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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


No. 23. 1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig· – In Heften à 50 Pfennig.


Im Schillingshof.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.


„Da sind wir, cher Baron!... Ach Gott, wie muß ich an den armen Felix denken, wenn ich Sie sehe!... O, nicht wahr, wer hätte damals sagen sollen, daß ich so jung Wittwe werden würde? So jung! – Der Arme, nun liegt er drüben so allein! Und was hat er leiden müssen! Es war furchtbar, sag’ ich Ihnen.... Wissen Sie, für mich ist Felix eigentlich schon gestorben in dem Augenblick, wo er die schwere Wunde erhalten hatte. Ich kann Niemand leiden sehen; eine Krankenstube ist mir fürchterlich wie die Hölle – so dunkel und dumpf; dazu das schmerzliche Stöhnen, dazu die schleichenden Tritte, die gedämpften Stimmen der Pflegenden – das Alles wirkt so furchtbar deprimirend auf mich, daß ich auf und davon laufe.“

Sie unterbrach sich und wandte den Kopf zurück – ein metallbeschlagener Koffer wurde eben über die Stufen der Säulenhalle gehoben; er war gewichtiger als die anderen; man hörte das an dem Keuchen und den schwerfällig schwankenden Schritten der Diener, die ihn heraufschleppten.

„Wir beanspruchen viel Raum, nicht wahr?“ fuhr die kleine Frau lebhaft fort und deutete lächelnd auf das Gepäck. „Wir haben auch Malheur gehabt. Sehen Sie das unbeschreibliche Etwas, das meine Jungfer dort so trübselig hin- und herwendet – das war einmal ein Hut, ein allerliebstes Barett, das ich mir in Hamburg zur Austrauer gekauft hatte.... Man hat mir den Koffer scheußlich zugerichtet – eine fabelhafte Tölpelei!“

Baron Schilling ließ ihre Rechte, die er unwillkürlich zwischen seinen Händen festgehalten, plötzlich sinken. Das zierliche Wesen da vor ihm kam – wenn auch vielleicht ein wenig bleicher und schmalwangiger – genau so wieder zurück, wie es über das Meer gegangen war, als die leicht beschwingte Schmetterlingsseele, die nur um die Blumen des Lebens flattert und sich scheu von dem unwirthlichen Feld der Kümmernisse wegwendet.... Die zwei Thränen um den Todten, die sich vorhin über ihre Wangen gestohlen, waren gewiß aufrichtig gemeint gewesen, aber fast zugleich mit ihnen vertieften sich bereits die Wangengrübchen im halb schmollenden, halb schalkhaften Lächeln über die lächerliche Form eines mißhandelten Hutes.

„Haben meine Leute das verschuldet?“ fragte Baron Schilling kurz, fast finster.

„Nein, o nein! Es ist aus dem Bahnhof geschehen.... Ah bah, es hat nichts zu bedeuten! Ich werde gleich morgen nach Berlin schreiben, an meine ehemaligen Putzlieferanten, die jedenfalls noch existiren und sich närrisch freuen werden“ – sie verstummte, als habe sie sich verplaudert, und sah verstohlen seitwärts; Baron Schilling folgte der Richtung dieses Blickes, und jetzt erst bemerkte er die Gruppe, die sich nach dem Eingang des großen Corridors zurückgezogen hatte und dort in lautlosem Schweigen verharrte.

Die Hüterinnen der Flurhalle, die Karyatiden mit ihren strenggeschnittenen, weißen Steingesichtern droben am Plafond, hatten wohl noch nie auf ein solch ebenholzschwarzes, krausköpfiges Menschenwesen niedergesehen, wie es dort auf den Marmorfließen stand. Eine Negerin im Schillingshof!... Die ab- und zugehenden Leute des Hauses starrten sie an, und ihr spielte ein gutmüthiges Lächeln um den dicken, rothlippigen Mund.

Sie trug ein kleines Mädchen auf dem Arme, ein blasses, dunkeläugiges Kind in weichfallendem Cachemirüberwurf – es sah aus, als schmiege sich ein großer, weißer Falter an das Negerweib.... Das Kind hatte offenbar Furcht vor dem fremden Hause; sein dünnes Aermchen umklammerte den Hals der Trägerin, und das kleine Gesicht unter einer niedersinkenden Fluth goldblonder Haare drückte sich fest an die schwarze, feiste Wange.

Und dort, hart an der ersten Marmorstatue, stand eine Dame. In der Rechten hielt sie die Hand eines ohngefähr siebenjährigen Knaben, und die Linke stützte sich auf das hohe Piedestal des Götterbildes.... Während im Anzug der jungen Wittwe bereits das Grau und das Weiß der Halbtrauer vorherrschten, unterbrach an dieser Erscheinung auch nicht eine helle Linie das strenge Schwarz tiefer Trauer – wie eine Statue der Nacht stand sie, in ihren langwallenden Gewändern und Schleierfalten, neben der hellen Steinfigur.... Es waren zwei mächtige Augen, die unter leichtzusammengezogenen Brauen in diesem ernsten, wunderschönen Frauengesicht die lebendigen, gaukelnden Bewegungen der jungen Wittwe verfolgten.

„Mein Zuchtmeister ist ungnädig,“ murmelte Lucile mit unterdrücktem Aerger. „Kommen Sie, Baron! Meine Schwägerin, Dame Mercedes, liebt es nicht, zu warten – sie ist über alle Beschreibung hochmüthig, diese spanische Baumwollenprinzessin.“

Baron Schilling trat rasch auf die stille Gruppe zu, in die jetzt auch Leben und Bewegung kam. Die Dame legte ihren Arm um die Schultern des Knaben und bog sich so tief über ihn, daß der schwarze Krepp, der wie eine Mantille von dem schneppenartig in die Stirn gebogenen Hütchen niederhing, ihr Gesicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 377. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_377.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)