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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

man dies herrlich üppige Blond zugestanden, hier aber sah es aus wie geborgt, als gehöre es nicht zu der Frau. So saß sie mit im Schooße gefalteten Händen, einen Zug schweigender Verachtung um den Mund und die Augen halb geschlossen – der personificirte Protest gegen die Mitgehörigkeit in den Kreis der Verhandelnden.

Der Freiherr[WS 1] streifte sie mit einem halb belustigten, halb ärgerlichen Seitenblick.

„Ich bitte mir’s aus, daß Du den Kindern das Leben nicht schwer machst, Arnold,“ rief er in seiner leichtlebigen[WS 2], jovialen Weise. „Felix ist ein famoser Kerl – hat kein Froschblut in den Adern. Ich hätt’s um kein Haar anders gemacht in meiner Brausezeit. Ein Schwachmatikus, der da fackelt und das Glück nicht beim Schopfe nimmt, wenn’s ihn anlacht!... Geh, schelle, mein Sohn! Adam soll Champagner bringen –“

„Adam, Papa? – Du hast ihn ja heute Nachmittag fortgeschickt.“

Der alte Herr fuhr mit weitgeöffneten, erstaunten Augen herum, als höre er nicht recht – dann schlug er sich erinnernd vor die Stirn. „Verfluchte Geschichte! Ich kann den Kerl nicht entbehren,“ polterte er erbost. „Ist er im Ernste fortgelaufen, der dumme Mensch?“

„Ja, Vater – auf Deinen ausdrücklichen Befehl,“ sagte Baron Schilling. „Du hast ihm heute allzu schlimm mitgespielt.“

„Bah – soll ich den Mosje mit Handschuhen cajoliren, wenn er schlechte Streiche macht und seinen alten Herrn verräth?“

„Ich habe Adam gesprochen,“ sagte Felix mit warmer Fürbitte; „er war ganz außer sich vor Schmerz.... Ich begreife nicht, wie gerade er in einen solchen Verdacht kommen konnte. – Der Verrath ist zu gemein, und auch mein Onkel –“

„Silentium! – Er ist ein Filou, der Herr Onkel!“ brauste der Freiherr mit seiner Löwenstimme auf, und eine dunkle Zornröthe schlug über sein Gesicht hin. „Er hat mich bestohlen, so gut wie er Dich um Dein Erbe bringen hilft.... Wie und wo er mein Geheimniß an sich gerissen hat, wer kann’s rathen bei solch einem Rechtsverdreher, der’s faustdick hinter den Ohren hat! Da tappt man zeitlebens im Finstern, aber erhorcht, erschlichen hat er’s, damit basta!“ – Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück. „Wenn der Herr Adam sich noch nicht herabgelassen hat, wieder heimzukommen, so soll Christian den Champagner bringen,“ befahl er in ruhigerem Tone.

Baron Schilling öffnete die Thür und rief den Befehl hinaus. Man hörte einen Moment Stimmengeräusch von der Flurhalle her, aber Niemand im Zimmer achtete darauf. Die Thür wurde zu rasch wieder geschlossen.... Bald nachher trat der Bediente mit dem Präsentirbret in den Salon, und nun kam der Lärm verstärkt mit ihm herein – es lag etwas Aufregendes in den Lauten der Bestürzung und des Schreckes, die sich vereinzelt aus dem Gemurmel erhoben.

„Zum Henker – es scheint, wir haben jetzt den Straßenscandal von vorhin bei uns im Hause!“ rief der Freiherr aufhorchend. Er richtete sich, die Hände auf die Armlehnen stützend, gespannt empor und sah dem herantretenden Diener, dem das Gläserbret bedenklich in den Händen klirrte, unter das Gesicht „Kerl, wie siehst Du denn aus?“ rief er. „Du bist ja leichenblaß und schlotterst wie ein armer Sünder! Was ist los draußen?“

„Es ist wegen des Adam,“ stotterte der junge Mensch.

„Wegen des Adam?... Ist er wieder da, der Schlingel?“

„Nein, gnädiger Herr, nur sein Hannchen; es hat sich an den Fritz, den Hausknecht, angeklammert und will nicht heim zu Großmutter –“

„Da hat das Mädel auch nichts zu suchen; sie gehört zu ihrem Vater, und der ist im Schillingshofe zu Hause. – Warum meldet er sich nicht zurück? – Er soll auf der Stelle hereinkommen.“

„Gnädiger Herr – sie haben den Adam vorhin aus dem Wasser gezogen – es ist aus und vorbei mit ihm.“

Der Herr sank in den Stuhl zurück, als habe ihn ein Schlaganfall niedergeworfen.

In diesem Augenblick stieß die Baronin einen Schrei des Entsetzens aus. Sie sprang auf, stürzte auf ihren Mann zu und flüchtete in seine Arme.

„Da, da!“ stammelte sie und deutete nach der Wand, an der sie mit dem Rücken gelehnt hatte. „Dort tappt es; dort hat es laut geathmet, wie ein Mensch aus tiefster Brust – es hat mich eiskalt angehaucht.“ –

Bei diesen Schreckensrufen retirirte Lucile mit einem Sprung zu Felix. Ihr liebliches Gesicht war schneebleich und die Hände auf die Ohren drückend, um das entsetzliche Geräusch nicht auch zu hören, schielte sie mit erschreckten Kinderaugen furchtsam nach der spukhaften Wand. – Im Punkte des Fürchtens schienen das oberflächliche Weltkind und die Nonnen-Elevin vollkommen zu harmoniren.

„Du weißt, daß Dein Gehör überreizt ist, Clementine,“ beruhigte Baron Schilling; seine Stimme bebte vor innerer Bewegung in Folge der eben gehörten erschütternden Meldung des Dieners. „An dieser Seite hört man oft Geräusche; die Mäuse kommen vom Klostergute herüber –“

„O nein, ich weiß es besser; es ist die arme Seele,“ rief sie verstört – die hagere Gestalt zuckte in sich zusammen, wie von Krämpfen geschüttelt. „Der Selbstmörder ist für seine Todsünde auf immer in den Schillingshof gebannt. Arnold, hier können wir nicht bleiben.“

„Das sind abscheuliche Klosterreminiscenzen,“ sagte der junge Mann bitter lächelnd, „mit denen Du mir nicht kommen darfst, Clementine.“ Er befreite sich von ihren umschlingenden Armen und drückte die zitternde Frau in den nächsten Armstuhl.

„Hannchen ist draußen, sagtest Du?“ wandte er sich an Christian, der, wie schreckerstarrt, vergessen hatte, die Champagnerflasche niederzustellen, die er noch in der gehobenen Hand hielt.

„Ja, gnädiger Herr,“ antwortete er sich sammelnd, „Adam hat sie heute Nachmittag zu seiner Schwiegermutter gebracht und ist nachher fortgegangen. Weil er aber so lange ausgeblieben ist, da hat das Hannchen Angst gekriegt und ist heimlich fortgelaufen. Sie hat draußen im Garten auf den Fritz gewartet; er solle ihr helfen, ihren Vater zu suchen, und das hat er auch gethan, denn er ist selber in großer Sorge gewesen. Sie sind – trotzdem es wie mit Mulden geregnet hat – durch alle Straßen gelaufen, zuletzt bis hinaus auf die Meiringer Landstraße – und da haben sie gerade den Adam gebracht. Er ist nicht weit von der neuen Actienmühle in den Fluß gegangen.“

„Ein verrückter Streich! Ein schlechter Streich! Hätt’ nie gedacht, daß mir der Adam das anthäte!“ murmelte der Freiherr tonlos. Sein robust gefärbtes, kräftig kühnes Antlitz war fahl und schlaff geworden.

„Er hat nicht gewußt, was er thut, gnädiger Herr,“ entschuldigte Christian schüchtern und mitleidig. „Der Obermüller, der mit Adam bekannt war, hat ihn angeredet; dem ist’s gleich klar geworden, daß der Mann nicht bei sich gewesen ist – er hat dumme Sachen gesprochen, hat einen schrecklich rothen Kopf gehabt und ist nachher weiter gelaufen, als ob ihm Einer auf den Fersen säße. Und da ist ihm der Obermüller mit seinem Burschen von ferne, am Wasser hin, nachgegangen; ehe er sich’s aber nur versehen hat, ist Adam ’neingesprungen. Der Obermüller sagt, ertrunken sei er nicht, denn sie hätten ihn gleich wieder ’rausgefischt und auf’s trockene Land gebracht, aber der Schlag hätte ihn gerührt – er sei zu sehr erhitzt in’s kalte Wasser gesprungen.“

„Das Hannchen soll herein kommen,“ befahl der Freiherr, indem er sich aufrichtete.

„Gnädiger Herr,“ sagte zögernd der Bediente, „das Unwetter draußen hat die Kleine schrecklich zugerichtet – die Kleider kleben ihr am Leibe, und sie ist barfuß. Mamsell Birkner weint und schreit und sagt –“

„Was die Birkner sagt, geht mich nichts an; das Mädel soll herein kommen,“ wiederholte der alte Herr, über den Einwurf ergrimmt. „Die Birkner soll sie selber bringen.“

Der Diener eilte hinaus, und gleich darauf wurde die Thür geöffnet, und Mamsell Birkner, die langjährige Wirthschafterin im Schillingshof, trat ein, Hannchen vor sich herschiebend.

Das Kind war nicht wieder zu erkennen. Das rothe Röckchen und die sturmzerwühlten Haare klebten ihm, triefend von Nässe, in der That auf dem schmächtigen Körper, und die kleinen nackten Füße starrten vor Straßenschmutz. Auf einen Wink des Freiherrn führte Mamsell Birkner, der die dicken Thränen über die blühenden Wangen rollten, die Kleine tiefer in das Zimmer.

„Geh weg, geh weg!“ rief die Baronin nervös und weinerlich


  1. Vorlage: Freiher
  2. Vorlage: leichlebigen
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 331. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_331.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)