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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


ersten Etage, dieselben, welche die Kaiserin Augusta jetzt inne hat, beziehen konnte.

Nicht lange durfte er den Frieden seines neuen und gar prächtigen Heims genießen. Die Brandungen der französischen Revolution schlugen auch an das Kurfürstenhaus am Rheine. Zuerst kamen die Söhne Josepha’s, der Schwester des Kurfürsten, die Brüder König Ludwig’s des XVI. Sie waren im Exil, Verbannte ihrer Grundsätze, ihrer Meinungen, ihrer Familientradition; sie waren seine Familie; denn als Priester konnte er keine andere haben. Mit den französischen Prinzen kamen die Edelleute, die Officiere, die Bischöfe, welche den Eid auf die Constitution nicht haben leisten wollen. Die Franzosen wurden dem geistlichen Herrn mit der Zeit recht unbequeme Gäste – politisch sowohl wie finanziell. Die Erbitterung gegen „den Hof von Coblenz“, namentlich nach den in Pillnitz zwischen dem deutschen Kaiser und dem Könige von Preußen gepflogenen Verabredungen zur Bekämpfung der Revolution, steigerte sich in der französischen Nationalvertretung zu einem Grade, der dem Kurfürsten für sein Land und seine Sicherheit die ernstesten Besorgnisse einflößen mußte. Zudem lagen seine Neffen und deren ganzer Anhang ihm immer lästiger auf den Taschen.

Die glänzendsten Tage unter Clemens Wenceslaus hat das Schloß Coblenz gesehen, als König Friedrich Wilhelm der Zweite von Preußen in Coblenz erschien, um an der Spitze seiner Armee die Sache der Monarchie gegen die mächtig gewordene Revolution zu verfechten. Die damals rege gewordenen Hoffnungen aber zerstoben bald. Auf der Seite der jungen Republik war die Macht der Einheit, auf deutscher Seite nur die traurige Ohnmacht deutscher Zerfahrenheit. So kam es denn, daß in der Nacht vor dem 5. October 1794 in der Stille mehrere Rheinschiffe mit Archivsachen und Kostbarkeiten befrachtet wurden; sie nahmen ihren Curs rheinaufwärts; ihnen folgte am andern Tage der Kurfürst auf das rechte Ufer. Er hat Coblenz nie wieder gesehen. An seiner Statt kamen die Franzosen, welche als Pathengeschenk der neuen Freiheit, die sie brachten, eine Contribution von vier Millionen Franken beanspruchten. Ein Freiheitsbaum mit der Jacobinermütze wurde vor dem Schlosse aufgepflanzt und das kaum erst vor acht Jahren mit größter Pracht und wahrhaft künstlerischem Geschmacke eingerichtete Schloß von oben bis unten ausgeraubt und verwüstet, wobei die Coblenzer Republikaner sich alle Mühe gaben, die französischen zu überbieten.

Unter den historischen Schätzen des Kurfürstensaales befindet sich ein kostbares Album, welches die Damen von Coblenz dem Kaiser Wilhelm und der Kaiserin Augusta zum Andenken an den denkwürdigen Tag verehrten, mit welchem die zweite Geschichte des Schlosses von Coblenz beginnt. Ein in Wasserfarben von Prof. Scheuren ausgeführtes Blatt dieses Erinnerungsalbums stellt den Moment dar, wo der Prinz und die Prinzessin von Preußen am 17. Mai 1850 mit dem Dampfschiffe in Coblenz anlangten, um mit ihren Kindern im Schlosse sich einen zweiten Familiensitz zu gründen. Während der sechsundfünfzig Jahre, die seit der Abreise des kurfürstlichen Erbauers verflossen waren, hatte das Gebäude unter der Franzosenherrschaft abwechselnd als Lazareth und Magazin gedient, dann, nachdem im Jahre 1814 durch den Gang der Ereignisse die französischen Schildwachen vom deutschen Rhein nach Hause geschickt worden waren und ein Jahr später die preußischen Posten die Wachen von Coblenz bezogen hatten, wieder theils als Lazareth, theils als Assisengerichtsgebäude, bis an einem Januartage des Jahres 1842 Baurath Stüler vom Hofmarschallamte in Berlin im Auftrage des Königs Friedrich Wilhelm des Vierten in Coblenz erschienen war, um das Schloß auf’s Neue zu einem Königssitze umzugestalten.

Die ganze Mitteletage wurde wieder fürstliches Appartement und dem Prinzen von Preußen in seiner Eigenschaft als Militärgouverneur von Rheinland und Westfalen eingeräumt. Durch acht Jahre verbrachte hier das prinzliche Paar den größten Theil des Jahres. Nur in die Zeit von Mitte November bis Mitte Februar fiel ein Aufenthalt in Berlin, welchem ein Besuch in Weimar bei der Mutter der Prinzessin, der einst von Schiller gefeierten Großherzogin und Freundin Goethe’s, folgte; dann ging es wieder zurück nach Coblenz, dessen Schloß seinen Insassen von Jahr zu Jahr trauter und heimlicher wurde. Der Prinz von Preußen hatte sich sein Arbeitszimmer im südlichen Eckpavillon gewählt, mit der herrlichsten Aussicht, die man in deutschen Landen finden kann, auf den wogenden Strom hinüber nach Ehrenbreitstein und weiter bis hinauf nach Stolzenfels.

Das Zimmer ist mit seiner einfachen Ausstattung in lichtem Möbelkattun heute noch dasselbe, wie vor achtundzwanzig Jahren, wogegen sich die anderen Räume, dem erhöhten Anspruch der Zeit an Glanz und Comfort und der königlichen, nunmehr kaiserlichen Würde entsprechend, von Jahr zu Jahr verschönert haben.

Diese Zeit des Aufenthaltes im Coblenzer Schlosse wurde für das prinzliche Paar gleichsam zur Vorschule, zur ernstesten Vorbereitung für seinen späteren königlichen Beruf. Kommende Geschlechter werden erst die hohe Bedeutung dieses Aufenthaltes, welcher in die Jahre kurz nach der Bewegung von 1848 bis zur Uebernahme der Regentschaft fiel, für die Geschicke der Monarchie, für den Gang späterer Ereignisse zu würdigen im Stande sein, wenn ihnen die Geschichte das ganze Material zu dieser Würdigung in die Hand gegeben haben wird. So wenig auch der Prinz von Preußen und seine Gemahlin damals in den Vordergrund des staatlichen, politischen Lebens treten konnten, so übten sie doch in ihrer Stellung hier am Rheine unverkennbar einen politischen Beruf aus. Die Rheinlande verharrten nach dem Jahre 1848 noch weit mehr als vordem in einer selbstständigen Richtung dem nordöstlichen Wesen gegenüber. Die französischen Erinnerungen saßen den Rheinfranken noch ziemlich fest im Sinn, und es war noch gar nicht so lange her, daß die Bevölkerung zwischen sich und den Nachbarprovinzen einen sehr merkbaren Unterschied machte. Diese Gegensätze auszugleichen oder wenigstens zu mildern, die Bevölkerung der neuen Ordnung der Dinge geneigter zu machen – das war die Aufgabe, welche sich die beiden fürstlichen Ehegatten gestellt hatten. Sie theilten sich in diese ihre Arbeit. Das Wirken der Prinzessin bethätigte sich in Werken und Anstalten der Barmherzigkeit, welche letztere später für die ganze Monarchie Anregung und Muster wurden.

Anders geartet war die Arbeit des Prinzen. Sein allem Scheinwesen abgewandter Sinn ertrug nur mit tiefem innerem Widerstreben die Thatsache, daß die allgemeine Wehrpflicht für Preußen nach dem bestehenden Zahlenverhältnisse zwischen Armee und Bevölkerung nur auf dem Papier vorhanden sei. Sie mußte zur That werden. In jenem vorhin erwähnten Arbeitszimmer wurden von ihm mit dem späteren Kriegsminister von Bonin die Grundzüge der Armee-Organisation erörtert und festgestellt, die den späteren König und Kaiser zu Siegen und Triumphen führen sollte. Außer dieser militärischen Aufgabe, welche der Prinz von Preußen glänzend löste, außer der wichtigen Stellung des vielseitigen Rathgebers für den König, die er auch in der Provinz festzuhalten wußte, knüpfte sich an die Zeit seines Verweilens daselbst (1850-1861) das erfreuliche Ergebniß einer Doppelerziehung, welche für beide Eltern zur Lebensfrage geworden war. Prinz Friedrich Wilhelm, der jetzige Kronprinz des deutschen Reiches, war damals als Bonner Student und dann beim Beginn seiner militärischen Laufbahn so oft wie möglich im elterlichen Hause in Coblenz. In diese denkwürdige Zeit fällt auch seine Verlobung mit der englischen Kronprinzessin. Mehr aber noch als ihr Bruder verdankt die Prinzessin Luise, jetzige Großherzogin von Baden, ihre Erziehung dem Coblenzer Schlosse, wo sie als kleines Kind eintraf, um dereinst von dort aus als anmuthige Braut in einen der schönsten Theile Süddeutschlands einzuziehen. Dieser Erziehung hatte sich die Prinzessin Augusta ganz gewidmet, und das Verhältniß natürlicher Bande des Blutes hat sich zu einem tief geistigen, seelischen erhoben, sodaß wir nun beide hohen Frauen mitten im Ernst des Lebens in gegenseitiger Unterstützung und Ergänzung vereint wirken sehen.

Seit Uebernahme der Regierung ist der Kaiser nur zu Besuchen seiner Gemahlin wieder in Coblenz eingekehrt. Das letzte Mal war er im verflossenen November hier, und damals allerdings auf längere Zeit. Für die Kaiserin jedoch ist Coblenz die zweite Residenz geworden. Das milde Klima, die Luft, Land und Leute behagen ihrem Innersten; sie fühlt sich hier wohl, und die Liebe, die sie diesem herrlichen Fleckchen Erde entgegenträgt, wird ihr durch gleiches Empfinden von Seiten der Bevölkerung gelohnt. Im Mai erscheint die Kaiserin in Coblenz; dann pflegt sie ihre Cur in Baden-Baden zu beginnen, um darauf den Monat Juni bis Mitte Juli wieder in Coblenz zuzubringen. Weiter gehört die Zeit von Ende October bis Ende November dem Rheinschloß. Nun geht es für den Winter nach Berlin zur

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_339.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)