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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


Dem deutschen Kaiserpaare.
Zum 11. Juni.


Vom grünen Rhein bis zu der Weichsel Borden,
Vom Fels zum Meere tönet Festgeläute –
Mit Deutschlands Völkern grüßen wir Dich heute,
Du stolzes Adlerpaar im deutschen Norden.

In lauter Wundern bist Du alt geworden,
Wie Gott sie selten um ein Dasein streute –
Ein Wunder auch, das golden Dir erneute
Der Jugend Myrthenkranz, den längst verdorrten.

Den Wunsch, den heute wir im Herzen tragen,
O laß ihn Dir in schlichtem Worte sagen,
Den heißen Wunsch, den innigen, den einen:

Daß niemals zwischen uns ein Zweifel stände,
Daß wir Dich lieben müssen bis an’s Ende,
Daß, wenn Du scheidest, uns’re Augen weinen!




Berliner Bilder.
2. Der Strohmann.


Eines Tages erhielt ich von einem alten Freund aus der Provinz einen Brief, in welchem er mich ersuchte, ihm in einer wichtigen Angelegenheit mit Rath und That beizustehen. Sein Sohn besuchte nämlich die Kriegsschule in Berlin. Von seinem Vater an mich empfohlen war der junge Officier selbstverständlich von mir freundlich aufgenommen worden. Er hatte sich, wie es schien, in meinem Hause wohlgefühlt, bis er plötzlich ohne jeden mir bekannten Grund fortgeblieben war und alle meine an ihn gerichteten Aufforderungen unbeantwortet gelassen hatte. Aufgebracht über diese mir unerklärliche Unhöflichkeit, hatte ich mich nicht weiter um ihn gekümmert, war überdies gezwungen gewesen, wegen meiner angegriffenen Gesundheit auf längere Zeit zu verreisen.

Wie ich jetzt nach meiner Rückkehr aus dem Briefe meines Freundes zu meinem Bedauern erfuhr, war der junge, leichtsinnige Mann in schlechte Gesellschaft gerathen und hatte so bedeutende Schulden gemacht, daß sich der arme, mit einer zahlreichen Familie gesegnete Vater außer Stande sah, die unbesonnener Weise ausgestellten Wechsel des noch minderjährigen Sohnes zu decken. Da er aus diesem Grunde die Zahlung verweigerte, drohten die ihm selbst völlig unbekannten Gläubiger, wenn er nicht innerhalb der gegebenen Frist das Geld einschicken würde, bei der vorgesetzten Militärbehörde unter Vorlegung der in ihrem Besitz befindlichen Ehrenscheine Anzeige zu machen, was den jungen Officier für immer ruiniren mußte.

Dem Briefe entnahm ich die Adressen der Biedermänner, mit denen ich es zu thun hatte. Ich wollte jedoch kaum meinen Augen trauen, als ich darunter die Namen zweier Herren von angesehener gesellschaftlicher Stellung fand. Der eine war ein vermögender Rentier, der bei allen Sammlungen für wohltätige Zwecke in den Zeitungen paradirte, der Andere ein Doctor der Philosophie, ein höchst gebildeter und feiner Mann, der sich besonders für die sociale Frage interessirte und in verschiedenen volkswirthschaftlichen Vereinen das große Wort führte.

Obgleich ich einen Irrthum annehmen mußte, begab ich mich doch zunächst zu dem ehrenwerthen Rentier, der in meiner Nähe in seinem eigenen Hause wohnte. Auf meine Frage, ob der Herr zu sprechen sei, wurde ich von einer ältlichen, sauber gekleideten Wirthschafterin höflich in ein freundliches Zimmer geführt, dessen einfache, aber gediegene Einrichtung den besten Eindruck auf mich machte und mir gewissermaßen zu bürgen schien für die Solidität des Gesuchten, welcher kurz darauf in das Zimmer trat und mich mit leiser, sanfter Stimme begrüßte.

Vor mir stand ein Mann von etwa sechszig Jahren, dessen würdige Erscheinung, dessen graues Haar insbesondere mir unwillkürlich Achtung und Vertrauen einflößte. Die graublauen Augen strahlten förmlich von Wohlwollen und Freundlichkeit, und um den etwas eingefallenen Mund schwebte ein überaus gutmütiges, fast süßliches Lächeln. Jede Miene, jede Bewegung verrieth einen Ehrenmann und ein reines Gewissen. So konnte unmöglich ein gewöhnlicher Wucherer aussehen. Ich befand mich in der größten Verlegenheit.

„Wollen Sie nicht Platz nehmen?“ sagte er höflich, mir einen Stuhl anbietend. „Was verschafft mir die Ehre?“

„Verzeihen Sie,“ antwortete ich verwirrt, „wenn ich Ihnen lästig falle! Ich komme nicht in eigener Angelegenheit –“

„Geniren Sie sich nicht! Wenn Sie für einen wohltätigen Zweck einen Beitrag wünschen, so werde ich mit Vergnügen unterschreiben. Geben Sie mir die Liste her –“

„Sie sind zu gütig, aber es handelt sich nicht um die Armen, sondern um den Sohn eines meiner Freunde, um den Lieutenant von Wolfenstein –“

„Von Wolfenstein!“ rief der alte Herr erstaunt. „Der Name ist mir völlig unbekannt.“

„Ich muß,“ sagte ich verlegen, „nochmals um Entschuldigung bitten. Mein Freund scheint Ihren Namen verwechselt zu haben. Wie er mir schreibt, schuldet sein Sohn Ihnen gegen Wechsel und Ehrenschein fünfzehnhundert Thaler.“

„Mir! – Fünfzehnhundert Thaler – Lieutenant von Wolfenstein!“ murmelte der Rentier verwundert.

„Ich bin beauftragt, die Angelegenheit mit den Gläubigern des jungen Mannes zu ordnen. Da Sie aber die Sache nicht weiter interessiren kann, so erlauben Sie –“

„Warten Sie!“ versetzte er, mich zurückhaltend. „Ich erinnere mich jetzt, den Namen Wolfenstein auf einem Wechsel gesehen zu haben. Mein Gedächtniß ist schon schwach. Das macht das Alter. Ich muß einmal nachsehen, ob ich mich nicht irre.“

Mit einer Hast, die mit seiner sonstigen würdevollen Ruhe auffällig contrastirte, zog der Rentier aus der Seitentasche seines Rockes ein gesticktes Portefeuille hervor, in dem er eifrig nach einer Notiz zu suchen schien, bis er dieselbe gefunden.

„Richtig! Wie kann man nur so vergeßlich sein! Ich habe freilich so viel im Kopf zu behalten. Der Wechsel ist den dritten December fällig, und heute haben wir erst den dreizehnten November. Die Sache hat keine solche Eile. Es war freundlich von Ihnen, daß Sie sich selbst herbemühten. Wenn Sie durchaus wünschen, können wir das Geschäft auf der Stelle abmachen. Sie werden dem Herrn Lieutenant damit alle weiteren Unannehmlichkeiten ersparen.“

Sprachlos vor Ueberraschung starrte ich den würdigen Greis an, der sich plötzlich in einen gemeinen Wucherer und Halsabschneider verwandelte, obgleich er noch immer bemüht war, die Maske des Biedermannes vorzuhalten und die ihm zur Natur gewordene Rolle des wohlthätigen Menschenfreundes fortzuspielen.

„Mein Freund,“ sagte ich, nachdem ich mich wieder gefaßt hatte, „hat mich beauftragt, Ihnen die Hälfte der schuldigen Summe für den Wechsel zu bieten, da er weder in der Lage, noch verpflichtet ist, für die Schulden seines minorennen Sohnes aufzukommen.“

„Das thut mir herzlich leid,“ entgegnete der Wucherer sanft. „Ich kann unmöglich Ihren Vorschlag annehmen und auch nicht einen Pfennig von der Summe ablassen.“

„Sie werden mit sich handeln lassen. Man weiß ja, wie es bei solchen Geschäften zugeht. Nach meiner Ueberzeugung hat der junge Mann nicht den vierten Theil des Geldes erhalten und Sie haben noch immer einen schönen Profit, wenn Sie auch nur die Hälfte bekommen.“

„Halten Sie mich für einen Wucherer?“ fragte der Ehrenmann mit der Miene beleidigter Unschuld. „Gott bewahre! Ich habe den Wechsel von dritter Hand gekauft und begnüge mich nur mit einer kleinen Provision. Sie werden doch nicht von mir verlangen, daß ich mein baares Geld verlieren soll?“

„Trotzdem werden Sie gut thun, die gebotene Hälfte zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 384. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_384.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)