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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Das Eine hoffe ich, verehrte Freundin: Sie werden diese Romane nicht zum genre ennuyeux zählen. Wenn für Sie der „Bann des schwarzen Adlers“ zugleich ein Bann der Langeweile ist, so lösen Sie diesen Bann, machen das Buch bei Zeiten zu und gedenken ohne Groll des Verfassers, welcher für die Todsünde, Ihnen köstliche Stunden nutzlos gestohlen zu haben, jede Buße thun will, die seine liebenswürdige Freundin ihm auferlegt.



Clotilde.

Novelle von L. Herbst.

(Fortsetzung.)


Clotilde sah ihren Vetter so tief traurig an, daß sich in seinen undurchdringlichen Zügen doch etwas wie Theilnahme zu regen begann.

„Ich darf Dir nicht verargen,“ sagte er, „daß Du in Deiner gegenwärtigen Gemüthsstimmung mich so ganz verkennst. Aber es wird noch einmal eine Zeit kommen, wo Du mir Gerechtigkeit widerfahren lässest.“

„Diese selben Worte hast Du mir schon einmal gesagt,“ entgegnete sie, „in jener Stunde, wo ich gegen Euer starres Vorurtheil um mein Lebensglück kämpfte.“

„Dein Lebensglück! Ja, so nanntest Du es damals,“ sagte er mit langsamer Betonung und blickte sie dabei forschend an, als wollte er ihre verborgensten Gedanken ergründen.

„Und so nenne ich es auch heute noch und werde es so nennen bis an das Ende meiner Tage. Ein langes ferneres Leben von Kummer und Elend könnte die Seligkeit der Jahre nicht auslöschen, die Rudolph’s Liebe mir bereitet hat. Er ist der beste, treueste, edelste Mann; nur Du hast das niemals glauben wollen.“

Um Leonhard’s Mund zuckte es wie verhaltener Schmerz; nach einer Weile brachte er kalt hervor:

„Du wirst mir erlauben, daran heute noch mehr zu zweifeln als je. – Er ist ein schöner, liebenswürdiger, talentvoller Mann, aber ein Egoist, ein leichtsinniger Verschwender ist er, der nicht einmal Dir zu Liebe seinen Hang zum Luxus einschränken konnte.“

„Wie ungerecht Du bist!“ entgegnete sie mit edlem Unwillen; „gerade seine Liebe zu mir hat ihn zu Schritten verleitet, die ihn in sein Unglück führten.“

„Ich hörte ihn so etwas auch zu meinem Vater sagen, den dieses Bekenntniß eines edlen Herzens fast zu Thränen rührte. Mich empörte es; ich meinte, er müsse Dich besser kennen.“

„Und da hieltest Du es für Deine Pflicht, Dich in Deiner schroffen Weise meinem guten alten Onkel zu widersetzen, als er ihm seine Hülfe zusagte. Mit bösen Worten brachtest Du es dahin, daß ihm die rettende Hand wieder entzogen ward, und daß er einsam und elend in die Welt hinausging.“

„Das heißt, er machte sich auf und davon und überließ seine Frau und sein Kind ihrem Schicksal,“ entgegnete Leonhard.

„O Gott, sein Kind!“ schluchzte Clotilde. „Es bedarf keines Vaters mehr! Es schläft den ewigen Schlaf!“

„Deine Kleine todt?“ fragte er mit lebhaftem Erschrecken; „davon wußte ich kein Wort. Ich komme erst in diesem Augenblicke in die Stadt und hörte nur, daß Dein Mann fort ist. Da wollte ich Dir meine brüderliche Hülfe für alle seine verwickelten Angelegenheiten anbieten –“

„Ich danke Dir,“ sagte die junge Frau kalt. „Soweit es meinem verstörten Geiste möglich war, habe ich mich nach seinen schriftlichen Angaben über Alles orientirt, und hoffe, ohne Hülfe mit dem Geschäftlichen fertig zu werden.“

Leonhard machte eine steife Verbeugung und schwieg. Auch Clotilde blickte schweigend vor sich hin.

Endlich sagte der junge Mann mit weicher Stimme:

„Bei der traurigen Lage der Dinge, Clotilde, würde ein längerer Aufenthalt in diesem Hause, auf das die Gläubiger selbstverständlich Beschlag legen werden, vollkommen ungeeignet für Dich sein. Ich biete Dir daher in meines Vaters Namen für Dich und Deine Mobilien die Aufnahme in seiner Villa an.“

„Auch das muß ich dankend ablehnen,“ entgegnete sie. „Es wäre mir unmöglich, in einem Hause zu athmen, aus dem mein Mann mit so liebloser Härte in die hoffnungsloseste Verzweiflung getrieben worden ist.“

Ueber Leonhard’s Gesicht ging bei ihrer Antwort ein schnelles, heftiges Zucken, doch er schwieg.

„Nachdem ihm durch Dich jede Hülfe abgeschnitten, ist es ihm noch an demselben Abend gelungen, den gefährlichen Wechsel auf acht Tage zu prolongiren. Er wollte versuchen, ob er vielleicht bei einem Freunde in Hamburg Hülfe finden könnte, und fuhr in der Nacht dorthin. Auch das war vergebens; durch die Ungunst der Zeiten, nicht aus Mangel an Freundschaft. … Und so blieb ihm in seinem Vaterlande keine Hoffnung mehr, der Schande zu entgehen. Ohne einen Abschiedsblick, ohne ein letztes Wort an mich hat der Unglückliche das Schiff bestiegen, das ihn auf Jahre von mir trennt.“

Teilnehmend wollte Leonhard ihre Hand erfassen, doch sie entzog sie ihm.

„Der Prolongationstermin wird abgelaufen sein,“ fuhr sie mit bewunderungswürdiger Fassung fort, „nachdem ich mein Kind der Erde übergeben habe. Dann räume ich dieses Haus und werde mir in Dresden mit Hülfe meiner Freunde einen Wirkungskreis suchen.“

„Ah, ich verstehe; Deine schöne Stimme –“ sagte Leonhard mit finsterm Blick.

Clotilde sah mit Entsetzen zu ihm auf.

„Du kannst glauben, daß ich mit diesem Kummer im Herzen mir singend mein Brod erwerben will? Gott sei Dank, ich habe auch Anderes gelernt, und meine Kenntnisse werden für mich sorgen. Die allerunentbehrlichsten Dinge nehme ich mit. Alles, was ich sonst noch mein Eigenthum nenne, übergebe ich dem Gericht zur theilweisen Befriedigung der Gläubiger.“

„Es fragt sich, ob mein Vater als Dein Vormund zu diesem Schritte seine Einwilligung geben wird,“ versetzte Leonhard.

Clotilde erhob sich und sagte kalt:

„Wenn Du es für Deine Pflicht hältst, Dich auch diesem meinem Wunsche zu widersetzen, so kann ich Dich vermuthlich nicht daran hindern. Freilich würdest Du dadurch nichts erreichen als den Aufschub eines Jahres.“

„Wie verstehst Du das?“

„Wenn ein Jahr verflossen ist, werde ich frei sein von jedem vormundschaftlichen Zwange, und dann wird mich Niemand mehr hindern können, mit meinem elterlichen Erbtheil nach eigenem Ermessen zu schalten.“

Ueber ihr schönes, trauriges Gesicht ging ein Zug freudiger Verklärung. „Und nun,“ fuhr sie fort, als er, sie stumm betrachtend, regungslos vor ihr stand, „und nun gönnt mir ungestört die wenigen Tage, die ich noch im Anblicke meines Kindes verleben kann!“

„Ich ehre Deinen Schmerz,“ sagte Leonhard nicht ohne Bewegung. – „Ich gehe. Doch wenn Du eines Freundes bedarfst – Du weißt, daß Einer für Dich lebt.“

Er reichte ihr die Hand und sah sie aus seinen grauen Augen so unheimlich leidenschaftlich an, daß sie in Widerwillen ihre langen schwarzen Wimpern senkte. Leise, fast unhörbar erwiderte sie sein „Lebewohl“ und athmete erleichtert auf, als er die Thür hinter sich schloß. – –

In stiller Morgenstunde hatte Clotilde ihre entschlafene kleine Tochter zur Ruhe gebettet, nur von den Dienern und Dienerinnen begleitet. Als sie, auf ihre alte Hanna gestützt von dem schweren Gange heimkehrend, die Schwelle ihres Hauses überschritt, widerhallten ihre Tritte in den öden Räumen, und sie schauderte.

In der Halle reichte sie jedem ihrer Begleiter die Hand und sagte mit bewegter Stimme:

„Ich danke Euch! Ihr habt mein süßes Kind geliebt; ich wollte Niemand als Euch zu seinem Geleite haben! – Und nun lebt wohl! Alle, Alle lebt wohl!“ –

Sie entließ ihre Dienerschaft auf Niewiedersehen; sie hörte die Fortgehenden schluchzen, denn sie hatten Alle diese gütige, sanfte,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_390.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)