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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

in der Luft baumelnd, an der Seite herab; auch die Dachrinnen sahen recht lächerlich aus, da die Röcke der Männer daran hingen.

Mir war, als machte das Haus eine ganz wichtige und wieder auch neugierige Miene, und besonders der Schornstein hatte alle Augenblicke etwas zu bedenken; bald versteckte er sich in die dichtbelaubten Zweige und wollte sich um keinen Preis von dem frischen, jungen Grün trennen; dann stieß er, erbost über seine Ohnmacht, an die Telegraphendrähte, die sich hochgestellt genug geglaubt, und machte manches Telegramm unverständlich und unleserlich – kurz, das Reisen und diese Art Fortschritt hatten dem guten alten Schwarzgebrannten den rauchige Kopf verdreht.

Besser benahm sich der wilde Wein, der in armsdicken Ranken an den Holzsäulen der kleinen, das Haus umgebenden Veranda hing und dessen Wurzeln mit dem sie umgebenden Erdreich ausgegraben und in festen Säcken aufgebunden waren; ängstlich hielten die jungen Triebe sich am Holzwerk fest angeklammert, und man sah ihnen an, wie sehnlich sie für ihre nährenden Wurzeln festen Grund und Boden herbeiwünschten; sie versagten sich sogar den sonst so regen und natürlichen Wunsch, sich überall anzuranken, und umsonst hielten die schönen Ahornbäume verführerisch ihre Aeste und Zweige hin; der fortgesetzte Hader und Zank mit dem Schornstein hatte jene vorsichtig gemacht, und die Mörtel- und Ziegelbröckchen, welche er ihnen in’s Gesicht warf, sagten nur zu deutlich, daß „stille halten“ hier das Weiseste sei; so ringelten sich ihre kleinen Ausläufer in sich selbst zusammen „bis auf Weiteres“.

Das Haus war ziemlich weit hergekommen, und ehe es diese Straße erreicht hatte, war schon eine Nachtstation gehalten worden; es hatte noch eine Tagereise zu machen, bis es an Ort und Stelle war.

Natürlich wurde das Haus nicht an der Vorderseite gezogen, sondern es stand der Länge nach in der Straße, da dieselbe im anderen Falle zu schmal gewesen wäre. Es war mit Fachwänden gebaut, halb Holz halb Ziegel, man sagte mir aber, daß auch Häuser ganz aus Stein in derselben Weise transportirt werden, und nicht nur auf ebener Straße, sondern auch Berg auf, Berg ab. Ich selbst habe später auf halbem Berge, in sehr schiefer Stellung, einmal so ein „ausruhendes“ Haus getroffen, welches über Sonntag stehen zu bleiben hatte.

Eigentlich that es mir leid, dieses Phänomen mit eigenen Augen gesehen zu haben, denn der Zauberpalast Aladin’s kommt mir nicht mehr so wunderbar vor – am Ende war der böse Zauberer ganz einfach ein um einige Jahrhunderte zu früh auf die Welt gekommener amerikanischer Baumeister.

So geht es denn mit all unseren Märchen und Zaubergeschichten; das wirkliche Leben streift viel ab von dem Gold- und Blüthenstaub, der auf ihnen ruht; es braucht daher eines reichen Schatzes, um bis an’s Ende damit auszukommen.

M. Pabke.


Hut ab! In unserer Zeit, wo die Zahl der „jungen Greise“ zum Schrecken überhand nimmt, muß man mit ebenso viel Freude als Ehrfurcht einen Mann begrüßen, der sich Körper- und Geistesfrische genug bewahrt hat, um an ein vor sechszig Jahre begonnenes Werk jetzt die letzte Hand zu legen. Dieser Mann ist Dr. Heinrich Berghaus, der berühmte Kartograph und Schriftsteller auf dem Gebiete der Geographie und Ethnographie, der am 3. Mai dieses Jahres seinen zweiundachtzigsten Geburtstag feiert; jenes Werk sein „Sprachschatz der Sassen“.

Der „alte Berghaus“ – sein Neffe Hermann ist auch schon ein Fünfziger und ganz in die Fußstapfen des Oheims getreten – rühmt sich, ein niederrheinischer Westfale zu sein, der das Plattdeutsche in Cleve als seine Muttersprache gelernt hat. Er besuchte in Münster, Marburg und Berlin die Schulen, während seine Heimath königlich westfälisch wurde, und erhielt, erst fünfzehn Jahre alt, eine Stelle als Conducteur für den Brücken- und Straßenbau in dem damaligen Lippe-Departement. Als Jérôme’s Reich zu Ende war, ging Berghaus unter die Freiwilligen, kam in die Armee-Verwaltung und mit dem Tauenzien’schen Corps bis in die Bretagne; eine Frucht dieses Feldzuges für Berghaus war seine 1824 erschienene Karte von Frankreich. Nach kurzem Aufenthalte in Weimar wurde der neunzehnjährige junge Mann als Ingenieurgeograph im zweiten Departement des Kriegsministeriums nach Berlin berufen und an der großen trigonometrischen Landesvermessung des preußischen Staats betheiligt. Vier Jahre später war er Lehrer, und nur drei Jahre nachher Professor der angewandten Mathematik an der Bau-Akademie, welche Stelle er zweiunddreißig Jahre lang bekleidete.

Wir können hier keine Aufzählung aller der Kartenwerke geben, die durch ihn allein oder unter seiner Hülfe vollendet worden sind. Es genüge hier, zu sagen, daß Heinrich Berghaus ein kleiner Columbus seines Faches ist, ein Meister, der für die kartographische Kunst neue Gebiete entdeckte: nicht blos seine Darstellung der Bodenplastik, welche allerdings für die Kartographie epochemachend war, sondern auch der kühne Griff verdient hohe Anerkennung, mit welchem Berghaus seinem großen „Physikalischen Atlas“ auch noch das neue Bereich der pflanzen- und thier-geographischen und ethnographischen Karten hinzufügte. Eine derselben, die im Jahre 1847 von ihm entworfene Karte von „Deutschland, Niederlande, Belgien und Schweiz nach deren National-, Sprach- und Dialektverschiedenheit“, führt uns zu seiner schriftstellerischen Thätigkeit, die ebenfalls eine sehr fruchtbare war, sowohl in selbstständigen Werken, wie in Sammel- und periodischen Schriften. Seine meistens mehrbändigen ethnographischen und geographischen Werke sind Fundgruben des interessantesten Wissens. Von den von ihm begründeten Zeitschriften ist sein „Geographisches Jahrbuch“ durch seinen berühmten Schüler und Pflegesohn A. Petermann in dessen „Mittheilungen etc.“ fortgesetzt worden, bis dieser hochverdiente Mann – dem Greise voran – aus dem Leben ging.

An die Sprach- und Dialektkarten und ethnographischen Schriften von Berghaus schließt sich sein oben erwähntes Werk an: „Sprachschatz der Sassen. Wörterbuch der plattdeutschen Sprache in den hauptsächlichsten ihrer Mundarten“ (Brandenburg, Adolf Müller).

Wissenschaftliche Arbeiten über die „Deutschen Mundarten“ fanden noch bis in neuere Zeit geringe Theilnahme selbst bei unserem gelehrten Publicum. Man vermochte noch nicht zu erkennen, daß wir in den Volksmundarten eine Quelle zur Erfrischung der Schriftsprache besitzen, und ebenso wenig, welche Schätze für Sitten- und Rechtsgeschichte durch die Erforschung der Dialekte zu Tage gefördert werden. Wie wäre es sonst möglich gewesen, daß eine Fundgrube solchen Wissens, wie J. Andreas Schmeller’s „Bayerisches Wörterbuch“ weit über dreißig Jahre im Laden lag, ehe Karl Frommann an die Bearbeitung einer zweite Auflage des unschätzbaren Buches gehen konnte. Ja, Frommann’s, des ausgezeichneten deutschen Sprachforschers, musterhafte Monatsschrift „Die deutschen Mundarten“ mußte mit dem sechsten Jahrgange aus Mangel an Theilnahme schließen und ist erst in jüngster Zeit wieder zu neuem Lebe erstanden.

Hoffen wir, daß dem Unternehmen unseres ehrwürdigen Veteranen auf diesem Arbeitsfelde der Aufschwung zu Gute komme, welchen die plattdeutsche Literatur durch Fritz Reuter, Klaus Groth, Quitzow, Giese, Wilhelm Schröder und Andere genommen, und der auch auf die Dialektpoesie Mittel- und Oberdeutschlands belebend eingewirkt hat. Der Berghaus’sche „Sprachschatz der Sassen“ erweist sich jetzt, wo derselbe mit dem fünften Hefte von A bis Eed (Eid) vor uns liegt, als eine außerordentlich reiche Fundgrube für Sprach- und Geschichts-, namentlich Culturgeschichtsforscher. Die alte Wörter führen zur Erklärung vieler alten Bräuche und Sitten, Rechte und Herkommen etc.. Selbst des Plattdeutschen kundige Richter und Sachwalter, Geschäftsleute und Industrielle werden in diesem Buche sich nicht selten mit Nutzen Raths erholen, während für den in’s Niederland versetzten Oberdeutschen die ausgiebigste Belehrung in jedem Berufsleben, das den engeren Verkehr mit dem Volke bedingt, dargeboten ist. Da zu einer vorzügliche Eigentümlichkeit des Volkes das Kernige, Derbe und Bilderreiche der Witz- und Scheltworte, Sprüchwörter und Gewerksredensarten gehört, so ist auch davon ein belebender Vorrath den trockenen Erklärungen eingewebt, sodaß Belehrung und Unterhaltung, Ernst und Scherz dem Buche entquillt wie dem Munde eines erfahrungsreichen munteren Greises.

Fr. Hfm.


Zur Nachricht. Denjenigen unserer Landsleute, welche von ihren Verwandten in den durch das gelbe Fieber heimgesuchten amerikanischen Districten keine Kunde erhalten haben, stellt die Europäische Abtheilung der „New-Yorker Germania“-Lebensversicherungs-Gesellschaft die Listen der am gelben Fieber Gestorbenen zur Verfügung, in Berlin in ihrem Bureau, Leipzigerplatz 12.



Kleiner Briefkasten.

Abonnent H. Die bewußten Artikel finden Sie: Jahrgang 1872, Seite 374 und Jahrgang 1871, Seite 395[WS 1].

V. v. B. in Gr. Der Mann ist ein notorischer Schwindler.


Quittung. Für den darbenden Inhaber des Eisernen Kreuzes (Blätter und Blüthen Nr. 11). von J. L. H. in Zwickau 5 Mark erhalten. Dank!

D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: 1876
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_224.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)