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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

des so äußerst eng begrenzten Stimmrechts war zwar keinerlei Hoffnung auf Wahl für ihn vorhanden; die chartistische Partei huldigte jedoch dem Grundsatz, sogenannte „Rednercandidaten“ aufzustellen, um auf diesem Wege jedenfalls ihre Gesinnungen zur öffentlichen Kenntniß zu bringen. In der That zeigte die dabei vorgenommene Händeschau – ein Ueberbleibsel des älteren, viel ausgedehnteren Wahlrechts in der früheren Geschichte Englands – oft eine überwiegende Mehrheit für den volksthümlichen Bewerber.

Eine heftige Verfolgung gegen die Führer der chartistischen Partei wurde in den Jahren 1842 bis 1843 von den Behörden unternommen. Zusammen mit Feargus O’Connor und siebenundfünfzig Anderen zog man Harney zu Lancaster wegen angeblicher „Verschwörung und versuchter Anstiftung von Aufruhr zum Zweck der Veränderung der Landesverfassung“ vor Gericht. Für diejenigen Angeklagten, die keinen Anwalt aufzustellen vermochten, wurde Harney aus ihrem Kreise heraus als Sprecher zur Selbstvertheidigung erwählt. Man rühmte die mächtige Beredsamkeit, die er dabei entwickelte. Sein Name wuchs zusehends innerhalb der Partei.

Wiederum erschien er als „rednerischer Candidat“ bei der Parlamentswahl von 1847; diesmal zu Tiverton, in Devonshire, als Gegner Palmerston’s, dessen auswärtige Politik er mit Schärfe angriff. Der berühmte Staatsmann gestand privatim selbst, daß er eine einschneidendere Kritik noch nie hatte aushalten müssen. Die Händeschau der Versammelten zeigte eine überwiegende Mehrheit auf Seiten des Volksführers. Doch gewählt konnte Harney nicht werden. In späteren Jahren, nachdem er nach den Vereinigten Staaten gegangen war, erkundigte sich Palmerston bei einem befreundeten Parlamentsmitgliede angelegentlich nach dem Schicksal des ehemaligen Widersachers, den er „bestens zu grüßen bat“ – wie denn überhaupt Palmerston nicht leicht politische Feindschaft nachtrug.

Ehemals Redacteur des von Feargus O’Connor gegründeten „Northern Star“, leitete Georg Julian Harney später eigene Wochenschriften: die „Democratic Review“, den „Friend of the People“, den „Star of Freedom“ etc.. Zu den Verbannten der Volksparteien aller Länder, zu Mazzini, Ledru-Rollin, Louis Blanc, zu den deutschen, ungarischen und polnischen Demokraten, stand er in freundschaftlichem Verhältniß. Vor mir liegen seine Veröffentlichungen aus jenen Tagen der stürmischen Volksbewegung – treue Zeugnisse seines warmen Gefühls, seiner oft scharfblickenden Voraussicht.

Die „Times“ stand damals auf Seite der habsburgischen Reaction und wußte selbst für Haynau und Genossen ein Wort einzulegen. An Harney aber hatten die versprengten Freiheitsmänner aller Völker stets einen festen Vertheidiger gegen schnöde Verleumdung. Was er über den Frauenpeitscher in Ungarn, vor dessen Ankunft und nach seinem Empfang in London, schrieb, ist, merkwürdig genug, thatsächlich sogar Palmerston aus der Seele geschrieben gewesen. Das „Leben von John Henry Temple, Viscount Palmerston“, herausgegeben von dem Unterhausmitgliede Evelyn Ashley, liefert den Beweis dafür.

Auch die schleswig-holsteinische Sache, die Harney ursprünglich – allgemeiner Ziele wegen – gern vertagt gesehen hätte, fand zwischen 1848 und 1850 an ihm einen entschiedenen Verfechter innerhalb der demokratischen Grundsätze. Das deutsche Volksthum, das deutsche Recht vertrat er gegen die „kosakische Unterjochung“. Manches glühende Wort gegen dänische Tyrannei und ihre Bundesgenossen in England, die Hochtories und die selbstsüchtige Gruppe der englischen Manchesterschule, sowie gegen das Czarenthum zur Zeit des Nikolaus findet sich von ihm in seinem „Volksfreund“.

Im engen Rahmen dieser Behandlung ist es nicht möglich, auch nur in den Hauptzügen eine genügende Darstellung des Verlaufes der chartistischen Bewegung zu geben. In Kürze sei daher nur erwähnt, daß die Sprengung des Massenzuges, der am 10. April 1848 die Bittschrift für allgemeines Stimmrecht dem Parlament vorlegen wollte, der Partei die entscheidende Niederlage bereitete. Diese Sprengung vollzog der Herzog von Wellington, dessen geschichtliches Verdienst in den Napoleonischen Kriegen ein unbestrittenes bleibt, der aber in innerer Politik ein hartnäckiger Alt-Tory war, der mit der äußersten Heftigkeit der bürgerlichen Gleichstellung der Katholiken widerstanden und in den dreißiger Jahren den damaligen Häuptern der liberalen Partei offen gedroht hatte, ihnen „die Köpfe von den Schultern zu nehmen“. Dem Herzog von Wellington stand 1848 die Besorgniß eines Theiles des Bürgerstandes vor den etwaigen Ruhestörungen Seitens der Chartisten bei. Im Gefolge der Niederlage vom 10. April kamen dann die Processe und die Verbannungen.

Unentwegt führte Harney noch über drei Jahre lang die Propaganda eifrig und opferfreudig fort, bis die Mittel nicht mehr reichten. In der geschlagenen Partei, wie das immer der Fall, brach heftiger Zwiespalt aus. Feargus O’Connor, dessen Geist sich schon zu trüben anfing, trug zu diesen Zerrüttungen bei. Nicht leicht entschloß sich Harney zum Weggang aus England. Die Freiheit, wie die Größe seines Volkes war ihm stets theuer. „Weil die gedrückten Massen ihr Recht noch nicht erlangt haben,“ rief er aus, „ist das ein Grund, um unser Reich in Stücke fallen zu lassen, unsere Ansiedelungen und Besitzungen ihrem Schicksal, vielleicht einem fremden Eroberer preiszugeben? Nimmermehr!“ Bitter griff er diejenigen an, die des persönlichen Mammonsdienstes halber eine falsche Sparsamkeit des Staates predigen und dadurch der Auflösung des Reiches vorarbeiten. Die Ehre und die Stellung der Nation waren ihm nie gleichgültig.

Einige Zeit als Redacteur eines Blattes in Jersey wohnhaft, wo er sich nach dem Tode seiner ersten Gattin wieder vermählte, wandte sich Harney endlich 1863 den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika zu. Nach einer Reise durch den Süden und den Westen der Republik nahm er in Boston, an der Wiege der amerikanischen Unabhängigkeit, eine redactionelle Stellung an der „Commonwealth“ ein und half die Sache der Union und der Sclavenbefreiung dort mit der Feder auskämpfen. Kurz darauf erhielt er das Secretärsamt in der Staatsverwaltung von Massachusetts, das er, mit geringer Unterbrechung, bis auf die neueste Zeit herab eingenommen hat. Er ist auch drüben ein warmer Freund seines Geburtslandes geblieben, hat der Nation nicht nachgetragen, was er einst gelitten, ist nicht „vaterlandslos“ geworden, sondern – wie seine oft tieferregten brieflichen Aeußerungen und seine Hinweise auf Stellen in Byron zeigten – den Entwickelungen in England immer mit voller Theilnahme gefolgt.

Wie fast die ganze ältere Demokratie, ließ auch Harney sich in der orientalischen Frage nicht für die Zwecke des Czarenthums und der ritualistischen Clerisei einspinnen. Er trat vielmehr mit einer auf eigene Kosten herausgegebenen Schrift: „Der Kreuzzug gegen die Türken“ heraus, in welcher er die neue Sophisterei, die uns die Ausdehnung der russischen Macht als das wahre Mittel für die Wiedergeburt des Ostens verkaufen möchte, meisterhaft geißelte.

Noch gedenkt Mancher von den überlebenden Kämpfern in treuer Erinnerung des Volksführers, der nach so vielen Jahren wieder den Boden eines vielfach veränderten England betreten hat, und dies England hat alle Ursache zu wünschen, daß eine so treffliche in Erfahrung gereifte Kraft dem Lande dauernd wiedergewonnen werden möchte.




Die Großfuß-Hühner.
Von Dr. E. Baldamus.


Noch heute – nach 37 Jahren – erinnere ich mich sehr lebhaft des gewaltigen Eindrucks, den eine Rede des Prinzen von Canino, Charles Lucien Bonaparte, im Jahr 1841 auf mich machte. Der geniale, wissensdurstige Naturforscher hatte sie gelegentlich „der dritten Versammlung italischer Gelehrter“ in Florenz gehalten; darauf war sie gedruckt worden, und der Prinz hatte ein Exemplar dem Prof. Dr. J. F. Naumann in Ziebigk bei Köthen zugesendet.[1] Bei ihm, meinem hochverehrten Lehrer,

  1. Dem Vernehmen nach soll im nächsten Jahre, dem hundertjährigen Jubeljahre seiner Geburt, dem Großmeister der deutschen Ornithologen, Professor Dr. J. F. Naumann und zugleich seinem Vater und Bruder ein einfaches, aber würdiges Denkmal in Köchen errichtet werden. Der lange geplante Gedanke wurde bereits 1849 von dem Verfasser obigen Artikels, Dr. Baldamus, und dem jetzigen Präsidenten der deutschen Ornithologen-Gesellschaft, Baron Eugen von Homeyer, angeregt, und ist bereits dafür gesammelt worden. Das Capital wurde auf Zinsen ausgethan, reicht indeß mit den Zinsen doch nicht aus, um das Denkmal in der beabsichtigten Weise herzustellen. Wir glauben manchem dankbaren Schüler und Verehrer Naumann’s einen Dienst zu leisten, wenn wir auf das vorstehende Jubiläum aufmerksam machen und ihm so Gelegenheit geben, seine Theilnahme an dem Unternehmen auch werkthätig zu beweisen. Herr Dr. Baldamus in Coburg wird gern auf Anfragen guten Rath ertheilen.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 437. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_437.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)