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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Goajiro-Indianer, welche Pferde nach Maracaibo bringen. Diese robusten, breitschulterigen Gestalten, welche meist bis auf die Hüften nackt gehen und auf deren Kopfe ein zwei bis drei Zoll breiter, kunstvoll geflochtener Ring als Stirnband das starke schwarze Haar zusammenhält, bewegen sich schweigsam über den Platz und durch die Straßen, oft von Weibern und Kindern begleitet. Sie ähneln im Gesichtstypus den Indianern des Nordostens von Venezuela, sind aber von Farbe etwas dunkler als beispielsweise die Chaimas von Caripe. Die Frauen tragen in der Stadt ein langes, faltenreich um den Körper fallendes Hemd, welches meist aus buntgestreiftem Kattun besteht; sie bringen ihrerseits recht kunstvoll gearbeitete Hängematten und Strickarbeiten zum Verkauf.

An einer Ecke der Calle de Comercio (Handelsstraße), welche, als die breiteste und bedeutendste Verkehrsstraße der Stadt, auf den Marktplatz mündet und in welcher sich auch die auf dem Bilde (Seite 405) dargestellte deutsche Apotheke befindet, gelang es mir, einen recht charakteristischen Goajiro-Indianer zu portraitiren. Da er kein Spanisch verstand, hatten wir einige Mühe, ihn zum Stillstehen zu bewegen, und erst als wir ihm einen blanken Thaler vorhielten, entschloß er sich zu einer Sitzung. Die ihn begleitenden Frauen und Kinder schienen indeß sehr ungehalten darüber und fingen an zu heulen, weil sie, wie vielfach andere Indianer, glaubten, daß ihnen dadurch Böses geschehen könne. Ich sollte bald bemerken, welche Verantwortung ich durch mein Vorhaben auf mich gezogen hatte, denn bald rückten Zuschauer zu Pferde, zu Esel und zu Fuß heran, und ich wurde von allen Seiten umdrängt, ja es kam so weit, daß der Polizeichef einige Soldaten herbei zog, um die Ordnung aufrecht zu erhalten. Ich nahm mir nach gethaner Arbeit vor, keine künstlerischen Studien mehr in den Straßen zu machen.

Von welcher Bedeutung Maracaibo, obgleich nur Stapelplatz, für den Handel ist, lehrt ein Blick auf das Treiben im Hafen. Deutlicher noch sprechen die Ziffern der Statistik. Im Jahre 1877 betrug der Export Maracaibos, nach Angabe eines Freundes, welcher dort eines der ersten Handelshäuser besitzt, 742 Sacos (zu je 120 Pfund) Cacao, 18,195 Kilogramm Balsam Copaive, 231,820 Sacos Kaffee (zu 130 Pfund), Gelbholz 3,693,827 Kilogramm, Dividivi, Schoten von Lebidibia Coriaria, welche viel Gallussäure und Gerbsäure enthalten, 3,458,371 Kilogramm und Quina 4533 Sacos. Natürlich ist der Handel mancherlei Schwankungen unterworfen, namentlich durch die für das Land zum chronischen Leiden gewordenen Revolutionen.

Ein großer Theil des Handels von Maracaibo befindet sich, wie in allen größeren Städten Venezuelas, in den Händen deutscher Kaufleute; einige dreißig, welche dort ansässig sind, vertheilen sich auf die verschiedenen deutschen Handelshäuser. Ihre Comptoire und Waarenlager liegen in der Calle de Comercio und in zwei Seitenstraßen nahe am Hafen. Während der Geschäftsstunden, von früh sieben Uhr bis Nachmittag fünf Uhr, widmet sich hier Alles mit Eifer und Ernst der Arbeit und besteht dasselbe Verhältniß zwischen Chef und Untergebenen wie hier in Deutschland, außerhalb der Arbeitszeit aber gestaltet sich der Kreis der Deutschen von Maracaibo zu einem echt deutsch-gemüthvollen und macht den Eindruck einer eng zusammenhaltenden Familie. Für die Entbehrung geistiger Genüsse, wie Theater, Musik etc., was alles Maracaibo kaum bietet, schaffen sie sich aus eigener Kraft anerkennenswerthen Ersatz. Seit Jahren schon besteht dort mit trefflichem Erfolge der bei Deutschen im Auslande fast nie fehlende Gesangverein, und oft in später Abendstunde, wenn Maracaibo schon längst in tiefem Schlafe liegt, tönen die herrlichsten deutschen Lieder in die stillen Straßen. Auch die Fahrten in einem großen eleganten Ruderboote, welche die Deutschen an den fast tageshellen Mondscheinabenden ausführen, würzt deutscher Sang, während die kühlende Brise, welche die glitzernde Wasserfläche des Lago leicht bewegt, den Körper stärkt und erfrischt. Uebrigens ist Maracaibo, obschon es zu den am heißesten gelegenen Städten der Erde gehört, doch im Ganzen gesund. Selbst in weitem Umkreise fehlen hier jene Sümpfe und Lachen, welche in verschiedenen Gegenden Venezuelas das Klima so ungesund machen. Den Mangel an Fluß- und Brunnenwasser ersetzen in allen besseren Häusern Cisternen, in denen das Regenwasser für den häuslichen Bedarf angesammelt wird; die weniger bemittelten Bewohner bedienen sich des Wassers aus dem See, welches nur nahe der Barra salzig ist. Vorkommende Fieberfälle, welche den anlangende Ausländer und besonders die nach Maracaibo in Geschäften reisenden Cordillerenbewohner treffen, sind wenig zu fürchten.

Der besuchteste Erholungspunkt ist der Club del Lago, rechts vom Zollhause; hart am See gelegen und von einem durch Cocospalmen beschatteten Garten umgeben, bietet er eine willkommene Badestelle und auch den Hafenplatz für das deutsche Ruderboot. Hier vereinigen sich während der Abende die Deutschen mit ihren venezolanischen Freunden zu heiterer Gesellschaft. Denn von den Eingeborenen werden die Deutschen hochgeschätzt und sind durch manche glückliche Ehe eng mit den eine liebenswürdige Gastfreundschaft übenden Venezolanern verbunden. Der Stadt schräg gegenüber liegen unter einem Cocoshaine die „Haticos“, Sommerfrischen der Maracaiberos, und hier haben auch die deutschen Kaufherren ihre luftigen Landhäuser, welche sie gern mit Blumengärten umgeben möchten, wenn der sandige Boden es gestattete. Eine große Zahl Badehäuser sind in den Lago gebaut und durch lange Brücken mit dem Lande verbunden. Besonders Sonntags herrscht hier ein heiteres Treiben. Schon vor Sonnenaufgang ertönt oft ein deutsches Lied als Morgengruß; die lieben heimathlichen Klänge wecken die noch schlummernden Familien, und bald öffnen sich Fenster und Thüren und füllen sich mit freudig überraschten Gesichtern. Eine heitere Morgenwanderung durch den Ort beginnt; die Familienmitglieder schließen sich den früh von der Stadt herübergekommenen jungen Deutschen an, und von Nachbar zu Nachbar ertönen von Neuem heitere Lieder. Sobald dann die Morgensonne die stolzen Kronen der Cocospalmen beleuchtet, erhöht sich der Verkehr im Orte. Auf leichtbeweglichen Goajiro-Pferden springen elegante Reiter herein, als Begleiter dunkeläugiger und graziöser Creolinnen, welche mit großer Geschicklichkeit ihre Pferde führen, spanisch und deutsch tönt es grüßend durcheinander; ein Plauderstündchen folgt, bis die Tropensonne schon ziemlich hoch gestiegen ist; dann wird es ruhiger unter den Palmen, aber lebhafter in den freundlichen, ganz dem Klima entsprechenden Räumen der Häuser; man versammelt sich zu heiterer Frühstücksrunde, nach welcher eine Siesta in der Hängematte folgt, und am späten Nachmittag belebt sich wiederum die Scene wie am Morgen. Zwischen der Stadt und den Haticos findet ein lebhafter Verkehr zu Wasser statt, welchen die zur Ueberfahrt etwa zehn bis fünfzehn Minuten gebrauchenden Boote vermitteln.

Interessant ist auch eine Tour in der entgegengesetzten Richtung, einige Stunden nördlich von der Stadt nach Santa Rosa und Capitan Chico, wo sich eine Reihe von Pfahlbauten der halbcivilisirten Goajiros befinden. Sobald deren Bewohner Leute zu Pferde am Ufer bemerken, kommen sie mit ihre langen, aus Baumstämmen gehauenen Booten von ihren über dem See gleichsam schwebenden Hütten herüber und führen die Besucher ihren Familien gegen ein Trinkgeld zu. Das Wasser ist hier seicht, sodaß die Goajiros die schwer beladenen Boote, indem sie hinter denselben hergehen, vorwärts schieben müssen. Die meisten Hütten sind mit Stegen verbunden. Sobald die Gäste mühsam an den mit stufenartigen Einschnitten versehenen Baumstämmen emporgeklettert sind, eilen die Nachbarn, Männer, Weiber und Kinder herbei, und der sehr saubere innere Raum der Hütte bietet bald ein höchst interessantes Bild. Wir nehmen auf den Matten kauernd Platz, und nun beginnt eine lebhafte Unterhaltung mit den jungen Indianerinnen, wobei es sich hauptsächlich um kleine Geschenke handelt. Diese spanischsprechenden Indianerfamilien kennen den Werth des Geldes schon mehr als genügend; auch haben sie sich nicht ganz ungemischt erhalten, wie manches Gesicht unter ihnen deutlich verräth. Pfahlbauten, ähnlich denjenigen auf unserem Bilde (Seite 405), giebt es viele an den Ufern des Sees; sie bilden oft ganze Ortschaften, die besonders bei dunkler Nacht einen höchst eigenthümlichen Anblick gewähren, wenn sich die erleuchteten Hütten in den Fluthen des Sees spiegeln.

Da Maracaibo, wie schon angedeutet, nur Stapelplatz für Aus- und Einfuhrartikel ist, so fühlen sich die Geschäftsleute oft veranlaßt, Reisen nach dem fruchtbaren Innern des Landes zu unternehmen. Die Provinzen Mérida, Trujillo und Tachira, wie auch die Gegend um Cucutá in Columbia, sind die Hauptlieferungs- und Absatzfelder für den Markt in Maracaibo. Der unter den Namen Maracaibo bekannte vorzügliche Kaffee stammt aus jenen Gebirgsregionen südlich und südöstlich vom See. Unsere junge Landsleute werden daher öfter von ihren Chefs nach

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 406. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_406.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)