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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


No. 22. 1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig· – In Heften à 50 Pfennig.


Im Schillingshof.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.


Das brünette, kluge Gesicht der Stiftsdame erstarrte förmlich in eisiger Zurückhaltung. „Die Tänzerin wird kommen? Zunächst muß ich fragen, Clementine, wie magst Du so unsäglich schwach sein, Dir dergleichen aufbürden zu lassen?“

Die Baronin schlug die Augen nieder und strich wiederholt einige Kuchenkrümchen von der Tischdecke – sie war verlegen „In diesem Falle hat mein Mann mich gebeten – er bittet sonst nie.“

„Ach so, das ist freilich überwältigend.“ Der allerstrengste Beichtvater, der eine büßende Menschenseele unter der Hand hat, konnte nicht unerbittlicher aussehen, als diese ironisirende Dame; aber der Eindruck war nicht der gewünschte. Die „distinguirte Frau“ da vor ihr wandelte sich, wie so oft, zum eigensinnigen Kinde und sagte gereizt und lächerlich. „Ach, geh doch, Adelheid – schulmeistere nicht immer! Ich weiß recht gut, wie ich mich zu verhalten habe, und reservire mich streng auch dieser dummen Geschichte gegenüber. Mein Gott, was geht’s mich an, daß dieser Felix Lucian gestorben ist? Was habe ich damit zu schaffen, daß er durch den Krieg Hab und Gut verloren hat? Ich sehe darin nur die rächende Hand Gottes an dem sündigen Sohne, der sich in abscheulicher Verblendung gegen die eigene Mutter aufgelehnt hat.“

„Das ist die alte Frau drüben auf dem Klostergute, die wir am Fenster sahen?“

„Ja; sie will bis auf den heutigen Tag nichts von dem verstoßenen Sohn hören – mit allem Recht! Sie weiß nicht um seinen Tod, nicht daß er zwei Kinder hinterlassen hat, und spart und mehrt ihr großes Vermögen einzig und allein für das Kind ihres Bruders, das kleine fratzenhafte Gerippe, das vorhin dort auf der Mauer herumsprang. Dem verzogenen, boshaften Jungen könnte es im Grunde nicht schaden, wenn ihm diese Erbschaft entzogen würde; er erbt so wie so übergenug! Aber wie gesagt, was kann die Gesellschaft da drüben mich interessiren?... Ich habe stets ein gerütteltes Maß Geduld nöthig gehabt, wenn Arnold von dem amerikanischen Freund sprach – wie ,der arme Mensch’ auf seinem Leidensbette keinen anderen Wunsch habe, als der gekränkten Mutter seine vergötterten Kinder zuzuführen wie es sein ausdrücklicher letzter Wille sei, daß nach seinem Tode die junge Wittwe mit ihnen nach Deutschland zurückkehre, und Gott weiß was Alles! Ich habe immer nur mit halbem Ohr hingehört.... Nun sollen aber alle diese Träume und Pläne verwirklicht werden, und dabei stößt man auf große Schwierigkeiten. Rath Wolfram hält geflissentlich Alles fern, was seine Schwester an den Sohn erinnern könnte; er muß mithin völlig ahnungslos bleiben, und die Großmutter soll ihre Enkel anfänglich kennen lernen, ohne zu wissen, wer sie sind – wie die guten Leute das anfangen wollen, das mag der Himmel wissen; lange genug wird’s dauern. Das Terrain dieser Manöver aber wird der Schillingshof sein, den Arnold leider in seiner überschwenglichen Freundschaft dem Verstorbenen und seiner Wittwe zur Verfügung gestellt hat.“

„Und in dieser Intrigue wirst Du trotz alledem und alledem Deine Hand haben – Du wirst das Geheimniß mit behüten müssen –“

Mit einem müden Kopfneigen und allen Zeichen des Verdrusses bestätigte die Baronin; „Wenn ich meine Einwilligung nicht zurücknehmen will, allerdings, selbst vor unseren Leuten – mit Ausnahme der Birkner, die diese ehemalige Mademoiselle Fournier gesehen hat und sie jedenfalls wiedererkennen würde.“

Adelheid deutete auf das Couvert, das eine feste Hand beschrieben hatte. „Ist der Brief von der jungen Wittwe selbst?“

Die Baronin verzog geringschätzend die Lippen. „Ich vermuthe, daß diese Tanzvirtuosin keinen anständigen Brief zu schreiben versteht; deshalb mag wohl Lucian’s Halbschwester, eine Frau Mercedes de Valmaseda, die Präliminarien in die Hand genommen haben. Sie schreibt stets wenige, kurz zusammengefaßte Zeilen, und so sehr von oben herab, daß ich Arnold’s Indolenz bewundere, mit der er sich das gefallen läßt. Ihr Herr Gemahl mag wohl ein steifleinener Grande sein, ein edler Hidalgo, der sich stolz in seinen gestickten Mantel hüllt – denn furchtbar verarmt sind sie alle durch den Krieg, diese Herren Sclavenhalter der Südstaaten.“

Sie fuhr plötzlich wie elektrisirt aus ihrer nachlässigen Stellung empor. Man hörte Pferdegetrappel, und das eiserne Gitterthor wurde klirrend zurückgeschlagen – Baron Schilling ritt in den Garten.

Die Frau mit dem müden Leib und der matten Seele war für einen Moment das Bild leidenschaftlicher Erwartung; dann sank sie mit einem lauernden Seitenblick nach der Freundin in ihre frühere Apathie zurück.




12.

In der Nähe des Hauses sprang Baron Schilling vom Pferde. Ein Stallbedienter eilte herbei, das Thier in Empfang zu nehmen, und auf einen Wink des Gebieters kam auch Hannchen vom Säulengange her.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 361. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_361.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)