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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


No. 26. 1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig· – In Heften à 50 Pfennig.


Im Schillingshof.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.


Veit nahm eine der kleinen Katzen aus dem Korbe und stellte sie auf ihre schwachen Beinchen; sie blieb breitspurig stehen und miaute kläglich.

Auf diese Laute hin kam die Katzenmutter wieder über die Schwelle gestürzt, aber sie mochte Veit’s Gertenhiebe zur Genüge kennen – die Furcht siegte abermals über die Mutterliebe – sie floh vor der gehobenen Reitpeitsche seitwärts an der Wand hin und kletterte an einem Regal empor; Veit sprang auf einen daneben stehenden Stuhl und schlug nach ihr. Was auf dem oberen Brett stand, alte Hutschachteln, halbzerbrochenes Porcellan und dergleichen, es stürzte alles unter den flüchtenden Füßen der Katze auf die Dielen herab; das polterte und klirrte; erstickende Staubwolken wirbelten auf, und unter Veit’s kreischendem „Hu, hu!“ flog die arme Gehetzte auf der andern Seite des Regales hinab und zur Thür hinaus.

Inzwischen hatte José die kleine Katze wieder auf ihr Lager gebracht. Dem zartgewöhnten Kind war der wilde Lärm der Hetzjagd sehr peinlich; es sah sich scheu um nach den zerschmetterten Porcellanscherben und athmete auf, als die Katze zur Thür hinauslief – er hörte noch, wie ihr Veit mit heftig stampfenden Füßen durch den langen Gang draußen nachsprang; dann war es hübsch still, und er konnte nun ungestört mit den Kätzchen spielen.

Er strich das Zeug im Korbe, auf dem die Katzen lagen, glatt, wie es Deborah immer mit seinem Kopfkissen machte, ehe er einschlief. Und die Sonne kam durch die erblindeten Scheiben des Rumpelkammerfensters und warf bunte Regenbogenfarben auf seine geschäftigen kleinen Hände – das machte ihm Freude; er hielt sie immer wieder empor und badete sie in dem flimmernden Schein.... Dann rastete auf dem Fensterbret draußen ein kleiner Vogel; er verspeiste die zappelnde Mücke, die er im Schnabel mitbrachte, und guckte mit seinen beerenschwarzen Augen scheu in die Kammer. Es klang sein Gezwitscher so stark und hell herein; auch das Miauen der kleinen Katzen wurde so laut, und bei jeder Bewegung des Knaben ächzte und quikte die Diele, auf der er kauerte – es war ja aber auch so still, so todtenstill geworden – der große Junge, der eigentlich nicht eine Secunde lang ruhig auf seinen Beinen stand, rührte und regte sich nicht mehr, und er mußte doch längst wieder hereingekommen sein, denn wie lange, lange war es schon, daß er die Miez hinausgejagt hatte!

Das Kind wandte sich arglos um; der große Junge war nicht da, und dort, wo vorhin die Katze mit ihrem Verfolger verschwunden war, in der Thüröffnung, dämmerten halbverwischte, seltsame, graue Schnörkeleien, und man konnte nicht mehr in den Gang hinaussehen.... Das unschuldige Kind begriff im ersten Moment seine Situation nicht – die große, gemalte Fläche dort war eine Thür, die man selbstverständlich aufmachen konnte, und der lange Junge stand natürlich draußen auf dem Gange.

José erhob sich und lief durch die Kammer, aber die Thür ließ sich nicht aufdrücken – es war auch kein Griff, kein Schlüssel zu sehen; nur an der Stelle, wo ehemals das Schloß gesessen, war ein kleines Loch im Holz verblieben, durch das man in den dunkel dämmernden Gang hinauslugen konnte. Da draußen aber war es grabesstill, und durch die festanschließende Thür, die nicht wich, noch wankte, konnte keine Maus schlüpfen. . . .

Das Kind stieß plötzlich einen markerschütternden Schrei der Furcht und Angst aus, aber es schwieg ebenso rasch wieder und drückte mit zurückgehaltenem Athem aufhorchend das Ohr an die Thürfuge – draußen schlich es über die knarrenden Dielen.

„Ach, lieber Junge, mache mir doch auf!“ bat der Kleine flehentlich.

Keine Antwort, keine Berührung der Thür, die ihn zwischen diese schrecklichen vier Wände einsperrte.

Er pochte unter herzbrechendem Weinen mit den kleinen Fäusten aus allen Kräften auf die schmutzigen Bretter, und dazwischen rief er mit seiner zärtlich bittenden Kinderstimme nach Tante Mercedes, nach Jack und Deborah, nach Allen, die ihm zu Hause jederzeit helfend die Hände entgegenstreckten – bis er heiser und erschöpft auf der Schwelle niedersank.

Dort kauerte er, hoch oben im alten Falkennest, auch ein schönes, verirrtes, von unbeschreiblicher Furcht geschütteltes Vögelchen, wie einst der arme „Colibri“. – Wenn das der Verstoßene gewußt hätte, der weit drüben über dem Meere, an Floridas Küste, unter Magnolien- und Lorbeerbäumen den ewigen Schlaf schlief!... Er hatte sie ja auch gekannt, diese wüste, sonnenheiße Dachkammer, in der Alles aufgestapelt wurde, was sich als dienstuntauglich erwies – diese Wände, behangen mit wackligen Rahmen, in denen hier und da noch ein Spiegelsplitter steckte oder ein Fetzen geölter Leinewand eine Ecke füllte – diese altfränkischen Truhen voll alter Schmöker und Kalender, aus denen ganze Mottenwolken wirbelten; die Garnweifen und Spinnräder mit ihrem abgenutzten Trittbrett, die vielen Generationen der Wolfram’s, von der Wiege bis zur Gruft, in die unverwüstliche Hausleinewand gehüllt hatten.... Da lagerten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 429. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_429.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)