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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Ein ‚Zurück’, wie Du es Dir seit Jahren erlaubst, giebt es hier nicht mehr. Nicht Laune, nicht Trennungsschmerz, nicht einmal Krankheit werden Dich zurückhalten – nöthigenfalls lässest Du Dich morgen in den Reisewagen tragen. Abreisen werden wir um jeden Preis.“

Wie verscheucht war die Baronin bis zur Glasthür zurückgewichen. Diese Frau trug eine Kette am Fuß, deren äußerster Ring in den Boden des Klosterinstitutes festgenietet war. Directen Mahnungen von dorther erlag sie meistens, aber in diesem Augenblicke bedurfte es der Mahnung nicht. „Wer sagt denn, daß ich meinen Entschluß ändern will?“ rief sie mit leidenschaftlicher Entschlossenheit, indem sie sich auf der Schwelle umwandte. „Ich reise, und sollte ich mich todtkrank von Ort zu Ort schleppen.“

Damit ging sie, um das ganze Haus, behufs ihrer Reisevorkehrungen, zu alarmiren.




13.

Seit diesem stürmischen Morgen waren nur wenige Tage verstrichen. Im oberen Stockwerk des Säulenhauses umschlossen die herrlichen, steingemeißelten Halbrundbogen der Fenster das leblose, eintönige Grau der herabgelassenen Rouleaux und deuteten das tiefe Schweigen an, das in den Räumen herrschte; denn sie lagen hinter Schloß und Riegel; kein Menschenfuß betrat sie; nicht einmal lüften sollte man droben, hatte die Frau Baronin bei ihrer Abreise der Dienerschaft streng anbefohlen.

Baron Schilling stand Nachmittags in seinem Atelier. Draußen hatte ein rasch vorüberziehendes Gewitter Millionen funkelnder Regentropfen versprüht: ein frischer Windhauch lief hinter den Wolkenresten her; er schaukelte und schüttelte das tropfende Gezweig und löste den Bann der Schwüle und Gewitterfurcht von den Vogelkehlen; und der Himmel blaute wieder, als sei die thränenschauernde Wolkenwand zwischen ihm und der Erde nie gewesen.

Diese Wandlung draußen im Garten bemerkte der Mann vor der Staffelei nicht. Er sah in eine schwüle, von Fackellicht durchzuckte Sommernacht hinein. Die röthlichen Tinten quollen tief im Hintergrunde aus den Fenstern eines Palastes so täuschend zwischen riesigen Parkbäumen hindurch, daß man meinen konnte, sie müßten im raschen Vordringen auch das Atelier füllen und sein leises Dämmern durchleuchten. In das Atelier fiel augenblicklich nur das Oberlicht, aber auch gedämpft. Dabei herrschte lautlose Stille, nur unterbrochen von dem eintönigen, traumhaften Plätschern fallender Wasser hinter einem zugezogenen dunkelgrünen Velourvorhang von grandiosem Faltenwurf, der die ganze Schmalseite des Ateliers nach Süden hin vorkommen bedeckte. Auch dieses verborgene melancholische Rauschen und Rieseln schien sich zu mischen mit dem unheimlich schwülen Athem der Sommernacht auf der köstlich belebten Leinwand – der durch Alleen und Gehölz irrende Fackelschein glühte da und dort hochaufspringende Fontainenstrahlen an, und lockte sie wie plötzlich hervortretende Geistererscheinungen aus dem tiefen, verschwiegenen Dunkel.

Wie traumverloren, der Wirklichkeit vollkommen entrückt, arbeitete der Künstler. Er sah nicht, daß seitwärts durch eine aufgehende Thür das sonnige Tageslicht breit hereinfiel; er hörte nicht die leichten Tritte, die sich ihm näherten, bis eine zaghafte Mädchenstimme. neben ihm laut wurde.

„Herr Baron, die Fremden sind eben vorgefahren,“ meldete Hannchen.

Er fuhr zusammen „Lucian’s Kinder!“ flüsterte er und eilte in den Garten.

Als er die Flurhalle des Säulenhauses betrat, stand die gegenüberliegende, nach dem Vorgarten führende Hauptthür weit offen. Die Dienerschaft des Hauses trug Koffer um Koffer herein, leichtes, jedenfalls nur Damengarderobe enthaltendes Gepäck, wie die mühelose Beförderung bewies.

Neben einem Haufen Gepäckstücke, den die Leute bereits auf einander gethürmt hatten, kniete die Kammerjungfer Minna. Sie hatte einen halbzertrümmerten Hutkoffer vor sich; Spitzen und Bänder quollen aus dem geborstenen Gefüge, und auf der Faust der Zofe balancirte ein vollständig zerquetschter Damenhut, den sie aus dem Gemenge von Holzstangen und Lederfetzen gezogen hatte.

Und die flötenweiche Stimme, die an dem ereignißvollen Abend vor acht Jahren so lustig und silbern von den polirten Steinwänden widergehallt, sie war auch wieder da – sie schalt und lachte wie ein Kobold in einem Athem.

„Dumme Menschen! Einem die Effecten so zu malträtiren! Das kann eben nur im guten, biderben Deutschland passiren. Aber ich werde mich beschweren – der Hut war ganz reizend; ich war wie vernarrt in ihn. Gott, wie er in der Verfassung aussieht! Ha, ha, ha! – Bah, schneide doch nicht gar so verdrießliche Grimassen, Minna! Bin ich etwa Schuld an dem Unheil?“

Die feine Fußspitze der Sprechenden stieß eine kornblumenblaue Seidenbandrolle, die über das Steingetäfel des Fußbodens gerollt war, nach dem Gepäck zurück; um die ganze bewegliche Gestalt zitterte ein leises Geräusch von klirrendem Kettenschmuck und knisternden Stoffen, und die Hände mühten sich, die zerdrückten Locken aufzuschütteln, aber sie fuhren plötzlich herab, um sich dem eintretenden Herrn des Hauses entgegen zu strecken – die kleine Frau flog mit einem freudigen Ausruf auf ihn zu.

(Fortsetzung folgt.)




Die Island-Fahrer.[1]


Ihr Segelbrüder, habt Acht, habt Acht!
    Hängt über den Schiffsrand Schilde!
Von bösen Gewalten, von Riesen umwacht
    Sind Islands öde Gefilde.

Ich hüte den Bugspriet, und schwämme daher
    Der Midhgard-Wurm an den Nachen,
Ich durchhieb’ ihm das Haupt! – Du Eisbart Swer,
    Mit dem Speer sollst das Steuer bewachen.

Und hebt sich die Haf-Frau aus kreiselndem Meer,
    Greift spritzend sie über die Planken,
Dann wehrt mit den Schilden! Du bohre den Speer
    Ihr, Eisbart, tief in die Flanken!

Doch getrost nun, Genossen – das Land ist nah:
    Noch wenige Ruderschläge!
Nur meidet die dräuende Klippe mir da,
    Die umbrandete, zackige Säge!

Seht, hart vor dem Bug uns der Balken schwimmt,
    Mein First einst im Hofe zu Leimath:
Wo er landet, empfängt uns, götterbestimmt,
    Die Scholle der neuen Heimath.

Die alten Runen, geritzt vom Ahn,
    Er trägt sie, die Odals-Marken,
Als Landnahme-Zeichen vorauf dem Kahn;
    Denn die Erde gehört dem Starken.

Wo er antreibt, bau’ ich des Freihofs Wehr
    Uns aus Norge’s trotzigen Eichen;
Laß seh’n ob über das weite Meer
    König Harald’s Arm wird reichen!

Und den Giebel schmück’ ich – Thôr gebeut’s –
    Mit dem Hammer und mit zwei Lanzen;
Laß seh’n, ob der Pfaff das Christenkreuz
    Wird über das Haupt uns pflanzen!

Schon landet der Balken. Es knirscht das Boot.
    An das Ufer mit hurtigen Füßen!
Aus dem Feuerberg auf flammt heiliges Roth,
    Die letzten Heiden zu grüßen.

Felix Dahn.
  1. Die vulcanreiche Insel Island erhielt ihre Bevölkerung aus dem heidnischen Norwegen (Norge); den Hauptstamm bildeten ausgewanderte Grundbesitzer, welche sich der Herrschaft König Harald Harfagr’s nicht unterwerfen wollten. Der „Midhgard-Wurm“ des Gedichts ist die erdumfassende Midhgard-Schlange der nordischen Mythologie, welche, das Meerwasser trinkend und wieder ausspeiend, Ebbe und Fluth erzeugt und beim Weltuntergange (Götterdämmerung) einst im Kampfe gegen die Götter von dem Donnergotte Thôr mit dem Hammer erschlagen wird. Odal, Odel = Besitz.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 364. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_364.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)