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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Die Berliner National-Gallerie.


„Kein unheiliger Fuß soll diesen Boden betreten.“ Dieses Wort sprach der kunstliebende König Friedrich Wilhelm der Vierte aus, als ihm der Gedanke vorschwebte, abseits von dem Getümmel des lärmenden Geschäftsverkehrs auf der von der Spree und dem Schifffahrtscanal gebildeten Halbinsel gegenüber dem Berliner Schlosse, der sogenannten Museumsinsel, den Künsten ein vielgestaltiges Heim zu errichten. So reihte er denn zunächst an das alte Museum, die Stiftung seines Vaters, das um das Doppelte größere neue an.

Im Dienste Friedrich Wilhelm’s des Dritten stand der größte Baumeister des Jahrhunderts, Karl Friedrich Schinkel, der jene grandiose, auf hohem Unterbau ruhende Säulenhalle schuf, deren einfache, aber mächtige Formen gegenüber den gewaltigen Verhältnissen des Schlüter’schen Schlosses ihre Wirkung behaupten. Es war eine karge Zeit: kostbare Baumaterialien standen dem Meister nicht zu Gebote. Die achtzehn Säulen der Vorhalle, die einundzwanzig Stufen, die zu ihr emporführen, und das Gesims wurden in Sandstein ausgeführt; im Uebrigen mußte für die Flächen Backstein herhalten, der einfach verputzt wurde. Als das neue Museum hinter dem alten erstand, wurden köstliche Marmorarten aus allen Theilen Europas herbeigeschafft, um das Innere zu schmücken, aber Schinkel hatte seine Augen längst geschlossen, und auf seinen Nachfolger Stüler war nur wenig von seinem Geiste übergegangen. Wohl schuf er in den Formen der hellenischen Renaissance, die Schinkel heraufgeführt hatte, aber sein Geist vermochte die Formen nicht zu beleben.

Mit der Anlage des neuen Museums war jenes Wort des kunstsinnigen Königs zu einem Theil erfüllt. Aber es gab noch mehr Terrain auf der in’s Auge gefaßten Stelle, das seiner Absichten harrte.

An der Nordspitze schneidet der Salzgraben in die Museumsinsel ein und bildet dadurch zwei Landzungen, von denen die eine, die südliche, wie es scheint, unwiederbringlich für die Zwecke der Kunst verloren ist. An sie dachte Friedrich Wilhelm der Vierte auch nicht mehr, als er jenes schöne Wort aussprach. Ein nüchterner Zweckmäßigkeitssinn hat diesen Raum für eine Anlage gewonnen, welche sich schlechterdings nicht mit dem Musenheim verträgt. Gegenüber der westlichen Seitenfront des neuen Museums, gegenüber dem Giebel seines Treppenhauses, der in Goldbuchstaben die stolze Inschrift trägt: „Artem non odit nisi ignarus! (Die Kunst haßt nur der Unwissende), erheben sich die rohen Ziegelgebände des Packhofes, einer steuerfreien Waarenniederlage.

Friedrich Wilhelm’s Augenmerk war auf die östliche Landzunge gerichtet, die er für Kunstbauten gewahrt wissen wollte. Die Angelegenheit beschäftigte ihn dergestalt, daß er selbst zum Stifte griff und in flüchtigen Zügen ein Gebäude entwarf, das seinen Platz zwischen der Spree und dem neuen Museum finden sollte. Er dachte sich eine Art von Platonischer Akademie, unsern klimatischen Verhältnissen angepaßt, ein auf allen vier Seiten von Säulengängen umgebenes Gebäude auf einem hohen Podium, welches gelehrten Versammlungen und Vorlesungen dienen sollte.

Das Project des Königs gelangte nicht zur Ausführung, wenigstens nicht in der von ihm gewünschten Gestalt.

Als der im Jahre 1861 verstorbene schwedische Consul J. H. W. Wagner in Berlin seine kostbare, in ihrer Art einzige Sammlung von Gemälden neuerer deutscher Meister dem damaligen König von Preußen testamentarisch unter der Bedingung vermachte, daß dieselbe ungetrennt erhalten bliebe und in einem geeigneten Locale in Berlin allen Künstlern und Kunstfreunden zugänglich gemacht würde, da erst erinnerte man sich wieder des hochherzigen Gedankens, den Friedrich Wilhelm der Vierte nicht vollendet hatte.

Wagner hatte in seinem Testamente seinen langgehegten Herzenswunsch, es möchte die Sammlung fortgeführt werden und zu einer nationalen Gallerie heranwachsen, „welche die neuere Malerei auch in ihrer weiteren Entwickelung darstellt“, angedeutet, ohne seine Erfüllung zu einer ausdrückliche Bedingung zu machen. Aber König Wilhelm machte, wie er sich in einem Erlaß an den damaligen Cultusminister ausdrückte, den Gedanken des patriotischen Stifters zu dem seinigen und verfügte, daß mit der Sammlung Wagner’s, dem „schönen Denkmal seiner treuen und uneigennützigen Liebe für die vaterländische Kunst“, der Grund zu einer vaterländischen Gallerie neuerer Künstler gelegt werde.

Am 22. März 1861 wurde die Wagner’sche Sammlung in den Räumen der Kunstakademie dem Publicum zugänglich gemacht, aber erst fünfzehn Jahre später, wiederum am Geburtstage des nunmehrigen deutschen Kaisers, wurde das neue stattliche Heim, welches die Wagner’sche Sammlung finden sollte, unter dem Namen „Nationalgallerie“ eröffnet. Der erlauchte Erbe hatte den Wunsch des Testators einer glänzenden Erfüllung entgegen geführt.

Der Erbauer des neuen Museums, Stüler, war beauftragt worden, die Pläne für das neue Galleriegebäude zu entwerfen. Noch war die Skizze Friedrich Wilhelm’s des Vierten für den Prachtbau vorhanden, den er sich als Mittelpunkt der ganzen forumartigen Anlage gedacht hatte. Diese Skizze legte Stüler seinem Entwurfe zu Grunde. Aber er unterzog sie im Aeußeren insofern einer sehr wesentlichen Umgestaltung, als er an Stelle des korinthischen Tempels mit ringsherumlaufenden Säulengängen, eine Bauform, welche die Griechen Peripteros nannten, einen Pseudo-Peripteros setzte. Statt der freistehenden Säulen, die allerdings den verfügbaren Raum erheblich beschränkt hätten, wurden mit der Wand zusammengewachsene Halbsäulen gewählt, und nur an der Front erhob sich eine von acht korinthischen Säulen getragene Halle. Das Innere mußte, der veränderten Bestimmung gemäß, völlig neu gestaltet werden.

Stüler starb kurz nach Vollendung der Pläne. Die Ausführung derselben begann im Frühjahr 1866 unter Leitung des jetzigen Geheimen Oberhofbauraths Strack und des seither auch bereits verstorbenen Geheimen Bauraths Erbkam. Es war inzwischen noch die Bedingung gestellt worden, daß der neue Bau Räume zur Aufstellung der Cartons erhalten solle, welche Cornelius im Auftrage Friedrich Wilhelm’s des Vierten für Frescomalereien in einer projectirten Begräbnißstätte für die königliche Familie gezeichnet hatte. Jahre lang hatten diese kostbaren Schätze, welche zu den werthvollsten und wichtigsten Materialien zur Geschichte der neueren deutschen Kunst gehören, zusammengerollt und in Kisten eingepackt auf den Bodenräumen der Kunstakademie gelagert. Jetzt sollten sie wiederum in dem „der deutschen Kunst“ geweihten Gebäude zu neuem Leben erstehen. So hat denn das erste Geschoß des Baues die Sculpturen und einen Theil der Gemälde aufgenommen, das zweite, das Hauptgeschoß, enthält in zwei großen Oberlichtsälen die herrlichen Cartons von Cornelius für den Camposanto der Königsfamilie und für die Münchener Gkyptothek sowie den Rest der Gemäldesammlung, während die Zimmer des obersten Geschosses, vor der Hand noch leer, wechselnden Gemälde-Ausstellungen neuerer Künstler dienen.

Die Vereinigung der Cornelius’schen Cartons mit den vom Consul Wagner gesammelten Gemälden schrieb genau die Richtung vor, in welcher bei einer Vermehrung der Sammlung vorgegangen werden mußte. Ein Gebäude, an dessen Frontispiz die Inschrift prangt: „Der deutschen Kunst“, hatte vor allen Dingen die Aufgabe, die Erinnerung an die kurze, aber herrliche Zeit der neuclassischen deutschen Kunst von Carstens bis Kaulbach in den Herzen späterer Generationen rege zu erhalten. Je vergänglicher der Stoff ist, auf welchen Cornelius, Carstens, Overbeck, Schnorr von Carolsfeld, Veit und Rethel ihre großen und erhabenen Gedanken hingeworfen, desto größer muß die Sorgfalt sein, die ihren geistigen Nachlaß hütet. Das Verständniß für die tiefsinnigen Conceptionen eines Cornelius wird immer seltener in einer Zeit, wo das künstlerische Handwerk, insbesondere die malerische das Auge bestechende Technik aller Orten den Gedankengehalt eines Kunstwerkes in den Hintergrund drängt. Als die Cartons unseres Cornelius nach mehr als zehnjährigem Verschollensein dem Publicum wieder zugänglich gemacht wurden, da erschienen sie in ihrer schier unfaßlichen Größe den Meisten wie eine fremde Welt. Es bedurfte eines Mannes, der mit Begeisterung für das theure Vermächtniß jener kurzen Blüthezeit der Kunst eintrat und der lebenden Generation die ihrem Verständniß entfremdete Welt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_254.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)