftseifer, mit dem sie ihre Fabrikate auf der ganzen Erde zu verbreiten wissen. Solche glänzende Erfolge mußten natürlich auch auswärts die Aufmerksamkeit der Regierungen erregen, und auch in Deutschland hat es an sehr kostspieligen Bemühungen nicht gefehlt, den betreffenden Industriezweig hier und dort anzusiedeln. Den Opfern entsprach jedoch der Erfolg nur wenig, da es dazu meist an unternehmenden und geschickten Männern, namentlich aber an der zu solchen Zwecken durchaus erforderlichen Zähigkeit der Ausdauer fehlte. Um so mehr ist es an der Zeit, von einem deutschen Unternehmen dieser Art zu sprechen, das seit längerer Zeit als ein wirklich gelungenes bezeichnet werden muß, gelungen durch die außerordentlichen, unermüdlich rastlosen Anstrengungen eines ebenso bedeutenden wie menschenfreundlichen Mannes, der denn auch am Ende seiner Tage die hohe Freude erlebte, seinem Fabrikate den Weltruf gesichert zu sehen. Einiges Nähere von ihm, seinem Lebenswege und Unternehmen zu hören wird sicher dem Leser nicht unwillkommen sein.

Ferdinand Adolf Lange – so hieß der nach Person und Firma in weiten Kreisen bekannt gewordene Mann – ist am 18. Februar 1815 als Sohn eines armen Büchsenmachers in Dresden geboren worden. Der Vater hielt ihn früh schon zu mechanischer Thätigkeit an, verbitterte aber seine Kindheit durch die unmäßige Strenge eines eisenharten Charakters, unter dem auch die sanft geartete Mutter so schwer zu leiden hatte, daß sie endlich von dem rauhen Gatten sich trennen mußte. Mit ihr verließ der unglückliche Knabe das väterliche Haus. Sein Unterricht blieb unter diesen Verhältnissen ein sehr lückenhafter. Fremde Leute, die sich liebreich seiner annahmen, brachten ihn nach seinem Abgange von der Schule zu dem Hofuhrmacher Gutkäs in die Lehre, der damals nicht blos in Dresden, sondern über die Grenzen Sachsens hinaus sich einen guten Ruf in seiner Kunst erworben hatte. Zugleich besuchte der strebsame Lehrling zur Ergänzung seiner mangelhaften Kenntnisse die damals noch in ihren Anfängen stehende polytechnische Schule in Dresden und erwarb sich durch außerordentlichen Fleiß und energische Beharrlichkeit eine für seinen Stand sehr tüchtige und vielseitige Bildung.

Auch außerhalb der hier in Betracht kommenden Fachkreise ist es wohl bekannt, daß die englische Regierung und die französische Akademie auf die Verfertigung guter, richtig gehender

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_219.jpg&oldid=- (Version vom 11.6.2017)