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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

auch viele Deutsche gehören. Dem Unglück gegenüber hört für das Erbarmen der nationale Unterschied auf, und je mehr für die Szegediner in den Gotteskasten der Wohlthätigkeit fließt, desto mehr wird auch den Deutschen der Stadt davon zu Gute kommen.

Wir wissen aus vieljähriger Erfahrung, daß die Leser der „Gartenlaube“ nicht erst unserer Bitte bedürfen, um zur Wohlthätigkeit angeregt zu werden; wir wissen aber auch, daß viele unserer Leser auf die Aufstellung des Opferstocks der „Gartenlaube“ warten, um in diesen ihre Gaben niederzulegen. Diese Alle bitten wir, ihre Beisteuern zur Rettung der unglücklichen Stadt den nächsten Sammelstellen zuzuwenden, welche von den vielen Hülfscomités in Deutschland errichtet sind: in solchem Falle ist die rascheste Hülfe die beste! Möge allenthalben die Opferfreudigkeit darnach trachten, an Größe der des Unglücks gleichzukommen!




Der deutsche Kaiser Karl der Fünfte als Epikuräer. Mancher schöne Mythus, der sich in die Geschichte eingeschlichen, hat der Leuchte moderner Forschung weichen müssen (wir erinnern nur an die Tellsage). Auch an die letzten Lebensjahre Kaiser Karl’s des Fünften hat sich die Poesie gewagt und schildert uns rührend, wie der lebensmüde Pilgrim von St. Just beim Dunkel der Nacht und dem Sausen der Stürme an die Thür hispanischer Mönche pocht, um eine kleine Zelle, ein Ordenskleid und einen Sarkophag für sich zu fordern, er, dem die Hälfte der Welt nicht genügte. Sehr bescheidene Forderungen in der That, nur schade, daß Niemand weniger daran dachte, sich damit zufrieden zu geben, als Karl der Fünfte. Er nahm eine Dienerschaft von sechszig Personen in seine „Klause“ mit und führte dort ein ebenso absolutes Regiment, wie vordem zu Augsburg oder Toledo. Die neueste Geschichtsforschung, der ganz andere Quellen zugänglich sind, als weiland Robertson und andern ältern Historikern hat die letzten Tage Karl’s des Fünften jeder Romantik entkleidet und ihn als echten „Flamänder“ charakterisirt, der, nachdem ihm keine andern Genüsse mehr erreichbar, nur an’s Essen und Trinken dachte. Schon früher hatte er sich die Gicht zugezogen durch zu großen Genuß der Tafelfreuden. Ein Engländer, Roger Asham, der einem Feste des Ordens vom goldenen Vließe beiwohnte, sah staunend, mit welcher Energie der Kaiser Rindfleisch, Hammel- und Hasenbraten und schließlich einen Kapaun verschwinden ließ und dazu trank, „besser als er je sah“; denn er hatte seinen Kopf fünf Mal so lange Zeit im Humpen, als ein Anderer, und trank nie weniger, als ein gutes Quart Rheinwein auf einen Zug. Der übermäßige Genuß der Tafelfreuden brachte seinen Beichtvater Cardinal Loaysa, der schon ein Vierteljahrhundert vergebens dagegen protestirt hatte, nachgerade zur Verzweiflung.

Die Lieferung für seine Küche war der Hauptgegenstand der Correspondenz zwischen seinem Mayordomo und dem Staatssecretär. Die wöchentliche Courierpost von Valladolid nach Lissabon mußte einen Umweg machen, damit sie jeden Donnerstag eine Sendung Aale und andere feine Fische als kaiserliche Fastenspeise bringen konnte. Nach Thunfisch herrschte stete Frage, auch nach Anchovis und Forellen, und letztere besonders waren dem Exkaiser nie groß genug. Dagegen wünschte er die Oliven von kleinerem Format und requirirte deshalb deren aus Perejon. Eines Tages erinnerte sich der Eremit von St. Just, daß ihm in früheren Jahren der Graf von Orsono einmal nach Flandern Feldhühner aus Gama geschickt habe, die er für die besten der Welt erkannt hatte, und dem Staatssecretär wurde befohlen, deren wieder herbeizuschaffen, was auch geschah, aber ohne daß die Hühner diesmal den gleichen Beifall des Kaisers gefunden hätten. Dessen ungeachtet ließ er die übrig gebliebenen Hühner für spätere Eventualitäten in Essig legen.

Außer mit diesem Geflügel, beschäftigte sich seine Erinnerung auch mit einer Sorte vorzüglicher Bratwürste, auf deren Herstellung nach vlämischem Recept Königin Juana selig zu Tordesillas nicht wenig stolz gewesen. „Der Staatssecretär möge sich wegen dieses kostbaren Recepts an die Marquise von Denia wenden.“ Glücklicherweise war diese noch in dem Besitz des gewünschten Documents, und die nach demselben gefertigten Würste entsprachen ganz den kaiserlichen Erwartungen.

Sobald die Leidenschaft des hohen Eremiten für eine vorzügliche Küche im Lande bekannter wurde, wetteiferten Adel und Geistlichkeit, durch übersandte Delicatessen dem Mangel am damaligen Aufenthaltsorte ihres Exkaisers abzuhelfen, wo außer Welschnüssen nur noch Schafe, Schweine und Wild (und diese zu hohen Preisen) zu erhalten waren. Da schickte eines Tages der Graf von Oropesa Wild, andern Tages der Erzbischof von Saragossa ein paar fette Kälber; besonders aber der Erzbischof von Toledo und der Herzog von Frias waren unermüdlich und äußerst splendid in ihren Geschenken von Wild, Früchten und Eingemachtem, auch kam in regelmäßigen Zwischenräumen Proviant aller Art von Sevilla und Portugal. Wenn so der Leibarzt des Kaisers, Luis Quixada, der dessen defecte Leibesconstitution nur zu gut kannte, diese Züge beladener Maulthiere kommen sah, schien es ihm, als bestände ihre Fracht in Podagra und Galle, statt in Näschereien und er weissagte Schlimmes, wenn auch der Mayordomo nach einem ungestraft verlaufenen kaiserlichen Diätfehler triumphirte. Nur die Vorliebe des Kaisers für eine Sorte Regenvögel hielt er für harmlos, auf’s Energischste widersetzte er sich aber der Liebhaberei für Aalpasteten, welcher der Kaiser oft kurz vor dem Schlafengehen noch huldigte, und mit Recht; denn diese anerkanntermaßen auch für bessere Magen schwer verdauliche Speise ward der Nagel zum kaiserlichen Sarge.




Eine allgemeine deutsche Lehrer-Wittwen- und -Waisencasse soll unter der Bezeichnung „Wilhelm-Stiftung“ das Andenken an die Feier der goldenen Hochzeit unseres kaiserlichen Paares (am 11. Juni) ehren. Der Aufruf dazu ist soeben von dem Rector Thiel in Bochum (Westfalen erlassen worden. Wendet derselbe sich auch zunächst an die sämmtlichen Lehrervereine Deutschlands, damit diese die Idee in nähere Erwägung ziehen und die Entscheidungsarbeiten für eine größere Lehrerversammlung vorbereiten, so nimmt gewiß diese so außerordentlich nothwendige Gründung auch die Theilnahme Aller in Anspruch, welche für die Schule und ihr Gedeihen ein warmes Herz haben. Mit Muth und Kraft angefaßt, wird diesem Unternehmen derselbe Glücksstern winken, welcher bereits ähnlichen, in kleinerem Maßstabe ausgeführten (wie z. B. der Privat-Lehrer-Wittwencasse des Bochumer Kreises) zum Gedeihen geleuchtet hat.




Die Schlange mit Füßen. Die Entstehungsgeschichte fabelhafter Thiere, mit welchen die Phantasie des Volkes nicht allem in der Vergangenheit, sondern sogar noch in der Gegenwart einsame oder fremde Gegenden zu bevölkern pflegt, hat man wohl hauptsächlich in der geringen Beobachtungsgabe und Beobachtungslust des Volkes zu suchen, in der Faulheit desselben, über die Erscheinungen der sichtbaren Welt gehörig nachzudenken. Hiervon ein Beispiel:

Als ich einst in Süd-Brasilien einen Bau unternahm und zu diesem Zwecke Steine zum Fundament fahren ließ, entdeckten die Arbeiter in einem hohlen Raume zwischen lose auf einander liegenden Felsblöcken eine der gefürchteten graubraunen Giftschlangen, Jararaccas genannt, welche in jener Gegend häufig vorkommen. Obgleich dieselbe träge und unbeweglich dalag und durchaus keinen Angriff zu beabsichtigen schien, schlugen die Arbeiter sie begreiflicherweise ohne Weiteres mit Knüppeln todt, wobei sie ihr den Kopf ganz zerschmetterten. Nun bemerkten sie an der auf dem Rücken liegenden Schlange vier Füße, weswegen sie mich herbeiriefen, um mir das Wunder zu zeigen. Etliche deutsche Colonisten, die gerade bei mir waren, begleiteten mich bis zum Steinbruche, und dort erklärten sie, daß ihnen eine solche Schlange mit Füßen gar nichts Neues sei, und daß sie derartige Thiere schon öfters unter Steinen gefunden hätten. Ich nahm nun die Schlange genau in Augenschein und überzeugte mich zunächst davon, daß ich eine wirkliche Jararacca von ganz außergewöhnlichem Leibesumfange vor mir hatte und zwar eine Jararacca mit vier Füßen, an deren jedem ich fünf außerordentlich harte und scharfe Zehen wahrnahm. Schnell griff ich zu meinem Gürtelmesser und trennte die Bauchhaut der Schlange von unten bis oben auf. Was kam hervor? Eine jener Hornkröten (ceratophrys), die man so häufig in den brasilianischen Urwäldern trifft. – Ich habe später noch öfters große Ratten und Kröten in den Leibern der Jararaccas gefunden, doch niemals wieder wahrgenommen, daß eine übergeschluckte Kröte mit ihren scharfen Zehen die harte Panzerhaut der Schlange durchbrochen hätte.

Die Moral von der Geschichte ist nun die, daß, wenn ich nicht die Schlange aufgeschnitten und die Kröte heraus geholt hätte, die Fabel von der Schlange mit Füßen wohl heute noch in den Köpfen jener Leute, die sie gefunden, spuken und von ihnen weiter verbreitet sein würde.

Alfred Waeldler.




Ein reisendes Haus. Wer hat nicht, als er „Aladin’s Wunderlampe“ las, das Erstaunen des Sultans, als dieser sich eines Morgens die Augen umsonst rieb, um den Palast seines Schwiegersohnes zu sehen, der nicht mehr da stand, mitgefühlt? Und wer hat sich nicht mit ihm gefreut, als wieder eines schönen Morgens der Wunderpalast am alten Flecke stand? Ein ähnliches Gefühl, wie das Erstaunen des Sultans, ergriff mich, als ich in Amerika eines Morgens den Ausgang der Straße, in der ich wohnte, nicht mehr fand – die Straße war eine Sackgasse geworden, ein großes Haus sperrte sie; à la Sultan rieb ich mir die Augen, und mein Mund öffnete sich in sprachlosem Erstaunen, als plötzlich das große, zuvor nie gesehene Haus zu zittern begann; es schien, als streifte es an den Zweigen und Aesten der hohen Ahornbäume unsrer Straßenallee.

Das Knistern und Krachen der Zweige war aber zu realistisch wahr, und jetzt brach sogar ein schöner Ast und fiel zur Erde; das Haus machte einen förmlichen Ruck, in der Art, wie die Bilder in den Panoramas wechseln und jetzt war das Räthsel gelöst. Kein Märchen aus „Tausend und Eine Nacht“ spielte sich vor meinen Blicken ab, sondern eine herrliche, eine praktische amerikanische Erfindung – das Haus wurde „ge-moved“, es wurde versetzt, an einen anderen Ort hingeschafft. Was ich mir so sehr zu sehen gewünscht und in meinem innersten Innern doch immer für einen kleinen Humbug gehalten, das fand jetzt vor meinen Augen statt.

Das Haus war einstöckig, wie sie hier alle sind, hatte zehn Zimmer, Küche, Bade- und Bodenzimmer. Es war von den Fundamenten abgehoben und auf runde Hölzer gesetzt worden; ungefähr am Mittelbalken des Hauses, der über dem Keller zu liegen kommt, waren Ketten befestigt, welche zu einer Winde liefen, die zwanzig Klafter vom Hause in der Mitte der Straße eingegraben war. Bei dieser Winde saß ein Mann, der die Ketten immer genau richtete, damit sie sich nicht verwickelten. Ein Pferd ging langsam im Kreise um die Winde herum, in dieser Weise das Haus die zwanzig Klafter heranziehend; war dasselbe dort angelangt, so wurde die Winde mit den Ketten auf ein Brett mit Rädern gestellt, und das Pferd zog nun wieder zwanzig Klafter weit vorwärts, mußte sich dabei aber furchtbar anstrengen; dann wurde die Winde neuerdings eingegraben, und die Geschichte fing von vorn an.

Bei dieser ganzen Arbeit waren nur sieben Mann beschäftigt, der eine, welcher die Winde besorgte, ein Mann, welcher auf dem Dache des Hauses stand und Acht geben mußte, daß kein Telegraphendraht hängen blieb und die Aeste der Bäume sich nicht am Schornstein oder den Giebeln verfingen, der Baumeister, welcher die Richtung ausmaß und angab und das Ganze leitete, und vier Männer, welche die Walzen rückwärts immer wegnehmen und vorn wieder einlegen mußten.

Es sah zu schön und merkwürdig aus, wie sich das Haus langsam und majestätisch vorwärts bewegte. Die Zimmer waren alle eingerichtet, Bilder und Spiegel an den Wänden. Der Blitzableiter hing sehr komisch,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_223.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)