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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

einst bei fürstlichen Gelagen gesehen, wohl hätte verstecken müssen.

Von einem der Deckenbalken hing eine Ampel nieder, die ein mildes Licht verbreitete, aber auf dem kleinen Tische, hinter welchem die junge Frau saß, stand eine Kugellampe und beleuchtete voll den blonden Kopf, der sich über eine Handarbeit beugte.

Lucile verzog spöttisch die Lippen, denn das Gesicht, das sich jetzt langsam den Eintretenden zuwendete, war das eindrucksloseste, das sie je gesehen – graublond das Haar und grau der Teint, das Gesichtsoval langgestreckt, ohne jedwede liebliche Rundung, die sonst der Jugend eigen – und doch sollte diese Frau kaum zwanzig Jahre alt sein.

„Liebe Clementine, ich bringe Dir hier meinen Freund Felix Lucian und seine Braut, Fräulein Fournier, aus Berlin“ – sagte Baron Schilling mit der ihm eigenen höflichen Kürze und Nonchalance – „und möchte Dich bitten, die junge Dame in Deinen Schutz zu nehmen, während wir den Papa in seinem Zimmer aufsuchen.“

Die Baronin erhob ihre schlanke, schmächtige Gestalt ein wenig und neigte begrüßend den Kopf. Ihre blondbewimperten Augen blieben einen Moment an den reizenden Zügen des jungen Mädchens hängen, und das kühle Lächeln auf ihren Lippen erlosch. Sie ließ sich auf den Stuhl zurücksinken und zeigte mit einer anmuthigen Handbewegung einladend auf den Schemel, der neben ihr stand. Das geschah stillschweigend; man hörte das Knistern des seidenen Rückenpolsters unter dem flechtenbeschwerten Kopfe, der sich hinlehnte.

Baron Schilling bückte sich und hob eine Mappe vom Teppich auf – verschiedene Blätter, die ihr entfallen, raffte er zusammen – er war dabei sehr roth geworden „Meine Skizzen haben keine Gnade vor Deinen Augen gefunden, wie ich sehe,“ sagte er und schob die Blätter in die Mappe.

„Verzeih’ – das angestrengte Vertiefen in Deine Ideen macht mich nervös, wenn ich allein bin“ – sie hatte eine angenehme Stimme, aber in diesem Augenblicke klang doch auch eine hörbare Gereiztheit durch; „ich kann mich überhaupt nur hineinfinden, wenn Du erklärend neben mir sitzest.“

„Oder wenn ich erklärend wie jener unglückliche Stümper darunter schreibe: Das soll ein Hahn sein etc.!“ lachte Baron Schilling scheinbar amüsirt auf. „Da siehst Du nun, wie wirkungsvoll meine Entwürfe sind, Felix!... Und da wolltet Ihr mir immer weiß machen, ich habe Talent. – Aber wir müssen gehen, wenn Du den Papa noch vor dem Thee sprechen willst.“

Sie gingen hinaus, wobei Felix einen ängstlich besorgten Blick auf sein Mädchen zurückwarf. Sie saß offenbar plauderlustig, in unverkennbarem Triumphe der Schönheit neben der seltsam schattenhaften Frauenerscheinung, die sich so frostig verhielt. Er sah noch, wie Lucile den Hut abnahm, während die Baronin mit ihren langen, elfenbeinweißen Fingern wieder nach der Handarbeit griff.

„Sie erlauben, gnädige Frau,“ sagte Lucile und warf ungenirt ihren Hut auf einen ziemlich fernstehenden Schemel.

Die Baronin sah mit einem großen, verwunderten Blick auf und verfolgte den Bogen, den das federgeschmückte Strohhütchen in der Luft beschrieb – es fiel zur Erde. In diesem Augenblicke rauschten die Brocatvorhänge des einen Fensters aus einander, ein Aeffchen schlüpfte heraus und griff nach dem Hute.

Lucile schrie auf – das Ding sah aus wie ein kleiner schwarzer Teufel.

„Hierher, Minka!“ befahl die Baronin und drohte mit dem Finger. Minka hielt sich mit beiden Armen den Hut über den Kopf und lief so auf ihre Herrin zu. Das sah über alle Beschreibung lächerlich aus. Lucile vergaß ihren Schrecken und lachte wie ein Kobold , während die junge Frau keine Miene verzog und dem Thierchen seinen Raub abnahm.

„Ich bedaure, daß das Thier Sie erschreckt hat,“ sagte sie und legte den attakirten Hut auf den Tisch, dicht vor dem jungen Mädchen nieder. „Mein Mann kann Minka nicht leiden – das weiß sie und verhält sich stets ruhig in ihrem Verstecke, so lange er im Zimmer ist. Ich hatte vergessen, daß sie in der Nähe war.“

„O, solch ein kleiner Schrecken schadet mir nicht – ich bin ja nicht nervenschwach wie Mama, ich bin jung und gesund,“ entgegnete Lucile frisch und fröhlich, indem sie das Aeffchen mit den zärtlichsten Geberden an sich zu locken suchte. Ja, jung und gesund, bezaubernd schön und graziös war das Mädchen, an welchem die grauen Augen der Baronin mit einem langen, versteckten Seitenblick hinglitten. „Da habe ich mich vorhin weit schlimmer alterirt – auf dem Klostergute stieß mich ein vorbeispringendes Ungethüm beinahe über den Haufen – Felix behauptet, es sei eine Katze gewesen.“

„Sie sind besuchsweise auf dem Klostergute?“

„Ich? Gott soll mich bewahren!“ rief Lucile, förmlich entsetzt, mit aufgehobenen Händen protestirend. „Mich überläuft es eiskalt, wenn ich mir denke, ich sollte auch nur eine Nacht ist dem Hause schlafen. – Waren Sie je drüben?“

Die junge Frau schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht gewöhnt, Nachbarschaften zu cultiviren.“

„Nun, dann können Sie sich freilich keinen Begriff machen, wie es drinnen aussieht. Es ist mir ein völliges Räthsel, wie es Felix aushalten mag in diesen Stuben voll urweltlicher Möbel, zwischen die wir nicht einmal unsere Domestiken stecken würden, und so grob und unbeholfen mag wohl auch das Bettzeug sein. Man ist ja das doch nicht gewöhnt – o, was für ein süßes, närrisches Geschöpfchen!“ unterbrach sie sich und liebkoste das Aeffchen, das ihr auf den Schooß geklettert war und in fast menschlicher Art die kleinen Arme um ihre Schultern legte.

Sie löste mit flinken Fingern vom Handgelenk ein Bracelet, auf dessen elastisches Band steinbesetzte, goldene Schilder gereiht waren, und legte es Minka um den dünnen Hals, und auf den kleinen haarigen Schultern drapirte sie ihr Battisttaschentuch, das sie mit einer Brosche auf der Brust zusammensteckte. Sie lachte wie toll, als der Affe auf den Boden zurücksprang und mit fletschenden Zähnen an dem Taschentuche zerrend die Spitzenkante zerriß, während man zugleich hörte, wie das Thier mit seinen Nägeln das unwillkommene Halsband bearbeitete.

Mit sichtlichem Verdruß in Zügen und Geberden befreite die Baronin das Thierchen, das sich schließlich zu ihr flüchtete.

„Ich fürchte, das Armband ist verdorben,“ sagte sie eiskalt, indem sie die Sachen neben den Hut legte.

„Bah, was schadet das? Das Bracelet ist vom Fürsten Konsky, den ich absolut nicht leiden kann,“ entgegnete Lucile verächtlich und steckte Tuch und Armband nachlässig in die Tasche.

Die junge Frau sah überrascht auf. „Den Fürsten Konsky kenne ich,“ sagte sie. „Verkehrt er viel im Hause Ihrer Eltern?“

(Fortsetzung folgt.)




Das „gelobte“ Land.

Ein Wort über Colonisationsversuche in Palästina.

Von Professor Sepp.


Im Ausstellungssaale des Kunstvereins zu München hängt augenblicklich ein Aquarellbild von Berninger aus. „Die Juden an der Klagemauer zu Jerusalem“. Es sind meist Greise, welche hier ein Volk repräsentiren, das, vielgestaltig zwar wie Proteus, allgegenwärtig auf der Erde ist wie die Luft, ein Volk, das vermöge einer einzigartigen geschichtlichen Vergangenheit heute ebenso in seinen höchste Spitzen unentwirrbar mit der Cultur der civilisirtesten Nationen verflochten ist, wie es in anderen Elementen den engsten Zusammenhang mit dem eigenen uralten Culturbestande gewahrt hat.

Zu diesen letzteren Elementen zähten die Gestalten des Bildes, Gestalten, welche ebenso gut an den Anfang unserer Zeitrechnung gepaßt hätten, wie in den Orient unserer Tage. Da stehen sie und umfassen mit ausgespannten Armen die Riesenquader der Umfassungsmauer des Salomonischen Tempels außerhalb an der Abendseite, zunächst jener Stelle, wo das Allerheiligste

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_296.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)