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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

und bei jeder Bewegung der schlanken, weißgeschminkten Arme, bei jedem Pas flatterten und wehten glänzende Bandschleifen wie Flügel von den Schultern, wogte das dunkel niederrollende, mit weißen Rosen durchflochtene lange Gelock über den Nacken fast bis auf die Hüften hinab. Das war kein Tanz – weit eher ein Schwimmen und Schweben, als habe sich die Luft verdichtet und trage mühelos den kleinen, biegsamen Feenleib – Lucile war in der That eine Tänzerin ersten Ranges.

Sie hatte eine seltsame musikalische Tanzbegleitung. Die Kammerjungfer Minna stand, den Rücken der Thür zugekehrt, inmitten des Zimmers und summte eine Melodie, so scharf accentuirt im Rhythmus, so gewohnheitssicher, als sei sie seit Jahren das begleitende Orchester bei den Uebungen ihrer Herrin. Sie schlug dabei leise klatschend in die Hände, machte jede Wendung und Schwenkung mit wiegendem Oberkörper unwillkürlich mit, und war in ihre Aufgabe so vertieft, wie die Tänzerin selbst. – Sie hatten Beide keine Augen für die kleine Paula, die auf dem Teppich saß und in verschiedenen Cartons kramte. Die Kleine hatte sich einen weißen Kranz verkehrt aufgesetzt, Schuhe und Strümpfchen ausgezogen und wickelte eben einen gelben Seidenshawl um die kleine, nackte Büste, von der sie das lose, weiße Kleidchen nach den Hüften hinabgeschoben hatte.

„Lucile!“ rief Donna Mercedes, plötzlich mit dem Baron und José eintretend.

Die Tänzerin vor dem Spiegel fuhr erschrocken herum. „Minna, dummes Ding, Du hast vergessen, die Thür zu verriegeln,“ platzte sie erbost heraus; aber im nächsten Augenblick schon brach sie in ein gezwungenes, schallendes Gelächter aus.

Baron Schilling strich sich mit heiterem Lächeln den Bart – diese Sylphide sah nicht aus, als werde sie noch nachträglich über das Erlebniß ihres kleinen Sohnes in Ohnmacht fallen. Während er, José an der Hand, der Schwelle nahe stehen blieb, schritt Mercedes, ohne ein Wort zu sagen, durch das Zimmer; sie nahm der kleinen Paula, die sich unter Geschrei lebhaft widersetzte, den Kranz vom Köpfchen, zog ihr das Kleid über die Schultern, Schuhe und Strümpfe an die Füße, und redete ihr dabei mit sanfter Stimme begütigend zu.

„Du solltest das Kind nicht Zeuge Deiner Amüsements sein lassen!“ sagte sie zu Lucile, nachdem sie die Kleine beruhigt hatte.

„Ah bah, warum denn nicht?“ versetzte die junge Frau trotzig. „Wenn Du glaubst, ich gäbe es jemals zu, daß Paula auch so philisterhaft erzogen wird, wie Du mit José den Anfang bereits gemacht hast, dann irrst Du Dich gründlich. – Das arme Ding hat ohnehin eine jammervolle Kindheit. Was bin ich dagegen für ein glückliches Kind gewesen – o, wie glücklich! – Gehätschelt, bewundert, in Saus und Braus, in Glanz und Herrlichkeit bin ich groß geworden – o, mein schönes, geopfertes Paradies!“ – Sie streckte sehnsuchtsvoll die Arme gen Himmel, diese zarten Arme, die in der That überschlank geworden waren – die Aerzte hatten doch wohl Recht. Lucile’s Brust flog unter hastigen Athemzügen.

Sie griff nach den Blumen über ihrer Stirn, riß sie halb ergrimmt, halb im Uebermuth aus den Locken und schleuderte sie nach den Cartons.

„Meine Amüsements, sagst Du?“ fuhr sie impertinent lächelnd fort. „Mein Gott ja, armselig genug sind sie – aber was will man machen? – Jedes eben nach seinem Geschmack und Bedürfniß, Donna Mercedes! Du spielst Bach auf Deinem Flügel und stellst Dich ganz verzückt über den alten Zopf – und ich, nun, ich tanze, ich krieche dann und wann wehmuthsvoll in die alten, lieben Theatersachen – “

„Der Anzug ist neu – er ist noch nie in einem Koffer verpackt gewesen,“ unterbrach sie Mercedes kalt und unerbittlich.

Lucile drehte sich wie ein Kreisel in verlegener Lustigkeit auf der feinen Fußspitze, und Minna, die scheu in den Hintergrund des Zimmers getreten war, bückte sich, um die verstreuten Blumen zusammenzulesen.

„Nun, und wenn auch?“ fragte die kleine Frau – sie hielt plötzlich inne mit ihren Fußschwingungen und trat erbittert auf ihre Schwägerin zu. „Und wenn auch, Donna Valmaseda? Was geht es schließlich Dich an, wenn ich mir ein paar Ellen Sammet und Atlas kaufe? Geht es etwa aus Deinem Beutel – wie?... Ich bitte Sie, Baron Schilling, sehen Sie sich meine gestrenge Schwägerin an! Der Spitzenbesatz, den sie da zerrissen auf dem Teppich nachschleift, ist so kostbar, daß ihn eine deutsche Herzogin auf ihrer Staatsschleppe tragen könnte – diese Baumwollenprinzessinnen leisten das Menschenmögliche in der Verschwendung, sag’ ich Ihnen. Ich armer Tropf aber soll mir nicht einmal den Spaß machen, mich auch einmal in einem neuen Costüm bei meinen einsamen ‚Amüsements’ zu sehen? – Es ist unverantwortlich von dieser Vormundschaft, daß sie die Auszahlung meiner Nadelgelder in Mercedes’ Hände gelegt hat, aber ich bin auch immer so dumm und leichtgläubig; ich lasse mir Alles bieten. – Weiß ich denn, ob dieses behauptete Recht nicht ein angemaßtes ist? – Nun wird mir jede Stecknadel, jeder Seidenfaden nachgerechnet –“

„Du weißt sehr gut, daß ich Dir nie etwas nachrechne,“ fiel Mercedes ruhig ein – auf ihrer Stirn lag ein Schimmer wahrer Seelenhoheit. „Ich finde es nur sehr unrecht, daß Du trotz des Verbotes der Aerzte Dich so echauffirest. Felix hielt Dich stets zurück, wenn Du im Uebermuthe in irgend eine Tanzweise verfallen wolltest –“

„Ja – aus Eifersucht. Er konnte es nicht ertragen, der gute Felix, wenn auch andere Augen, als die seinen, mein Talent bewunderten; gewisse Leute machen es ebenso, sie verzehren sich vor Neid. – Und das haben die zwei weisen Salomo’s, unsere Aerzte, recht gut gemerkt; sie haben sich sofort auf die Seite der Großmacht im Hause gestellt – natürlich! – und sich alles Ernstes eingebildet, ich ließe mich in’s Bockshorn jagen, wenn sie mir mit geheimnißvollem Achselzucken verkündigten, meine Gesundheit sei angegriffen – die Schlauköpfe, die!“ Mit unbeschreiblicher Komik und Grazie machte sie die Geste der langen Nase und drehte sich abermals wie ein Wirbelwind auf der äußersten Fußspitze, und ihr Töchterchen haschte aufjauchzend nach dem gelben Atlasrock, der sich wie eine goldglänzende Sonnenscheibe über dem leichten Gewölk der Gazekleider mit der Tänzerin drehte.

In Mercedes’ Wangen stieg ein helles Roth. Sie ergriff schweigend Paula’s Hand, um das Kind aus dem Zimmer zu führen; allein Lucile vertrat ihr den Weg, „O nein – Paula bleibt bei mir, bei ihrer Mama, wohin sie gehört,“ sagte sie bestimmt. „José magst Du meinetwegen usurpiren. Ich habe ihn auch lieb, sehr lieb, aber ich habe keine Macht über ihn. Das Schicksal ist doch manchmal wie mit Blindheit geschlagen bei seinen Arrangements – solch einem jungen, unerfahrenen Ding wie mir die Erziehung eines wilden Jungen zuzuweisen – Unsinn! . . . Mein süßes Mädchen dagegen, meine kleine Paula, behalte ich für mich, so wie einst Mama und ich zusammengestanden – daß Du es weißt –“

„Felix hat die endgültige Verfügung über beide Kinder vorläufig in Frau von Valmaseda’s Hand gelegt,“ unterbrach Baron Schilling die eifrig Redende mit Nachdruck.

Lucile wandte ihm rasch das Gesicht zu und maß ihn mit spöttischem Blick. „Auch Du, Brutus?“ rief sie pathetisch. „Nun ja, ich konnte das wissen. – Drüben unterwarfen sich ja auch Alle ihren Orakelsprüchen, alle unsere Herren, ihr Vater, Felix, der arme Valmaseda.... Diese dämonischen Frauen mit den finsteren Mienen sind leidenschaftlich im Herrschen und Gebieten und zurückhaltend im Gewähren – das ist die ganze Kunst! – Sie war eine sehr kühle Braut, diese Donna de Valmaseda –“

„Schweige!“ unterbrach Mercedes mit flammenden Augen die boshafte Verrätherin.

„Mein Gott, ich bin ja schon still,“ wich die kleine Frau mit einer drolligen Furchtgeberde zurück. „Aber Baron Schilling ist mein Freund, mein guter, alter Freund noch aus der himmlischen Berliner Zeit – ich darf nicht leiden, daß er auch in’s Netz geht; ich leide es absolut nicht. Er hat ohnehin schwer zu tragen am Leben, der unglückliche Mann –“

„‚Unglücklich’?“ fuhr er mit tieferblaßtem Gesicht empor. „Wer sagt Ihnen denn, daß ich – –?“

„Mein Gott, ich denke – oder wäre sie hübscher geworden, Ihre Frau? Und liebenswürdig?“ rief sie, jetzt wirklich überrascht, mit großen Augen, aber sie senkte sie doch einen Augenblick erschrocken über den Ausdruck des Zornes, den ihre tactlose, vorwitzige Zunge geweckt hatte.

Sein Blick fuhr wie ein Blitz seitwärts über das Antlitz der Frau hin, die vor wenigen Stunden mit vernichtend drastischer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 447. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_447.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)