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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Asche eben neu erstandenen Hoftheater war vom Herzog Karl August die „Iphigenie“ gewählt worden. Als Goethe in seiner Loge erschien, lief die frohe Kunde. „Er ist da!“ durch alle Reihen, wirkte wie ein elektrischer Schlag auf Schauspieler und Zuschauer zugleich und rief den lautesten Applaus hervor, der sich endlos wiederholte, als der aufgezogene Vorhang statt des erwarteten Haines Iphigeniens einen festlich decorirten Saal und im Vordergrunde rechts Goethe’s Büste auf lorbeerumkränztem Postamente erblicken ließ. Frau Seidel sprach einen vom Kanzler von Müller gedichteten schwungvollen Prolog, der mit den Versen schloß:

„So schwebt auch uns ein neuer Tag hernieder,
Es grüßt die Kunst die heil’gen Bilder wieder,
Zu kühnstem Streben öffnen sich die Schranken,
Nur durch ihn selbst laßt uns ihm würdig danken!“

Und hieran schloß sich eine treffliche, begeisterte Aufführung des Meisterwerkes „ Iphigenie“ mit der talentvollen Karoline Jagemann in der Titelrolle.

Aber Karl August ließ es auch hierbei nicht bewenden. Er hatte einen zierlichen Festabdruck der „Iphigenie“ veranstaltet, ließ einige Prachtexemplare desselben dem Dichter überreichen und erfreute auch die Freunde des letzteren durch Zusendung von Exemplaren. Auch Goethe selbst gab dergleichen Exemplare an Freunde und Verehrer; dasjenige meines Oheims, seines Privat-Secretärs, liegt vor mir mit der eigenhändigen Widmung des Dichters: „ Herrn Bibliotheks-Sekretär Kräuter, in Erinnerung des 7. Novembers 1825. Goethe.”

So diente „Iphigenie“ zur Feier des goldenen Tages ihres Dichters, und in der That, das „Töchterchen“ war und blieb allezeit bis in sein höchstes Alter das Herzenskind ihres Vaters. Im Jahre 1817 schrieb ihm sein Freund Zelter von Berlin aus, unter dem frischen Eindruck einer dortigen Aufführung des Dramas, die schönen, sinnigen Worte: „Wer nicht wüßte, wie er Dich lieben soll, mag die ‚Iphigenie’ sehen; alle Wahrheit und Güte der Natur hat sich über dies Stück ausgegossen; es sind Menschen, an denen man die Menschheit, ja sich selbst verehrt, ohne sich geschmeichelt zu finden;“ und Goethe erwiderte ihm: „Durch die guten Worte, womit Du ‚Iphigenien’ so treulich ehrest, sei mir gleichsam gelobt und gepriesen.“

Als im Jahre 1827 der bedeutende Schauspieler Krüger nach Weimar kam und den Orest spielte, war es dem Dichter unmöglich, der Vorstellung, wie er wohl wünschte, beizuwohnen. „Was soll mir,“ schrieb er an Zelter, „die Erinnerung der Tage, wo ich das alles fühlte, dachte und schrieb?“ Doch er übersandte dem Künstler das Drama mit den Versen:

„Was der Dichter diesem Bande
Glaubend, hoffend anvertraut,
Werd’ im Kreise deutscher Lande
Durch des Künstlers Wirken laut;
So im Handeln, so im Sprechen
Liebevoll verkünd’ es weit:
Alle menschlichen Gebrechen
Sühnet reine Menschlichkeit.“

Unermeßlich sind die Wirkungen, welche dieses Hohelied echter, reiner Menschlichkeit auf die deutsche Dichtung und Literatur und selbst auf die bildenden Künste geübt hat.

Heute vollendet sich seit jenem 6. April 1779 ein volles Jahrhundert. Feiern wir den Gedenktag in Erinnerung an jene Zeit und mit dem Wunsche: möge Goethe’s reine, edle „Iphigenie“ auch im neu beginnenden Jahrhundert über deutsche Kunst und Literatur ihre Segnungen ergießen!

Weimar, den 6. April 1879.

Robert Keil.




Wie man dem Frantischek seinen Glauben nahm.
Eine Ostergeschichte.

Frantischek liebte die Stadt. Waren die Menschen auch überall dieselben, auf dem Lande und in der Stadt gleich hart gegen den armen Slovakenjungen, so waren doch die städtischen Hunde nicht so bösartig wie die Kettenhunde auf den Dörfern. Auch biß der Wintersturm zwischen den hohen, schützenden Mauern in den engen, heimlichen Gäßchen Prags nicht so grimmig, wie draußen auf freiem Felde. Frantischek liebte die Stadt.

Und einen so herrlichen Morgen hatte er noch nicht erlebt, seitdem er ohne den Tatinek (Väterchen) auf der beschwerlichen Wanderschaft war und allein sein helles „Drahtowat!“ erschallen ließ.

Was heute Morgen nur in der Luft liegen mag? Niemand geht geschäftig über die Straße; alle Leute blicken müßig darein. Und wie geputzt sie heute sind! Und wie gut! Er hat seit dem Aufstehen schon mehr an kleinen Geschenken erhalten, als der Erlös eines ganzen Tages für Mausefallen, Blechlöffel und geflickte Töpfe sonst auszumachen pflegt. Es ist heute freilich ein Sonntag, aber Frantischek weiß nur zu gut, daß die Menschen nicht an jedem Sonntage gut sind. Was das heute nur ist? Und der Himmel erst! Es ist zwar recht kalt in den geflickten Hosen, dem offenen Hemde, deren Größe nicht einmal für die zwölf Jahre des Slovakenjungen ausreicht. Aber dabei ist es so frisch, wie ein sommerliches Bad in den bräunlichen Wellen der Bistricza.

Es ist dem guten Frantischek so wohl um’s Herz; er möchte der Maminka (Mütterchen) von seinem Reichthume mittheilen. Warum er nur heute so viel an die Maminka denken muß? – Auf einmal weiß er’s. Zwei Knaben, wohl Frantischek’s Altersgenossen, gehen in Feiertagskleidern vorüber und beide halten – halten rothbemalte Eier in den Händen. Ostern!

Ostern! Jetzt wußte er’s. Ostern war’s, und Frantischek war nicht bei der Maminka, war fern, fern vom Hause und Niemand da, um auch ihm seine bunten Eier zu schenken.

Frantischek ging neidlos an den Herrlichkeiten der großen Stadt vorbei. Doch von diesen rothen Eiern konnte er kein Auge abwenden. Die beiden Knaben wurden ängstlich, als sie den zerlumpten Slovakenjungen bemerkten, der ihnen mit gierigen Blicken unablässig folgte. Sie beschleunigten ihre kleinen Schritte, und so war bald das Ziel erreicht. Es war eine Kirche, aus welcher tiefe Orgelklänge hervortönten. Ja, das waren Osterklänge, nur noch reicher, freigebiger, als draußen auf dem Dorfe, fern in der Slovakei. Diese Stadtmenschen waren Christen – sie konnten ihm kein Ei verweigern!

Hei, wie lustig waren die Ostern zu Hause in Trentschin! Die Ruthe schwang der Frantischek, sprang mit seinen Gesellen auf die Hausmutter zu und schlug mit wilden Fäustchen so lange auf die gutmüthig sich sträubenden Hausgenossen los und sang so lange sein klagendes Osterliedchen, bis alle die kleinen Stürmer ihr Osterei davon getragen hatten.

Hier mußte er es kürzer machen – das sah er ein. Mit dem Rufe: „Bitt’ ich Ei, junger Herr!“ sprang er auf die Knaben los, die eben auf der obersten Stufe der Kirchentreppe ihre wohlgebürsteten Hüte abnahmen. Flehend streckte er dabei die Hand aus. Die Knaben verstanden die Bewegung falsch und riefen um Hülfe.

Frantischek wußte, was ihm bevorstand. Was würde es ihm nützen, wenn er das Geschehene aufklären wollte; eine Tracht Prügel war ihm ja doch gewiß, und so lief er hinweg, was er nur laufen konnte. An der Kirchenthür warnte indessen ein erfahrener Mann die beiden weinenden Knaben vor Slovaken und anderen Vagabonden.

Als Frantischek wieder zu sich selber kam, war es mit seiner Osterstimmung noch nicht vorbei. In die schöne Kirche mit der mächtigen Orgel getraute er sich nicht mehr zurück. Er hoffte, in dem hundertthürmigen Prag eine andere zu finden. Da drüben stand schon wieder eine Kirche, ein großes vergoldetes Kreuz auf dem Firste ließ sie als solche erkennen. Andächtig nahm Frantischek den großen, schwarzbraunen Hut vom struppigen Kopfe und trat ein.

Was war das? Keine buntfarbigen Fenster, kein Heiligenbild, kein goldstrotzender Altar? Das konnte keine Kirche sein. Dicht bei einander standen die Reihen der Bänke; da saßen ernste Menschen, blickten in dicke Bücher und sangen zusammen. Auf erhöhtem Platz sah Frantischek einen Geistlichen, neben ihm ein schwarzes Brett, auf dem etwas geschrieben stand. So stellte sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_252.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)