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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

ich sie mit fester Hand unterschreiben. Und nun – wünsche ich ein Ende dieses traurigen Gespräches,“ setzte sie mit matter Stimme hinzu. „Sage Deinem Vater, ich sei zufrieden mit meinem neuen Berufe und harre geduldig aus, bis Gott mich abrufen werde –“

„Dieses traurige Wort soll ich dem alten Manne überbringen, und weiter nichts?“

„Was kann er Besseres für mich wünschen, Leonhard?“

„Du kennst seinen Wunsch, Clotilde. Er möchte Dich wieder um sich haben, wie in früheren Tagen; von Deiner töchterlichen Hand gepflegt sein – das würde ihm seinen Lebensabend erhellen.“

„Du irrst, Leonhard,“ sagte sie mit Wehmuth; „ich bin die Clotilde von ehemals nicht mehr. Meine Gegenwart würde ihn nur noch trüber stimmen. Und was mich betrifft – ich kann nur in unausgesetzter Thätigkeit das Leben ertragen.“

Leonhard hatte sich ihr um einen Schritt genähert und ergriff ihre Hand. Seine Augen blitzten leidenschaftlich, als er das junge Weib betrachtete, das er niemals so schön gesehen, wie in dieser sanften Trauer.

„Meine theure Clotilde,“ sagte er so innig, daß es sie erschreckte, „es ist unmöglich, daß Du Dein junges Leben hier unter Anstrengung und Entbehrungen vertrauerst. Mach’ ein Ende mit dem alten Leben! Leite Du die Scheidung ein! Ihm wird es nie gelingen, da ja nur auf seiner Seite die Untreue ist. …“

„Leonhard, was redest Du?“ rief Clotilde unwillig. „Ich sollte mit meiner Feder eine Anklage gegen ihn erheben, sollte schwarz auf weiß den Wunsch aussprechen, meinen heiligen Bund mit ihm zu lösen? Nimmermehr!“

„Erlaube mir! Vorhin sagtest Du doch, daß Du mit fester Hand eine Scheidungsacte unterschreiben würdest, die man Dir auf seine Veranlassung vorlegte. Ist das nicht im Grunde ganz dasselbe? Ebenfalls eine Auflösung dieses unglücklichen Bündnisses?“

„Nach meiner Empfindung wäre es für mich nicht dasselbe, und ich werde nur meinen eigenen Gefühlen folgen. Doch laß’ uns jetzt davon schweigen Leonhard! Ich kann nicht mehr.“

„Nur noch ein Wort, Clotilde!“ bat er mit Leidenschaft und ergriff ihre beiden Hände, die sie ihm vergebens zu entziehen strebte. „Ich habe einmal geschwiegen als es Zeit war, zu reden, und die Reue darüber verfolgt mich Jahre lang. Diese Stunde will ich besser nutzen – Clotilde, seit meinen Knabenjahren[1] habe ich Dich geliebt. Du warst das theuerste Wesen, das ich kannte. Dich mein Weib zu nennen war mein höchster Wunsch. – Doch ich schwieg aus Feigheit. Ein Anderer kam – ein Gleißner, ein Heuchler! Seiner glatten Zunge gelang es, mein Kleinod zu gewinnen.“

„Halt ein!“ rief Clotilde in wachsender Angst. „Du vergissest, Leonhard, daß ich Rudolph liebte.“

„O, ich sah es, Clotilde,“ sagte er vor Leidenschaft bebend, „und darum schwieg ich. Aber jetzt, jetzt, wo er Dir gezeigt hat, daß er Deiner Liebe unwerth war, jetzt darf ich reden. Heute darf ich sagen: Löse Dich von dem Unwürdigen und werde mein! Mit meiner grenzenlosen Liebe will ich Dich Dein Leid und Deine Kränkung vergessen machen. Auf diesen meinen treuen Händen will ich Dich durch’s Leben tragen.“

„Um Gottes willen,“ rief sie in Verzweiflung, „wie kommt Dir dieser unfaßbare Gedanke? – Ich eines Andern Weib! – Dein Weib! – O, es ist undenkbar. – Höre mich, Leonhard,“ sagte sie ruhiger, als er erbleichend zurücktrat. „Ich habe Dir vergeben, Alles vergeben, was Du mir Leides gethan. Um der Erinnerung willen an meine Kindheit, wo Du mir ein guter, liebevoller Bruder warst, will ich Alles vergessen und freundlich an Dich denken. Aber Dein Weib werden – niemals!“

„Clotilde,“ sagte Leonhard und richtete sich stolz und kalt vor ihr auf, „ist das Dein letztes Wort?“

„Mein letztes, Leonhard! Nur um Eines will ich bitten, daß Ihr für die Erdentage, die mir noch bestimmt sind, mich meinem Schmerz überlaßt. Er ist so groß, daß er mein ganzes Herz ausfüllt.“

„Du hast es so gewollt,“ sagte er und maß die trauernde junge Gestalt, die so voll Adel vor ihm stand, mit kalten Blicken. „So leb’ denn wohl!“

„Leb’ wohl, Leonhard!“

Er wandte sich ab und stürzte zur Thür hinaus.




6.

Kaum empfand Clotilde den Segen der Einsamkeit, kaum begann ihr lebhaft erregtes Herz sich unter der Kraft ihres Willens zu beruhigen, als ein Klopfen an der Thür sie erschreckte.

Wo mag Hanna sein? dachte die arme Erschöpfte. Vielleicht schon in die Stadt auf Besorgungen – –

Sie sah sich genöthigt, selber zu öffnen. Ueberrascht trat sie zurück, als sie eine blendend schöne junge Dame in sehr reicher, aber etwas geschmacklos überladener Kleidung draußen wartend fand.

„Komme ich hier recht?“ fragte die Fremde in verbindlicher, doch gezierter Weise. „Ich wünsche Frau von Brauneck zu sprechen. Pardon, ich schellte vergebens nach den Domestiken!“

„Meine alte Wärterin wird zu dieser Stunde keinen Besuch mehr erwartet haben und ist ausgegangen,“ entgegnete Clotilde kühl, während sie durch eine vornehme Handbewegung zum Eintreten einlud.

„Allerdings muß ich für die späte Stunde um Verzeihung bitten,“ sagte die Dame hereinrauschend und die Gestalt der jungen Frau im einfachen Trauerkleide vom Kopf bis zu den Füßen betrachtend. Dann glitten ihre großen, sehr lebhaften blauen Augen blitzartig über die bescheidene Einrichtung von Clotildens Zimmer. Sie mochte in Gedanken ihre eigenen eleganten Räume damit vergleichen; denn sie warf unwillkürlich ihren mit blonden Flechten überladenen Kopf leicht in den Nacken.

„Ich bin nur auf wenige Stunden hier in Dresden,“ fuhr sie fort, „das wird mein spätes Kommen vielleicht entschuldigen, gnädige Frau. Mein Name ist ‚Frau von Dunker’.“

Clotilde hatte die Empfindung, als ob sie einen Stich in’s Herz bekäme, doch wußte sie ihre ruhige Haltung zu bewahren. Mit einer zweiten Handbewegung lud sie zum Sitzen ein und nahm der Fremden gegenüber Platz.

„Und was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches?“

„Ich komme in einer sehr delicaten Angelegenheit,“ erwiderte Frau von Dunker und senkte ihre Augenlider mit mädchenhafter Verschämtheit, während sie ihren kleinen rosigen Mund in die zierlichste Form brachte. „Wir haben das Unglück, gnädige Frau,“ setzte sie mit einem schwärmerischen Augenaufschlag hinzu, „Beide denselben Mann zu lieben. Es kommt nur darauf an, wer von uns ihn am meisten liebt.“

„Sprechen Sie von meinem Mann, von Herrn von Brauneck?“ fragte Clotilde, der vor Empörung das Herz laut zu klopfen begann.

„Gewiß, gewiß, gnädige Frau – Sie errathen. Ich spreche von ihm.“

„Frau von Dunker, meinen Mann habe ich geliebt. Wie sehr, darüber wird er selbst am besten urtheilen können. Jetzt liebe ich ihn nicht mehr.“

Clotilde sprach dies mit sanfter erhobener Stimme und mit der edlen Würde, die ihr so eigen war. Einen Augenblick war die Fremde davon betroffen, doch faßte sie sich schnell.

„Sehen Sie, sehen Sie,“ sagte sie lebhaft, „Gerade so hatte ich mir Ihre Antwort gedacht. Es ist unmöglich, daß eine Frau noch lieben kann, wenn sie sieht, daß die Neigung des Mannes einer Anderen gehört. – Ich wußte es wohl, wir würden uns leicht verständigen, wenn ich mich persönlich mit Ihnen aussprechen könnte. Deshalb sehen Sie mich hier.“

„Ich würde unsere persönliche Bekanntschaft nicht für unumgänglich nöthig erachtet haben –“

„Doch, doch!“ entgegnete die Fremde hastig. „Es bedarf doch zwischen uns eines gründlichen Aussprechens.“

„Daß ich nicht wüßte.“

(Fortsetzung folgt.)



  1. Vorlage: „Knubenjahren“
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 403. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_403.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)