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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

nichts Einladendes; es schien zwar durchaus bewohnt, aber die Fenster hatten ein kahles Aussehen und entbehrten in ihrer Mehrzahl selbst der Vorhänge. Das kleine Haus daneben war alt und sah fast ärmlich aus. Es hatte in der Front nur drei Fenster, und der Eingang war zur Seite vom Hofe aus. Aber durch die Fenster des zweiten Stockwerkes leuchteten blüthenweiße Gardinen, und gerade in diesem zweiten Stockwerk waren, wie ein von Frauenhand geschriebener Zettel am Pfosten des Hofthores besagte, Zimmer zu vermiethen. Die blüthenweißen Gardinen schienen nur Gutes zu verkünden, und ich prüfte das Terrain. Gegenüber kein Haus, das mir seine dunklen Schatten in’s Fenster warf, keine Menschen, die mir mit Operngucker in die Stube sahen, sondern eine große, weite Wiese, deren Grün im Sommer nur angenehm sein konnte, wenn sich auf ihm voraussichtlich auch die ganze Kinderschaar der Häuser ringsum von früh bis Abend tummelte – dann die Nähe der Felder und über mir der weite, unbegrenzte Himmel mit der Sonne, an deren wonnevollem Lichtglanz ich mich den ganzen Tag erfreuen konnte; die Sonne, die Sonne – sie (ich bin immer ein heimlicher Anhänger des persischen Sonnendienstes gewesen) gab den Ausschlag, und halb vom Windstoß hineingeworfen, wie wenn er meinem Zaudern und Grübeln ein Ende machen wolle, betrat ich das Haus.

Die hölzerne Treppe war schmal, ausgetreten und etwas schmutzig. Die Thür der Wohnung im ersten Stock trug ein Messingschild, auf welchem ebenso schön wie einfach nur ein Name zu lesen war, der nichts weiter zu denken gab: „Huber“. Das etwas gebrechliche Geländer der Treppe war feucht anzugreifen, und das gefiel mir nicht. Was mich aber, als ich vor der Thür des zweiten Stockwerkes stand, wo die Zimmer zu vermiethen sein sollten, in ein äußerstes Erstaunen versetzte, war im Grunde eine Kleinigkeit, aber gerade hier und in diesem Hause, an diesem Orte erschien mir diese Kleinigkeit in hohem Grade bewundernswerth. Der lange, bequem in der Hand liegende Griff des Glockenzuges neben der Thür, die – wie ich gleich bemerken will – keinen Namen aufwies, war von äußerster Eleganz, war von schön geschliffenem grünem Glase und nahm sich, wie er aufleuchtend so hin und her schwankte, hier in dem halb ärmlichen oder doch höchst einfachen Hause so vornehm, so distinguirt aus, daß er gewiß geeignet war, durch seine Gegenwart meine bewundernde und staunende Aufmerksamkeit zu erregen.

Endlich wagte ich es auch, den schönen grünen Glasgriff zu berühren, und klingelte. Niemand öffnete. Ein zweiter und dritter Versuch blieb ebenso fruchtlos. Da beschloß ich, zu „Huber“ hinabzusteigen, ob man mir vielleicht dort die gewünschte Auskunft geben konnte. Der Klingelgriff neben dem Messingschild war nur von gemeinem Holze und einfach braun angestrichen. Eine hübsche, runde Frau erschien auf der Schwelle und fragte nach meinem Begehren.

„Die Wohnung oben ist durch mich zu vermiethen,“ sagte sie dann freundlich, „und Sie können sie sogleich ansehen.“

Dann holte sie den Schlüssel.

Als sie mir voraus die Treppe hinaufstieg, verlor sie auf einen Augenblick einen ihrer gestickten Hausschuhe. Ich sah, daß derselbe zwar bedenklich ausgetreten und in die Breite gelaufen war, aber der Strumpf zeigte dafür eine anerkennenswerthe und im Ganzen zufriedenstellende Weiße.

Das Vorzimmer der Wohnung war mit Spiegel, Kommode, Stühlen und rothen Vorhängen besser ausgestattet, als dies in der Regel bei Junggesellenwohnungen der Fall zu sein pflegt, die des Gewinnes halber vermiethet werden. Um die dunkelrothen Tapeten des Wohnzimmers, in das wir nunmehr traten, liefen oben am Gesimse und in den Ecken glänzende Goldleisten, die einen vornehmen Anstrich gaben. Zu beiden Seiten des Spiegels mit dem breiten, geschnitzten schwarzen Rahmen leuchteten zwei Gypsfiguren, von denen ich nicht mehr weiß, was sie vorstellten. Ein Vertikow und ein Schreibtisch zur Seite waren gleichfalls von schwarz polirtem Holze und mit ihren zierlichen Medaillons und Arabesken im anmuthigen Stil Ludwig’s des Fünfzehnten gehalten. Es fehlte nur ein reicher, bunter Teppich am Boden, um dem Gemach mit seinem schwellenden, mit blauem Seidenstoff überzogenen Sopha und mit seinen weitem bequemen Fauteuils das Gepräge vollkommenster Eleganz zu geben.

Frau Huber pries mir dieselbe auch gehörig an, aber schon war mein Interesse an der Wohnung bedeutend gesunken; denn indem ich ihren voraussichtlichen Preis im Stillen überschlug, fand ich, daß derselbe den Betrag, den ich für meine Wohnung ausgeben wollte, jedenfalls bedeutend übersteigen werde.

Von der blauen sternübersäten Tapete des daranstoßenden Schlafzimmers hob sich ein riesiges Himmelbett so verführerisch ab, daß ich einen Augenblick auf der Schwelle schüchtern stehen blieb, weil ich meinte, es müsse sofort eine schmale, weiße Hand die schweren Vorhangfalten zurückschieben und ein übermüthiger schwarzer Lockenkopf oder eine gretchenhafte Blondine mit schmachtenden hellblauen Augen daraus hervorschauen, um den Grund so unliebsamer Störung zu erfahren. Aber der Vorhang blieb unbewegt, und Nichts rührte sich. Dieses schöne, reiche, wunderbare Bett war wirklich leer, und diese merkwürdige Frau Huber neben mir war sogar bereit, es an mich zu vermiethen.

Eine kleine Kammer, deren Fenster in den Hof hinaus gingen, bot nichts Bemerkenswerthes; die Küche, welche mir Frau Huber gleichfalls zeigen zu müssen glaubte, war kahl und entbehrte jedes Geschirres und Geräthes.

Wir waren in das Wohnzimmer zurückgekehrt, und während ich noch einmal dessen Einrichtung zu prüfen schien, überlegte ich vielmehr, wie es mir am besten gelingen werde, einen anständigen Rückzug anzutreten und mich ohne weitere Beschämung aus diesen Prunkzimmern wieder auf die Straße zu versetzen. Aber den Preis hätte ich doch gerne gewußt. Ich sah Frau Huber fragend an; Frau Huber, die offenbar nichts weiter zu bemerken hatte, sah mich ebenfalls fragend an, und wer weiß, wie lange dieses zwecklose Fragespiel noch gedauert hätte, wenn die praktische Frau nicht endlich kurzweg auf den Kernpunkt der Sache losgegangen wäre und zuletzt aus eigenem Antrieb den Preis genannt hätte.

Ich erstaunte. Die Wohnung war viel, viel billiger als diejenige, die ich bisher inne gehabt hatte und die sich doch an Glanz und Bequemlichkeit mit dieser nicht im Geringsten vergleichen ließ. Aber ich glaubte mir meine Ueberraschung nicht merken lassen zu dürfen.

„Hm,“ sagte ich trocken, „das ist nicht zu teuer.“

Frau Huber war indessen auch nicht auf den Kopf gefallen.

„Nicht zu teuer?“ rief sie lachend. „Mein lieber Herr, Sie bekommen die Wohnung so gut wie geschenkt.“

Das war in der That wahr gesprochen und hätte mich zu weiteren Fragen veranlassen sollen. Aber wozu? Warum? Was ging mich der Grund an, aus welchem Frau Huber ihre schöne Wohnung so billig vermiethete? Sie mußte doch am besten wissen, wie viel sie in ihren Verhältnissen fordern müsse, und wenn sie mich für so geringen Preis in ihren Staatsgemächern hausen ließ, so war das ja ganz und gar ihre Sache, und nicht die meine. Wir besprachen noch einige nebensächliche Punkte. Wenn ich ihrer Dienste bedürftig sei, so solle ich mit einem Stock oder mit dem Stuhl auf den Boden des Wohnzimmers klopfen, da sie unter mir wohne, und die Stiefel sollte ich alle Abende in das Vorzimmer setzen. Ich hatte dagegen nichts einzuwenden, und schon in der Abendstunde des folgenden Tages zog ich ein.

Frau Huber hatte mich feierlichst in meine neuen Wohnungsräume eingeführt, Dann ließ sie mich allein, mit dem Wunsche, daß ich mir’s bequem machen möge. Aber ich nahm nur aus meinem Handkoffer das Dringendste, was ich für den Abend nöthig hatte; dann begnügte ich mich, in dem Wohnzimmer auf- und abzugehen, das jetzt von einem gastlichen Feuer durchwärmt war, und mich, bald Dies, bald Jenes betrachtend, jener inneren Behaglichkeit hinzugeben, welche uns überkommt, wenn wir unsere Freude und unser Gefallen am Schönen mit einem gewissen Luxus auch auf unsere nächste Umgebung, auf die Räume, die wir bewohnen, auszudehnen vermögen. Aber seltsam erschien es mir doch immer wieder, daß ich so plötzlich und im Handumdrehen in einen Glanz versetzt worden war, den ich bei den bescheidenen Ansprüchen, welche ich an’s Leben zu machen gewöhnt war, als durchaus neu bezeichnen mußte, wenn er mir auch keineswegs mißfiel und mir im Gegentheil rasch genug ein solches Selbstgefühl gab, daß ich mich, obgleich ich doch allein war, ganz unversehens in die Brust warf und im Zimmer wie ein Graf herumspazierte, der sein Lebelang keine andere Umgebung gehabt hat.

Da kam mir plötzlich ein Gedanke. Ich zündete eine der Kerzen an, die auf dem Vertikow standen, und verschloß sorgfältig die Wohnung. Dann durchstöberte ich hastig und mit aller

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 462. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_462.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)