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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Wirklichkeit zu sehen vermögen und in welchem unser Schädel durchsichtig zu werden scheint, sodaß es nicht anders ist, als wenn die Außenwelt nunmehr, statt durch den Umweg und die enge Pforte der Sinne, geradezu und unmittelbar im Gehirn Eingang fände?

Aber was sollte das Ganze dann bedeuten? Ich hatte immer eine kleine Schwäche für den Aberglauben und habe mich oft genug auf ihm ertappt. Mir fielen die Faust’schen Worte ein:

„Es eignet sich; es zeigt sich an; es warnt.“

Es warnt? Befangen und seltsam beklommen legte ich endlich die geheimnißvolle Marmorbüste in den Kasten des Schreibtisches zurück, den ich sorgfältig verschloß. Den Schlüssel steckte ich zu mir. Dann suchte ich mich, langsam im Zimmer auf und abschreitend, zu beruhigen. Ich wollte, wie ich mir mahnend vorsagte, wieder Herr der Situation werden. Und es gelang mir, besser und rascher, als ich nur geglaubt hatte. Als es auf einem Thurm in der Nähe Mitternacht schlug, hatte ich meinen Humor schon völlig wiedergewonnen, und ich lachte laut auf über den Schnickschnack, den mir meine aufgeregten Sinne im Traume vorgespiegelt hatten. Es war Zeit schlafen zu gehen. Und wie, dachte ich dreist, als ich die Lampe gelöscht hatte und mit der brennenden Kerze in’s Schlafzimmer schritt, wie wäre es, wenn das schöne Gespenst, das im Schlafzimmer verschwunden und in der ganzen Wohnung nicht mehr zu finden gewesen war, nun gar von deinem Bette schon Beschlag genommen hätte? Das wäre eine heitere Verwickelung gewesen. Aber damit war es nichts. Mein Besitztitel auf das weiße Linnen und die seidene Decke blieb mir ungeschmälert. Da zog ich denn die schweren Vorhänge zu, und indem ich mich dem Schutze aller guten Geister noch einmal dringend anempfahl, genoß ich den festen und tiefen Schlaf der Jugend ganz als die große Panacee des Lebens.

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.


Karl Friedrich Friccius. Am 25. Juni vollendete sich ein Jahrhundert seit der Geburt eines hervorragenden Kämpfers aus dem Jahre 1813. Karl Friedrich Friccius wurde am 28. Juni 1779 zu Stendal in der Altmark geboren. Im Herbste 1806, als nach der unglücklichen Schlacht von Jena Alles für Preußen verloren schien, machte er den Gedanken, daß jeder Waffenfähige die heilige Pflicht habe, dem bedrängten Vaterlande seinen Arm zur Vertheidigung darzubringen, zuerst zur That, indem er (ein damals unerhörter Fall) aus seiner Stellung als Obergerichtsassessor in das preußische Heer trat, in welchem ihm von seinem Könige die Stelle eines Lieutenants ertheilt wurde. So dürfen wir Friccius als den ersten preußischen Freiwilligen bezeichnen. Nach dem Frieden von Tilsit in seine Civilstellung zurückgetreten, verließ der nunmehrige Oberlandesgerichtsrath Friccius 1813, als König Friedrich Wilhelm der Dritte sein Volk zu den Waffen rief, von neuem sein Richteramt und trat dem soeben errichteten Königsberger Landwehrbataillon bei, zu dessen Major und Commandeur er ernannt wurde. Unter Friccius’ tüchtiger Führung machte das Bataillon die Schlachten von Groß-Beeren und Dennewitz in ruhmvoller Weise mit und nahm endlich auch am 18. und 19. October 1813 an der Völkerschlacht von Leipzig Theil und zwar durch die blutige und opferschwere Erstürmung des äußeren Grimmaischen Thores durch seine Landwehr. Dieser Heldenthat hat die „Gartenlaube“ zwei illustrirte Artikel gewidmet: im Jahrgang 1862, Seite 649 und im Jahrgang 1863, Seite 734, wo die Weihe des „Friccius-Denkmals“ in Leipzig als erhebendster Moment der großen Schlachtfeier geschildert worden ist.

Friccius wurde für diesen glorreichen Antheil an dem Siege der Völkerschlacht durch Verleihung des Eisernen Kreuzes erster Classe geehrt. Später Commandeur des neu errichteten ostfriesischen Landwehr-Regiments bewährte er sich besonders als Organisator. Der Wiederausbruch des Krieges im Jahre 1815 traf ihn in Ostfriesland; er nahm an der Spitze seines neuen Regiments wiederum thätigen Antheil am Kampfe, insbesondere an der für Preußen zwar unglücklichen, aber ruhmvollen Schlacht bei Ligny, in welcher er bei dem Sturm auf Ligny, nachdem er sein Pferd durch einen Kanonenschuß verloren, am Arme verwundet wurde.

Wie Friccius im Felde seine Schuldigkeit in vollem Maße gethan, so geschah dies auch demnächst im Frieden, nach dessen Abschluß er in seine Civillaufbahn zurücktrat als Richter und Chef des General-Auditoriats. Er starb am 7. November 1856.

Möge das Andenken dieses wahrhaft deutschen Mannes, welches durch das an der Stelle des äußeren Grimmaischen Thores in Leipzig errichtete Denkmal monumental geehrt wird, in Segen bleiben und als leuchtendes Beispiel das jüngere Geschlecht zu gleicher Treue und Mannhaftigkeit aneifern!

C. B.




Nachtrag zu „Der Sperling und die öffentliche Meinung“. Herr C. Becker, Mädchenlehrer a. D. in Jüterbogk, gegen dessen Sperlingsfeindschaft der Verfasser des genannten Artikels (in Nr. 18 der „Gartenlaube“ S. 307), Dr. Karl Ruß, für den vielgeschmähten Proletarier der „gefiederten Welt“ eine Lanze einlegt, hat uns dargethan, daß Herr Dr. Ruß ihm Mancherlei in die Schuhe geschoben, von dem er sich frei weiß und mit dem er nicht im Auge der Oeffentlichkeit belastet sein möchte. Dr. Ruß findet es „bedauernswerth“, daß Herr Becker „zur völligen Ausrottung“ der Sperlinge auffordere, während dieser in einer Broschüre über die Feinde der Obstbäume und Gartenfrüchte, in einem Anhang über die Schädlichkeit der Sperlinge, ausdrücklich sagt, daß die Ausrottung derselben so unmöglich sei, wie die der Ratten und Mäuse – ohne einen „Rattenfänger von Hameln“, setzen wir hinzu. Er dringt nur, in allerdings feindseligerer Weise, als Dr. Ruß selbst, auf Verminderung derselben und erwähnt die von Letzterem aufgeführten Vertilgungsmittel nicht gerade mit directer Aufforderung zur Anwendung, sondern nur in Verbindung mit Beispielen bereits geübter Vertilgungsmaßregeln. Auch den Vorwurf des Aufwiegelns der Harzer Canarienvogelzüchter gegen die Sperlinge weist er zurück, wie denn jene Broschüre thatsächlich weder diese Aufforderung enthält, noch mit dem Ausruf schließt: „Die Vernichtung der Sperlinge ist eine Forderung der rationellen Landwirthschaft.“ Müssen wir somit nach Prüfung der kleinen Schrift, auf welche unser geschätzter Mitarbeiter seinen Angriff richtete, die Verwahrung des Herrn Becker für die angegebenen Fälle gerechtfertigt finden, so kann es uns im sachlichen Interesse nur erwünscht sein, wahrzunehmen, daß die beiden streitenden Theile in der letzten Beantwortung der Sperlingsfrage einig sind – ein schätzenswerther Fingerzeig, daß die gegebene Lösung wohl die richtige sein dürfte.



Kleiner Briefkasten.

G. Sie schreiben uns: „Wenn es bei uns genau 12 Uhr Mittags 20. Februar (oder irgend ein anderer Tag) ist, so ist es genau zu derselbe Zeit

90 Grade weiter östlich 6 Uhr Abends 20. Februar,

180 Grade weiter östlich 12 Uhr Mitternacht 21. Februar,

270 Grade weiter östlich 6 Uhr Morgens 21. Februar,

360 Grade weiter östlich 12 Uhr Mittags 21. Februar

(wieder bei uns angelangt).

Es kann doch aber nicht zu gleicher Zeit 12 Uhr Mittags den 20. und auch den 21. Februar sein – an demselben Orte?

Geht man dagegen von uns aus nach Westen, so kommt das umgekehrte Verhältniß heraus; wir langen nämlich einen Tag früher, also im obigen Falle den 19. Februar, wieder bei uns an. Demnach wäre es zu gleicher Zeit Mittags den 19., 20. und 21. Februar oder irgend drei andere Tage. Wo fängt überhaupt jeder Tag von 24 Stunden an? Und auf welchem Orte wird jedes Datum zuletzt geschrieben?

Diese höchst interessanten Fragen scheinen in keiner Schule, auf keinem Gymnasium und sogar nicht einmal auf der Universität behandelt zu werden, müssen doch aber z. B. von Seeschulen oder Astronomen leicht zu beantworten sein. Jedenfalls kann man ruhig wetten, daß es Städte von 30,000, 40,000, 50,000 Einwohnern giebt, wo nicht Einer die obigen Fragen beantworten kann.“

Hierauf haben wir Ihnen Folgendes zu erwidern:

Wir glauben doch, daß Sie den meisten Realschulen und Gymnasien Unrecht thun, wenn Sie voraussetzen, daß die hier aufgeworfene Frage nirgends beim Unterricht in der physikalischen Geographie klar gestellt werde. In den Seeschulen wird der Gegenstand jedenfalls berücksichtigt; haben doch die Seefahrer auf ihren Fahrten um die Welt die Gewohnheit, jedes Mal, wenn sie den 180. Grad, von Greenwich gerechnet, überschreiten, entweder – nämlich wenn sie von Osten nach Westen fahren – einen Tag aus ihrem Kalender zu streichen, das heißt Wochentag und Datum zu überspringen, oder – im umgekehrten Falle – wie Josua aus zwei Tagen einen zu machen. Darauf, daß jenes Mitglied des Excentric Clubs, welches gewettet hatte, in 80 Tagen die Welt zu umsegeln, diesen Seemannskniff vergessen hatte, beruht jener hübsche Schlußeffect des Verne’schen Ausstattungsstückes, daß er die Wette verloren zu haben glaubt, weil er nicht aus zwei Tagen einen gemacht hat, und nun natürlich um einen Tag zu spät gekommen zu sein meint. Jedenfalls hat dieses Theaterstück das Verdienst, die Thatsache zum allgemeineren Bewußtsein gebracht zu haben, obwohl freilich manchem Zuschauer dadurch schweres Kopfzerbrechen entstanden sein mag.

Es ist einmal nicht anders; ebenso wenig wie wir auf der ganzen Erde überall gleichzeitig Tag und Nacht haben können, können wir überall zugleich Sonnabend oder Sonntag, Sylvester oder Neujahr haben. Praktisch Verwirrung angerichtet hat die Thatsache nur insofern im stillen Meer, als die einen Land- oder Inselbewohner dort unsere Zeitrechnung von Osten, die anderen von Westen her bekommen haben, wodurch die einen Sonnabend haben, wenn ihre westlichen Nachbarn schon Sonntag schreiben; es ist das der Fall auf der Linie, wo die aus den beiden verschiedenen Richtungen kommenden Missionäre auf einander getroffen sind. Sie folgt leider keineswegs einfach dem hundertachtzigsten Meridian, sondern läuft, wie so vieles, worin die Kirche entschieden hat, zum Erbarmen krumm, aus der Behringstraße längs der japanischen und chinesischen Küste südwestlich, um sich dann wieder über Neuguinea, Australien und Neuseeland östlich zurückzubiegen.

Näheres über den Gegenstand finden Sie Jahrg. 1872, Nr. 13 der „Gartenlaube“.

G. M. in R. Ist noch zu haben. Einzelne Nummern werden bei Franco-Einsendung von 40 Pfennig unter Kreuzband franco abgegeben.

H. Deli auf Sumatra. Für die Nordsee kennt die Geographie in der That noch den Namen „Deutsches Meer“.


Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig, – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 464. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_464.jpg&oldid=- (Version vom 8.5.2023)