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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

das Küchenpersonal, Alles wimmelte wie ein Ameisenhaufen durch einander.“

Ihre Schilderung gipfelte in einem kurzen, melodischen Auflachen, während sie die goldene Uhr wieder befestigte, die sie bei einer ihrer lebhaften Gesten unabsichtlich aus dem Gürtel gerissen hatte.

„Ich wünschte nur, Du hättest die Großmama gesehen,“ fuhr sie fort. „Sie hat wieder die Neuralgie im linken Beine und sitzt wie festgenagelt im Fauteuil ... Du weißt, sie hat so einen großen, altadeligen Blick, der furchtbar imponirend ist, und wenn sie von ihrer Familie, den längst vermoderten Marquis Rougerole, anfängt, da wird mir immer himmelangst. Sie zählte richtig wieder alle die Henris und Gastons, die sich immer in der Erde umdrehen müssen, der Reihe nach an den Finger her, stampfte erbost mit dem gesunden Fuße auf, und sagte, die Mama sei nicht recht klug, daß sie mich – nämlich den letzten Sproß der alten Ahnenreihe – mit dem dummen Ding, der Kammerjungfer Minna, allein in die Welt hineinreisen lasse – na, so sehr Unrecht hatte sie nicht.“ Lucile kicherte schelmisch in sich hinein. Bei jeder ihrer unbeschreiblich graziösen Bewegungen klirrten die kostbaren Armbänder an ihren Handgelenken; das silbergraue Taffetkleid rauschte in jeder Falte, und der starke Rosenduft, der ihrer Erscheinung entströmte, hatte längst den Veilchenhauch des Wäscheschrankes unterdrückt.

Jetzt sah sie flüchtig prüfend mit den großen Augensternen, in denen helles Braun mit einem feurig schillernden Grün fortwährend um die Herrschaft stritt, zu dem jungen Mann empor. Er stand, die Hand auf den Tisch gestemmt, wie in stummer Verzückung da. Der augenblicklichen, unheildrohenden Situation und dem altfränkisch ausgestatteten Raum, welcher das Zimmer seiner tödtlich beleidigten Mutter war, im Geiste vollkommen entrückt, sah und hörte er nur das thaufrische, quecksilberige Geschöpfchen, auf dessen volllockigem Scheitel die Grazien ihren ganzen Feenzauber ausgeschüttet. Sie las die trunkene Zärtlichkeit in seinen Blicken und warf sich an seine Brust.

„Närrischer Felix Du!“ sagte sie und zupfte ihn neckend am Ohr. „Was hattest Du nur vorhin, als ich ankam? Und ich kam so stolz, weil ich den gloriosen Gedanke gehabt hatte, durchzubrennen. Und gar so leicht war das durchaus nicht, mußt Du wissen. Ich habe nun einmal von Mama her in Blut und Nerven von meinem tollen Kopf an bis in die allerkleinste Zehe hinab das prickelnde Verlangen, zu schweben, zu gaukeln, und zwar am allerliebsten vor tausend Augen und tausend bärtigen Lippen, die ‚Bravo!’ rufen bis zur Athemlosigkeit – und das sprach auch mit, Schatz – mehr als Du denkst.“

Mit einer schlangengewandten Biegung ihres schlanken Leibes entschlüpfte sie ihm wieder; seine starken, blonden Brauen hatten sich plötzlich finster zusammengezogen. Sie lachte und strich mit der Hand glättend darüber hin. „Großmama schalt wohl über das Telegramm,“ fuhr sie rasch, den fatalen Eindruck verwischend, fort; „aber sie befahl doch sogleich, daß im Eßsalon vor ihren Augen gepackt werde – o du Gerechter – war das eine Wirthschaft! Minna und Großmama’s alte, sauertöpfische Kammerjungfer schleppten die halbe Garderobekammer herbei, und es dauerte nicht lange, da verschwand die Großmama sammt ihrem Fauteuil hinter einem ganzen Berg von Gazeröcke, und ich sah nur noch manchmal die citronengelbe Schleife auf ihrer Haube wackeln, wenn sie schalt und commandirte. Ach, Felix, es prickelte mir unsäglich verführerisch in den Fußspitzen, bei all den flimmernden Theaterherrlichkeiten, die Mama allmählich für mich angeschafft hat, und als das Costüm der Gisella gebracht wurde – ein hinreißendes Costüm, sage ich Dir – da – da traten mir die Thränen in die Augen. Na, sei nur ruhig – was will ich denn machen? Ich stecke ja bis über beide Ohren in der fabelhaft dummen Liebe zu Dir, und da verschluckte ich denn auch tapfer meine Thränen und lachte heimlich über ‚Madame Lazare née de Rougerole’, die gerade in dem Augenblicke zu meiner Jungfer sagte: ,Minna, daß Sie sich nicht etwa unterstehen, auf den Bahnhöfen familiär neben Fräulein Fournier herzugehen! Sie haben sich hinter ihr zu halten, und in Wien wird nicht ausgeplaudert, daß Sie die einzige Reisebegleitung gewesen sind – das bitte ich mir aus!“ Ha, ha, ha – in Wien! Bei mir stand es bereits bombenfest, daß ich – zu meinem Schatz gehen würde.... Und da hast Du mich nun, Felix! – Minna sitzt mit Koffern und Schachteln im Hôtel, zwischen Weinen und Lachen und hat schreckliche Angst vor Mama und Großmama – willst Du sie nicht holen lassen?“

Er schrak in sich hinein, als bräche die Zimmerdecke über ihm zusammen – da war die schreckensvolle Wirklichkeit wieder. „Nein, hierher darf sie nicht kommen,“ versetzte er gepreßt; „und auch Du kannst nicht dableiben, Lucile.“

Jetzt erst sah sie sich um und schlug kichernd die Hände zusammen.

„Ach, das ist kostbar, Du bist wohl in die Leinenkammer Deiner Mutter gerathen?“ rief sie und zeigte nach dem offenen Wäscheschrank. „Aufrichtig gestanden, für immer möchte ich auch um keinen Preis hier bleiben,“ setzte sie nach einer weiteren Musterung hinzu; sie schüttelte sich, während ihr scheuer Blick an dem tiefen Thürbogen hinglitt, in welchem bereits intensive Finsterniß lagerte. „Ich fürchtete mich zu Tode, sage ich Dir. Wenn Du mir vom Klostergute gesprochen hast, dann mußte ich immer an Marmorsäulen, mächtige Bogengänge und Springbrunnen im Klosterhofe denken. Und nun führt mich der Lohndiener vor dieses scheußliche Nest und besteht darauf, daß es das Klostergut sei – ich habe mich beinahe mit ihm gezankt. Ach Gott, und das Entrée! Ich fiel um ein Haar über ein paar Eimer, die im Wege standen, ein kleines Kind schrie und krähte wie ein Hähnchen – wohl das hoffnungsvolle, kleine Wolfrämchen? Die ganze Hausflur roch nach gebratenem Speck – puh, Speck! Und nun gar das Prachtstück, das mich heraufgeführt hat und, wie mir scheint, Portier, Lakai und Hausjungfer in einer Person ist! Sie grinste mich verständnißinnig an und patschte mir gönnerhaft den Rücken – oh!“

In ihre glänzend weiße Stirn gruben sich ein paar leichte Falten der Besorgniß, während sie halb ängstlich, halb drollig hinzufügte:

„So viel weiß ich nun, Felix – Mama und Großmama dürfen nie hierher kommen. Das gäb’ einen gräßlichen Skandal, und die unglücklichen Rougerole’s müßten sich en tour in ihren Särgen umdrehen.“

„Beruhige Dich, Lucile! Mama und Großmama werden nie in diese Verlegenheit kommen,“ entgegnete der junge Mann schwerathmend. „Komm jetzt! Auch wir wollen gehen –“

„Wie, noch diese Abend?“ unterbrach sie ihn mit großen Augen. „Ohne Deiner Mama –“

„Meine Mutter ist nicht darauf eingerichtet, einen Gast wie Dich zu empfangen.“

„Aber, mein Gott, ich bin ja doch nicht so anspruchsvoll. Du sagst selbst immer, ich äße und nippte wie ein Vögelchen – freilich, für Speckeier danke ich. Aber Frau Wagner, unsere alte Köchin, behauptet stets, ein wenig Mayonnaise ober Aspic oder dergleichen, was ich so sehr gern nasche, müsse immer in einem anständigen Speiseschrank zu finden sein.“

Er preßte die Lippen fest auf einander, und ohne ein Wort zu erwidern, nahm er das Strohhütchen von dem Tische und drückte es sanft und vorsichtig auf das braune Gelock des jungen Mädchens.

„Nun, wie Du willst,“ sagte sie achselzuckend und steckte den Hut mit einer goldenen Nadel fest. „Gehen wir in das Hôtel?“

„Nein. Ich bringe Dich in den Schillingshof zu unserem Freunde, dem Baron Arnold.“

„O, das ist mir sehr lieb, das freut mich, Felix. Der nette Baron Schilling. Ich bin ihm gut! Werde ich auch seine junge Frau sehen? Ich sterbe vor Neugier, ob sie schön ist – das ist mir nämlich stets die Hauptsache, mußt Du wissen.“

Bei den letzten Worten hob sie ihre Gestalt, so hoch sie konnte, auf den Zehen, um in dem zwischen den Fenstern hängenden winzig kleinen Spiegel zu prüfen, ob der Hut „anständig“ sitze, aber lachend, mit einer schüttelnden Handbewegung, gab sie den Versuch auf.

„Großmama hat den Papa der jungen Baronin, den alten Herrn von Steinbrück in Coblenz, gut gekannt,“ plauderte sie weiter, „sie behauptet, er habe seine einzige Tochter im Kloster erziehen lassen.“

„Die Großmama hat Recht,“ sagte er und zog ihr den Schleier über das Gesicht. Die Arabesken und Ranken der schwarzen Spitze ließen kaum an einigen klaren Stellen die weiße Sammethaut

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_278.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)