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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

das mächtige Zeughaus umgeben, schon früh mit Schaulustigen aller Art bedeckt sind! Endlich öffnen sich die Thore des Portals. Zwei berittene „Aufbieter“, denen drei in die Stadtfarben gekleidete Trompeter folgen, eröffnen den langen Zug. Die drei vom Rath verordneten Kriegsherren, auf mit prächtigen Decken verhängten Pferden reitend und von acht Partisanenträgern umgeben, bilden gewissermaßen die Anführer der mit prächtigen Pferden und Waffen ausstaffirten Reiterschaar, welche, den Carabiner kriegsmäßig auf den Schenkel gestützt, jetzt fünf Mann hoch aus der Seitenstraße in den Zug einlenkt. Es sind Patricier, ansehnliche Kaufherren mit ihren Söhnen, welche dieses auserlesene Geschwader bilden. Demselben schließt sich unmittelbar eine Schwadron städtischer Soldreiter an, denen dann in unabsehbarer Reihe die Bürgercompagnien, theils mit Gewehren, theils mit langen Spießen bewaffnet, folgen. Jeder Compagnie spielen Trommler und Pfeifer, unter welch letzteren wir auch schon den Fagottisten erblicken, tapfer auf. Zimmerleute, Schanzgräber etc. mit ihren Werkzeugen und einer Fahne, welche in der Inschrift: „Es zielet zum Nutzen und Beschutzen“ zugleich die Jahreszahl enthält, Corporale, Rottmeister , Feldwebel, Büchsenmeister mit der eisernen Luntengabel auf der Schulter verkünden uns das Herannahen der vier Falkonette, mit denen heute das Schießen abgehalten werden soll. Jedes der Geschütze wird von vier Pferden gezogen und von zweiunddreißig Constablern begleitet. Auf demselben aber sitzt je ein Knabe; Blumen und Weintrauben für Frühling, Sommer und Herbst, für den Winter aber ein derber Schafpelz bilden die Attribute der die Jahreszeiten auf diese Art allegorisch darstellenden kleinen Künstler. Auf einer der Fahnen, welche sie führen, sehen wir das jedenfalls von einem mit Wien liebäugelnden Patricier ersonnene Triumphet Leopoldus – auf einer andern das fromme Deo duce, auf der dritten endlich bezeichnend genug: Floreat pax.

Zeugmeister, Stückgießer, Zeugdiener, „Arteglersschmiede“ und Schanzmeister folgen den Geschützen. Besonderes Gelächter erregt die Ankunft eines Pulverwagens, von dessen Verdeck ein lustiger Geselle in der schwarze Maske des Vulcan den aufkreischenden Dirnen aus seiner diabolischen Fratze allerhand Gesichter zuschneidet. Eine Compagnie geworbener Fußknechte endlich beschließt den langen Zug, welcher, nachdem er den im Rathhause versammelten Rath durch eine Art Parademarsch beehrt, zum Schießplatze marschirt.

Derselbe ist auf zwei Seiten hin von einem Walle umzogen. Während unter einem hohen Zelte die verordneten Kriegsherren Platz genommen, in dem daranstoßenden der Zeugschreiber aber unter Pfeifen- und Schalmeienklang die Treffer notirt, drängt sich das zuschauende Volk längs den Stricken hin, welche den eigentlichen Schießplatz von den Vergnügungszelten im Hintergrunde abschließen. Noch immer erscheint die „Arkelei“ dem gemeinen Manne als etwas Absonderliches, wenn nicht Unheimliches; noch immer gilt der abgeschlossene Geschützplatz dem Volke für ein Asyl. Nicht allein in damaliger Sitte, auch in der seinem Amte zustehenden Würde liegt es daher, wenn der oberste Büchsenmeister nur mit Gravität und wenigen Worten dem mit Ladeschaufel dastehenden Constabler Kraut und Loth überweist. Die Batterie selbst ist auf das Sorgfältigste und nach den neuesten Erfindungen damaliger Kriegskunst erbaut. Das Zielobject besteht in einer Scheibe, welche von der Batterie 600 Schritt entfernt und 10 Fuß breit ist. Hoch auf der Schanze stehend, beobachtet der Zeugmeister mit einem Glase die Wirkung der Schüsse, und seine feste, durch den aufgestemmten Stock noch ruhiger erscheinende Haltung verbürgt uns volle Zufriedenheit mit den im Pulverrauch so emsig hantirenden Constablern.

Drüben, jenseits der Seile, zeigt sich dem Beschauer ein minder ernstes Bild. Fröhliche Zecher sitzen in dem großen Zelte bei mächtigen Humpen Frankenweins; ebenso lustig aber geht es auch in den kleineren Buden zu, denn hier trinkt man das vortreffliche Weizenbier, welches in dem Brauhause des Heiligen-Geistspitals in so vorzüglicher Güte hergestellt wird. Auf dem grünen Wiesenplane tummelt sich ein fröhliches Volk – Glückstopf, Zinnbuden, wo man um Hausrath würfelt, und Anderes bieten für Groß und Klein die angenehmste Unterhaltung; manch Strolchengesicht taucht auch wohl im Volksgedränge auf, den noch immer gilt Nürnberg für eine reiche Stadt, und wenn die Stadtdiener auch ein scharfes Auge auf derlei Diebsgesindel haben – letzteres tröstet sich doch immer noch mit dem alte Sprüchlein. „Die Nürnberger hänge keinen, sie hätten ihn denn vor.“

Wacker wird während der vier Tage geschossen, und bevor die greisen Losunger (ältesten Bürgermeister) in ihrer Staatscarosse heimfahren, lassen sie durch den Mund des Zeugschreibers zur großen Genugthuung sämmtlicher Bürgerschaft männiglich künden, daß sie vom diesjährigen Stückschießen „absonderlich contentiret, sintemal von denen Constablern die Scheibe über zweihundertmal getroffen worden.“ – Der hochedle Rath aber läßt zum ewigen Andenken dieser Tage goldene und silberne Medaillen prägen.




Der Sperling und die öffentliche Meinung.
Von Dr. Karl Ruß.


„Dir gönnen Ruh’ an keinem Platz
Die kleinen Herren und die großen;
Allüberall, mein lieber Spatz,
Wirst du gescholten und gestoßen.“

So sang der Dichter Julius Sturm, und wie er, traten die Schriftsteller auf dem Gebiete der volksthümlichen Vogelkunde fast ohne Ausnahme mit förmlicher Begeisterung für den Sperling ein, als nützlichen Vogel, lustigen Kauz, Weltweisen der Straße etc.. Wenn irgendwo ein Feinschmecker, vielleicht in gar berechtigtem Zorn, seinen Unmuth äußerte über die argen Näschereien des Sperlings, wenn Andere klagten über seine Zudringlichkeit, sein häßliches Geschrei u. dergl., so läßt der Dichter dagegen seinen trostvollen Ruf an den Sperling erklingen:

„So lebst du mit der Welt im Streit,
Und keiner läßt dich ungeschoren,
Doch war die Welt zu aller Zeit
An Weisen ärmer als an Thoren.
Drum, schilt ein Thor dich Schelm und Dieb
Und spart an dir nicht Schimpf und Schande:
Mein lieber, kluger Spatz, vergieb
Die Feindschaft seinem Unverstande!“

Die Verketzerungen des Sperlings haben trotzdem schnell überall Eingang gefunden, und heute halten ihn alle Leute für einen lästigen und unter Umständen widerwärtigen Patron – bestenfalls für ein nothwendiges Uebel, da er im Haushalte der Natur, beziehentlich für unsere Culturen, unentbehrlich sei.

Im Einklang hiermit steht der Ausspruch des sächsischen Landesculturraths, welcher kürzlich durch alle Zeitungen die Kunde machte. Nach dem Bericht des Generalsecretärs Herrn von Langsdorf hat die wissenschaftliche Untersuchung zahlreicher Sperlingsmagen ergeben, daß unsere Vogelproletarier während der Zeit von acht bis neun Monaten ausschließlich von Körnern leben; abgesehen davon, daß sie durch ihre Näschereien an allerlei keimenden Gemüsesamen, zarten Zuckerschoten, süßen Kirschen, reifendem Getreide u. dergl. m., nicht selten empfindlichen Schaden verursachen. Die Erbitterung einiger ländlichen Gemeinden sei eine so große, daß man eine Fehde gegen den Sperling beginnen werde, trotz des bestehenden polizeilichen Verbots. In jener Verhandlung wurden alle seine übelen Eigenschaften hervorgehoben, und es wurde selbst erwähnt, daß er sich in fernen Welttheilen, wie Australien und Amerika, wo man ihn eingeführt, bald so unausstehlich gemacht, daß die Gärtner und Landwirthe froh sein würden, wenn sie ihn wieder los werden könnten. Als sein Vertheidiger war der Director der Forstakademie von Tharandt eingetreten, hauptsächlich mit dem Hinweis auf die Thatsache, daß der Spatz in der Zeit, in welcher er keine Sämereien findet, doch Insecten in beträchtlicher Anzahl vertilge. Die oben genannte Behörde faßte, freilich nur mit der Mehrheit einer Stimme, den Beschluß, das königliche Ministerium um Aufhebung des gesetzlichen Schutzes für die Sperlinge zu ersuchen.

Die Sperlingsfrage hat in der That viel mehr Staub aufgewirbelt,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_306.jpg&oldid=- (Version vom 1.4.2018)