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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

gewiß schon wieder bei der Großmutter und wird sich um Dich ängstigen.“

Die Kleine rührte sich nicht von ihrem Platze und wandte nur zornig die Augen weg; denn die Leute waren auch wie die Großmutter – sie „verstanden’s nicht“. Und nun gingen sie auch durchaus nicht fort und quälten sie, und sie mußte immer wieder sprechen und antworten. „Der Hausknecht muß gleich kommen; er geht um die Zeit die Abendwege,“ sagte sie mit abgewendetem Gesicht, jetzt selbst im Ton die finstere Entschlossenheit verrathend, die schon heute Nachmittag das schmale, kluge Kindergesicht so herb und drohend gemacht hatte. „Deswegen bin ich hergelaufen; der hat den Vater lieb – der sucht ihn mit mir.“

„Aber es wird gleich regnen,“ rief Lucile. „Schau, es fallen schon große Tropfen!“ Sie schüttelte lächelnd den Kopf, als das Kind schweigend und unbeweglich in seiner kauernden Stellung verblieb und nur die nackten Aermchen unter die Schürze steckte. „Was für ein trotziges, kleines Ding! – Da, wickle Dich hinein!“ sagte sie und warf ihr den Crêpe de Chine-Shawl zu, der über ihrer linken Schulter hing, aber das kleine Mädchen rührte keine Hand, um das kostbare, weiche Gewebe heranzuziehen; es sah nur seitwärts darauf nieder, wie es auf dem rothen Röckchen lag, zum größten Theil aber schneeflockenweiß den Kiesweg bedeckte und bereits von dem jetzt intensiver niedersprühenden Regen besprengt wurde.

Und nun floh Lucile selbst, lachend und die Kleider zusammenraffend, dem Säulenhause zu; denn sie wollte sich nicht mit „windelnassem Nixenhaar“ statt ihrer herrlich wallenden Locken im Schillingshofe vorstellen.




7.

Felix zog die Hausglocke, und die mächtige Rundbogenthür unter der Säulenhalle that sich geräuschlos auf. Früher hatte hier von der Decke der Flurhalle eine einfache Glasglocke mit der dürftigen Flamme eines Oellämpchens an langer Kette tief niedergehangen; ihr Schein hatte gerade hingereicht, dem spiegelnden Mosaikfußboden einen kleinen, blassen Reflex zu entlocken und den Weg in die dunklen Eingänge der Seitencorridore zu zeigen – heute aber schrak das Auge zurück vor der Lichtfluth, die den Lampentulpen der Wandleuchter entströmte. Feierlich sahen die ernsten, schönen Mädchengesichter der den Plafond tragenden schlanken Karyatiden hernieder; feierlich vornehm klang der Schritt des in sehr reservirter Haltung hervortretenden Bedienten auf der hallenden Steinmosaik. Felix zögerte beklommen an der Schwelle. Der einst nothwendiger Weise nach bürgerlich gemüthlichem Zuschnitt geführte Haushalt im Schillingshofe, der ihn so sehr angeheimelt, hatte, in jäher Wandlung der äußeren Verhältnisse, sofort das aristokratische Air wieder angenommen, das dem alten Geschlecht der Freiherren von Schilling von Rechtswegen zukam.

„Ist Baron Arnold von Schilling zu Hause?“ fragte der junge Mann den Bedienten.

„Ja, Felix!“ rief eine schöne, vollklingende Männerstimme aus dem nächsten Zimmer herüber, dessen Thür sich eben aufthat. Der Sprechende trat heraus, aber er fuhr bestürzt zurück, als Lucile wie eine Libelle auf ihn zuflog.

O, cher Baron, was machen Sie für ein komisches Gesicht!“ lachte sie. „Genau wie Felix – der stand auch wie Lot’s Weib da.“

Ihre lustig laute Stimme scholl wie Flötenton von den hohen polirten Steinwänden der Flurhalle zurück. Unter ungeduldigem Aufstampfen mit dem Fuße begann sie abermals den Kampf mit dem widerspenstigen Schleier, und jetzt flog er in Fetzen herunter – das reizende Gesicht mit seinem pikantesten Ausdruck kam in mattweißer Frische wie eine Theerosenknospe zum Vorschein.

„Grüße von Mama und Großmama bringe ich Ihnen selbstverständlich nicht, denn“ – sie legte die Hand auf den Mund; der lustige Schalksstreich durfte nicht auch von den Wänden wiederklingen – „denn ich bin durchgebrannt, müssen Sie wissen.“

Baron Schilling sah tief betroffen und forschend über ihren Kopf weg in das Gesicht seines Freundes, das so bleich und verstört erschien.

„Kann ich Dich und Deinen Vater für eine halbe Stunde allein sprechen?“ fragte Felix; in der fliegenden Hast, mit der er sprach, malte sich die ganze Bedrängniß seiner Seele.

„Komm, der Papa ist noch in seinem Zimmer,“ versetzte Arnold und wandte sich rasch nach den Gemächern seines Vaters.

Felix zögerte.

„Ich möchte Dich bitten, vorerst Lucile bei Deiner jungen Frau einzuführen.“

„Bei meiner Frau?“ Das klang überrascht, verlegen und auch, als müsse er sich erst etwas ganz Erstaunliches zurechtlegen, aber schnell entschlossen setzte er hinzu, nicht ohne daß ein charakteristisches flüchtiges Lächeln seine Lippen umflog: „Auch das, wenn Du es wünschest, Felix. Gehen wir!“

Lucile steckte die Reste ihres Schleiers in die Tasche, schüttelte die Locken in den Nacken und hing sich vertraulich an den dargebotenen Arm des Baron Schilling. Er führte sie, von Felix begleitet, nach dem Corridor, oder besser gesagt, nach der Gallerie linker Hand; denn dieser Gang entsprach in seinen bedeutenden Dimensionen dem entgegengesetzten, nach Süden hinlaufenden, in welchem seitwärts eine breite, prächtig ausgeführte Wendeltreppe nach den oberen Stockwerken stieg. Zwischen den halbrundbogigen Fenstern, die sich, hoch und weit wie Thüren nach dem Garten zu aufthaten, vertieften sich Nischen in der Wand, die Pater Ambrosius, der Benedictinermönch, in nichts weniger als asketischer Verzückung mit nackten Marmorgestalten der griechischen Götterwelt ausgefüllt hatte. Dieser Ausschmückung gemäß war auch später unter dem zugemauerten imposanten Steinbogen der einst in das Klosterhaus führenden Thür eine Laokoongruppe aufgestellt worden.

Lucile schritt wie beflügelt an den weißen Götterbildern hin – ihr war, als gehe sie durch Foyer und Gallerien eines Opernhauses. Hinter diesen Marmorleibern, an der entgegengesetzten Wandseite, reihten sich die Bretter des Wandschrankes über einander – hier ein von Licht verschwenderisch übergossenes Kunstgebild, und jenseits, nur durch eine Schicht Backsteine getrennt, die abgegriffenen Haushaltungsbücher, der Blechkasten mit dem Milchgeld im Schrankdunkel!

Wenige Stunden voll erbitterten Wortstreites hatten dort drüben den Verstoßenen aus seiner Bahn in das Dunkel einer unsicheren Existenz hineingeschleudert, und sie, die Verwöhnte, in schwelgerischem Luxus Erzogene, sein vergöttertes Mädchen, das da so elfenhaft vor ihm hinschwebte, riß er mit sich in den Strudel, der ihn erfaßt.

Baron Schilling lenkte seine Schritte nach dem sogenannten Familiensalon am Ende der Gallerie. Das war immer das Lieblingszimmer des alten Freiherrn gewesen. Es machte, trotz seiner saalartigen Weite, einen anheimelnden, warmen Eindruck durch die mächtigen mit Schnitzwerk verzierten freiliegenden Deckenbalken und die holzgeschnitzten Felder, die breit die Wand hinaufliefen, sodaß sie wie Fensterwölbungen die schmalen, graugetünchten Zwischenräume der eigentlichen Wand umschlossen. Diese Schnitzereien lagen zierlich durchbrochen, in künstlerisch verschlungenen Arabesken, wie Spitzen auf glattem Untergrund – sie waren von hohem Kunstwerth und wurden ängstlich behütet.

Der alte Freiherr hatte der Originalität des Zimmers wenig Rechnung getragen; er hatte einige Jagdstücke in glattem Goldrahmen auf die freien Mauerstreifen gehangen und es sich mit modern behaglichen Polstermöbeln bequem gemacht. Mit dem Einzug der neuen Herrin des Schillingshofes war auch das anders geworden. Die leeren Flächen zwischen dem Schnitzwerk füllte Wandmalerei auf lichtgrauem Grunde; Stühle, hochlehnig und durchbrochen geschnitzt, und vierbeinige Schemel standen umher, und die Kissen, die auf den Sitzen lagen, deckte ein dunkelgrüner, mit Silberfäden durchzogener, gewirkter Seidenstoff. Dieser starre Brocat rauschte auch breit an den Fenstern nieder; Spitzenvorhänge von uraltem Niederländer Muster lagen darüber, und das dunkelglänzende Grün hob jede Rankenverschlingung, jede Blumenform hervor, als sei sie hingemalt. An der tiefen Wandseite aber, zu beiden Seiten der Thür, standen Credenztische mit hohem Aufsatz – den mittelalterlichen „Tresuren“ entsprechend – und sie zeugten am deutlichsten von dem Reichthume, den die junge Frau den Schillings zugebracht; sie waren mit Silber- und Krystallgefäßen so beladen, daß sich selbst das Tafelgeschirr des reichen Benedictiner-Abtes, welches das Säulenhaus

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_295.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)