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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Schatten, den der Mond in scharfen Umrissen auf die hellschimmernde Fläche abzeichnete. Der Klang jener überzeugungskräftigen Abschiedsworte schwirrte ihm durch die Seele, bald wie höhnisches Kichern bald wie frommes Glockengeläute.

Und wie er jetzt seitwärts vom Wege bog, um schneller das heimische Thor zu erreichen, da erblickte er in der Ferne, sanft an den Hügel gelehnt, die mondbeschimmerte Stadt, traumhaft, märchengleich, wie er sie niemals zuvor geschaut. Hochauf ragten die versilberten Zinnen und Kuppeln; hochauf ragten die beiden schönsten Bauwerke dieser phantastischen Silhouette, das Minaret der großen Moschee und der Glockenthurm des katholischen Domes, beide bestrahlt von demselben himmlischen Lichte, beide umfluthet von demselben dämmernden Blau der herrlichen Sommernacht.

Da ward es licht und warm in dem Herzen des guten Priesters. Noch unklar in seinen Gefühlen; aber doch versöhnt mit dem, was geschehen, stand er still und entblößte unwillkürlich das Haupt.

Eine Weile blickte er so wie in stummer Verzückung nach dem fernen Häusergewirre, dessen lärmende Unrast hier im Frieden der Natur gleichsam unterzugehen schien. Dann sog er in tiefen Athemzügen die köstliche Luft ein und schritt gedankenvoll heimwärts …




Das deutsche Theater und die „Meininger“.


„Die Schauspielkunst vollendet sich nur in der
Harmonie ihrer Totalwirkungen.“

Eduard Devrient,
„Geschichte der deutschen Schauspielkunst“.


Glänzende Erscheinungen werfen grelle Lichter. Auch das intensive Licht, welches das helle Gestirn der Meininger Hofbühne um sich verbreitet, beleuchtete gelegentlich zahlreicher Gastspiele dieser Mustertruppe künstlerische Mängel und Uebelstände einzelner Bühnen auf das Grellste. Es erweckte recht ernste Gedanken nicht nur über die bei dieser Gelegenheit dem Publicum zum Bewußtsein gelangenden Schattenseiten der einzelnen Institute, sondern auch über den allgemeinen Verfall der deutschen Bühnenkunst. Unserm Theater sind die höheren Tendenzen und Principien immer mehr abhanden gekommen, weil die Vertreter der wirksamsten aller Künste meist nur noch auf kleine Wirkungen für ihre Persönlichkeit, nicht aber auf die Hebung der Kunst im Großen und Ganzen ihren Ehrgeiz richten. Wie aber ein ernstes Streben nach schöner Totalwirkung sogar einem Theaterpublicum von heute Bewunderung abzuringen vermag, das haben die Meininger Gastspiele bewiesen. Ueberall, wo die Kunstjünger aus der Werra-Stadt ihren Thespiskarren aufschlugen, zeigte sich jene begeisterte, pietätvolle Theilnahme für wahre und nach harmonischen Wirkungen strebende Bühnenkunst, welche derselben einstmals in Hamburg unter Schröder’s Leitung, in Berlin zur Zeit Iffland’s, in Weimar während der Glanzperiode unter Goethe’s Leitung und im Wiener Burgtheater noch während der Regiethätigkeit Laube’s entgegengebracht wurde und diesen in ihrer Art mustergültigen Bühnen den Aufschwung zu ihrer großen Bedeutung ermöglichte.

Was ist aber durch solchen vorübergehenden Enthusiamus für das Gute oder das Bessere gewonnen, wenn nach der Fluth die Ebbe eintritt und dann Alles wieder im alten Schlendrian fortgeht? Leider geht es zugleich abwärts. Je größere Ausdehnung die neugewonnene Theaterfreiheit dem Theaterbetrieb gewährte, desto allgemeiner freilich, aber auch desto gemeiner wurde die Theaterlust, desto mehr verlor die Bühne an Würde durch die Concession an die niedrigsten Bedürfnisse. Schiller nannte die Schaubühne eine „Schule der praktischen Weisheit“. Heute ist sie fast zu einer Schule der Thorheit und Unlauterkeit geworden. Schiller glaubte an eine bessere Zeit, wo das deutsche Volk eine wirkliche „Nationalbühne“ haben und wesentlich mit durch diese zu einer „Nation“ werden würde. Eine Nation sind wir denn endlich geworden, aber die „Nationalbühne“ sind sich die Deutschen stets schuldig geblieben. Schiller rühmte als leuchtendes Vorbild die Griechen und ihre geistige Einigung durch die begeisterte Pflege ihrer nationalen Bühne. „Was kettete Griechenland so fest an einander? Was zog das Volk so unwiderstehlich nach seiner Bühne? Nichts anderes als der vaterländische Inhalt der Stücke, der griechische Geist, das große überwältigende Interesse des Staates, der bessern Menschheit, das in denselben athmete.“ Herrliche Worte, aber sie treffen leider nur für die Griechen, nicht für die Deutschen zu. Wohl lassen sich einige analoge Verhältnisse in der Geschichte des griechischen und der des deutschen Theaters herausfinden. Wie bei den Griechen sich das Theater aus dem religiösen Cultus, den Dionysos-Festen, entwickelte und in der Verherrlichung edler Menschlichkeit, in den Meisterdramem des Sophokles gipfelte, so ist auch das deutsche Theater aus religiösen Spielen (Mysterien) herausgewachsen und erreichte in den Werken Lessing’s, Schiller’s und Goethe’s seinen Höhepunkt. Niemals aber hat bei uns der Staat und das Volk dem Theater und seiner Entwickelung ein so hohes lebendiges Interesse zugewendet, wie bei den Griechen. Niemals hat bei uns der Staat dem Theater und seinen Interessen wesentliche organisatorische Beihülfe oder durch Staatsmittel in großartigem Style Unterstützung gewährt, wie damals der Staat von Athen welcher auf würdige Aufführungen der Meisterwerke des Sophokles größere Summen verwendete, als der ganze Peloponnesische Krieg kostete. Dagegen hat es bei uns an negativer Antheilnahme, z. B. Censurmaßregeln, selten gefehlt. Obwohl die erleuchtetsten Fürsten, Staatsmänner und Geistesheroen den Culturwerth der Bühne hochschätzten obwohl Kaiser Joseph der Zweite die Einwirkung der Bühne zur Verbreitung des guten Geschmackes und zur Veredelung der Sitten gerühmt hatte, dann auch vorübergehend in Preußen das Theater als einflußreich für die allgemeine Bildung und im Werthe den Akademien der Wissenschaften und Künste ebenbürtig geschätzt wurde, und obgleich ein Goethe dem Theater dreißig Jahre lang die größte Hingebung und rastloseste Sorgfalt gewidmet hatte, wurde doch immer wieder die Bühne in Deutschland nur als eine „öffentliche Anstalt zum Vergnügen“ neben anderen Gewerben betrachtet und behandelt und als solche sich selbst überlassen.

Um so höher ist der Heroismus Einzelner anzuschlagen, welche dem Gedeihen und der Verbesserung des deutschen Theaters ihre beste Kraft und sogar ihr Lebensglück opferten. Gedenken wir nur der vier Hervorragendsten darunter.

Mit welchem heiligen Eifer hatte Lessing seine scharfe Federlanze eingelegt gegen die Unnatur und das leere Prunkwesen der Franzosen, sowie gegen die zopfigen Producte ihrer deutschen Nachahmer, indem er der deutschen Schauspielkunst wieder den frischen volksthümlichen Geist, die natürliche Wahrheit und den nationalen Sinn einzuimpfen bestrebt war! Viel hat er gewirkt und viel erreicht, allein schließlich schlug in der deutschen Bühnenkunst die Natürlichkeit in Verwilderung, der Shakespeare-Cultus ist Sturm- und Drangwesen, die Befreiung aus steifen Formen in Formlosigkeit und Opposition gegen Sprach- und Sittengesetze um. So mußte denn unser edler Reformator am Ende seines Lebens noch den Schmerz erleben, sich in seiner Reform mißverstanden zu sehen.

Nicht besser erging es Schröder in Hamburg. Was Lessing als erstrebenswerth und segensreich empfahl und verteidigte, das hat Schröder auf der Bühne zur That gemacht und praktisch eingeführt. Er hat dem hohlen französischen Pathos und Effecthaschen den letzten Stoß versetzt, und, unter Zurückdrängung der überwuchernden Oper, durch wirksame Aufführungen der Tragödien Shakespeare’s und der Schiller’schen Dramen der deutschen Kunst die höchsten und trefflichsten Aufgaben geboten und gesichert. Seine höchst sorgfältige, von gesunden Prinzipien getragene Regieführung bot Alles auf, um das Hamburger Kunstinstitut, auch in äußeren und kleinen Dingen, zum vortrefflichsten in Deutschland zu machen, indem er auf die Harmonisirung aller Kräfte und Mittel den größten Werth legte; hat doch er schon es sich zum Gesetz gemacht, die von ihm eingeführte Zimmerdecoration, Zimmereinrichtung, Costüme und alle Requisiten mit dem Charakter und der Zeit der Handlung in Einklang zu bringen. Trotz seiner Anstrengungen, Mühen und hohen Verdienste war es ihm nicht vergönnt, mit frohem Bewußtsein von der Bühne zu scheiden,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_234.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)