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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Sie hielt den Blick mit einem schattenhaft um den Mund irrenden, spöttischen Lächeln aus und schüttelte den Kopf, als sei sie entschieden nicht gewillt, den eigentlichen Sinn ihrer Worte auch nur um ein Jota verdrehen zu lassen. Es war überraschend zu sehen, wie ein starrer Eigenwille jeden Muskel dieser scheinbar schlaffen, energielosen Nonnengestalt urplötzlich spannte und belebte.

„Da hast Du’s, Arnold!“ lachte der Freiherr grimmig auf. „Nun kannst Du Dich abermals aufsetzen und noch dazu gegen Frauenvorurtheil – o je!“ – Er fuhr sich mit komischer Verzweiflung in das dicke, volle Grauhaar hinter dem Ohr. „Hab’s übrigens nicht besser gemacht. – Schau’, Clementine, ich bin blind – deutsch herausgesagt – ein Einfaltspinsel gewesen, weil ich Arnold’s Begabung nicht verstanden habe. Na, gar so verwunderlich ist’s im Grunde nicht, denn wir Schillings haben eigentlich immer zu den schönen Künsten gepaßt wie der Esel zum Lautenschlagen.... Gerade aus dem Grunde habe ich aus Leibeskräften gegen die ‚Klexerei’ protestirt, und da hat’s der arme Kerl hinter meinem Rücken thun müssen. Nun schreiben sie mir von Berlin aus, mein Sohn werde eine große Carrière machen, und ich muß mich schämen vor den Leuten, schämen wie ein begossener Pudel. Hätte ich nur die blasse Ahnung davon gehabt, was in meinem Jungen steckt, da – na, da wär’ Vieles anders gekommen.“

Ein dunkler Seitenblick aus den grauen Augen traf ihn.

„Ach so, Du meinst, Papa, der Malerpinsel hätte die letzten Schillings reichlich ernähren können?“

„Clementine!“ unterbrach sie der junge Mann rasch, mit tiefverfinstertem Gesicht.

„Ich bitte Dich, brause doch nicht auf, Arnold!“ klagte sie und fuhr mit der Hand leicht nach dem Ohr, als berühre sie der Klang dieser schönen, tönenden Männerstimme peinvoll. Sie war offenbar nervenleidend und augenblicklich in sehr gesteigerter Aufregung, aber sie schwieg nicht. „Sage doch selbst, ob Du von dem Honorar leben könntest, das die Leute aus der – der Demimonde zu zahlen vermögen? Zum Exempel, was hat Dir die ‚Desdemona im weißen Atlaskleide’ eingetragen?“ Unter der nervös zuckenden Oberlippe glänzten perlweiße, aber lange Zähne.

Jenes charakteristische Lächeln, das schon in der Flurhalle um den Mund des jungen Mannes gespielt hatte, erschien flüchtig wieder. Er sah ausdrucksvoll ironisch nach Lucile hin, der es sichtlich in allen Fibern prickelte, der „langen grauen Person“ für die „Demimonde“ eine allerliebste Sottise in’s Gesicht zu sagen.

„Das Bild hat mir nach vielen gescheiterten Versuchen das Glücksgefühl eingetragen, die rührende Gestalt der unglücklichen Dogentochter doch annähernd so veranschaulicht zu haben, wie sie in meiner Phantasie lebt,“ sagte er mit heiterer Ruhe. „Madame Fournier hat ein herrliches Profil, und ihre Aufopferung, ihre Geduld, sich während der Sitzungen zu langweilen –“

„Zu langweilen?!“ wiederholte die Baronin unter einem leisen, hysterischen Auflachen. „Es ist schlimm, Arnold, ja, es führt zu Täuschung und Betrug in der Ehe, wenn vor der Verheirathung Eines vom Andern so wenig erfährt, wie zum Beispiel wir Beide,“ setzte sie gleich darauf hinzu – ihre schwache Stimme erstickte fast in Bitterkeit.

Der Freiherr war eben im Begriff, ein Ei aufzuklopfen – wie auf einen Ruck hielt er inne; mit seinem mächtigen Kopf, in welchem die Augen unter den tiefgefalteten Brauen grimmig funkelten, sah er aus wie ein zornig knurrender Löwe. Er hatte offenbar eine sehr derbe Antwort auf den Lippen, aber er bezwang sich.

„Zum Kukuk auch, da höre ich ja etwas ganz Neues!“ sagte er anscheinend humoristisch. „Also Arnold weiß nicht genug von Deiner Vergangenheit? Wozu denn aber auch, kleine Frau? Die Verheirathung ist ja doch kein Eintritt in ein Geschäft oder dergleichen, bei welchem man einen schriftlichen Lebenslauf abzugeben hat! Du bist zwar bis zu Deinem neunzehnten Jahre im Kloster erzogen worden, aber wir setzen trotzdem anständiger Weise voraus, daß da Alles mit rechten Dingen zugegangen ist – oder nicht, Clementine? Wie?!“

Die Baronin war bis dahin, selbst bei ihren schneidend und maliciös accentuirten Bemerkungen, ihren Obliegenheiten als Herrin am Theetisch pünktlich nachgekommen – jetzt zog sie ihr Taschentuch hervor und drückte es mit zitternder Hand wiederholt an Mund und Stirn, als alterire sie die anzügliche, derbe Ausdrucksweise ihres Schwiegervaters bis zur Ohnmacht, oder auch, als befürchte sie Blutspucken.

Baron Schilling sah seinen Vater vorwurfsvoll bittend an und zog die Hand seiner Frau liebreich an sich.

„Du darfst meiner Vergangenheit ebenso ruhig vertrauen, wie der Zukunft, die Du an meiner Seite verleben wirst,“ sagte er mild und freundlich, wie ein treuer, zartfühlender Bruder, der über die weiblichen Schwächen einer Schwester nachsichtsvoll hinwegsieht. „Du wirst Dich auch allmählich in die Ueberzeugung einleben, daß mich mein Streben mit allen Schichten der menschlichen Gesellschaft in Berührung bringen muß. Darf irgendwo der Satz, ‚der Zweck heiligt das Mittel’ Anwendung finden, so ist es in der verklärenden Kunst. Ihre Motive sucht sie im Boudoir, wie in der Dachstube, und wenn mich ein Charakterkopf interessirt, so gehe ich ihm nach, und sollte es bis in die Höhle des Verbrechens sein. Diese Duldung muß jede Künstlerfrau üben, und auch Du wirst sie lernen.“

„Nein, Arnold. Derartige sanguinische Hoffnungen lasse Dir nur gleich vergehen!“ erklärte sie mit einer Ruhe, die nach der eben an den Tag gelegten beängstigenden Nervosität förmlich frappirte. „Ich bin streng wahrhaftig erzogen und verstehe nicht zu lügen. Zu den Madonnenbildern bete ich, und in der Messe harre ich aus bis zum letzten Ton – als gute Katholikin muß ich das – sonst aber ist mir alles, was Malerei, Musik und dergleichen heißt, in tiefster Seele zuwider.“

Sie sprach mit gesenkten Augen völlig leidenschaftslos und eintönig und zupfte dabei mechanisch an der Spitzenecke ihres Taschentuches. Aber ihre Brust dehnte sich wie befreit unter den verletzenden Worten ihres Bekenntnisses, das einer kaltblütigen Rache für die Malersünden des jungen Ehegemahls sehr ähnlich sah.

„Du siehst, ich habe auch den Muth der Wahrhaftigkeit, Arnold,“ fuhr sie in demselben Tone fort und hob die Lider. „Ich mache es nicht wie viele meines Geschlechts, die nicht einen Schritt weit gehen würden, um einen Raphael zu sehen, oder Beethoven’sche Musik zu hören, wenn sie nicht das Anathema der Kunstnarren fürchteten – sie heucheln, ich aber bekenne offen, daß Gemälde für meine angegriffenen Augen Farbenklexe sind, und Zeichnungen mich langweilen, daß die Musik an meinen Nerven schmerzhaft reißt, daß ich eine ausgesprochene Idiosynkrasie hege gegen alles, was sich Künstler nennt – und deshalb darf es Dich nicht wundern, bester Arnold, wenn ich wohl die Gemahlin des Baron Schilling, auf keinen Fall aber eine Malerfrau sein will und die gewünschte Duldung niemals üben werde.“

„Das wird sich finden,“ sagte Baron Schilling kurz; er war bleich geworden, und seine Stirn furchte sich, aber seine ruhige stolze Haltung bewies unwiderleglich, wer schließlich „der Herr“ sein würde.

Die junge Frau blickte vor sich nieder – diesmal augenscheinlich betroffen; der rauh gebieterische Ton schien ihr erschreckend neu zu sein; sie hatte vielleicht von ihrer „Wahrhaftigkeit“ einen anderen Effect erwartet.

Während dieser Wechselreden hatte Felix Lucian schweigend zwischen Baron Schilling und Lucile gesessen. Neben der eigenen Angst und Sorge quoll tiefe Wehmuth in seiner Seele auf – was war aus dem trauten Schillingshofe geworden! Ein vornehmer Adelsitz, auf’s Neue angestrahlt vom zurückgewonnenen alten Nimbus. Aber früher war es bei leerer Casse, in spärlicher Beleuchtung, doch hell und lustig im Säulenhause gewesen – Groll- und Schmollwinkel hatte es damals nicht gegeben, und das Nachtgethier böser Launen hatte sich nie breit machen dürfen – während jetzt, bei aller Lichtfluth, Hochmuth, Bigotterie und versteckte Bosheiten wie Eulen und Fledermäuse aus den Ecken schwirrten. Und der neue Hausgeist, in Gestalt der halbgeknickten, nervösen Frau dort, rang um die absolute Herrschaft; er legte die langen todesblassen Hände beschlagnehmend auf Menschenseelen, Schiff und Geschirr, und auf der eigensinnigen Stirn stand ihm lesbar geschrieben: „Es ist Alles mein!“... Auch hier der despotische Frauenwille, der ihn selbst eben heimathlos gemacht!

Wer sah es dem kalten Gesicht mit den beharrlich und nonnenhaft gesenkten Lidern an, daß diese Frau den jungen Gatten geradezu errungen hatte? Vor Jahresfrist war der Freiherr mit seinem Sohn in Coblenz bei dem schwererkrankten Vetter gewesen. Nach der Zurückkunft hatte er Felix lachend in’s Ohr geflüstert,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 315. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_315.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)