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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

meiner letzten Reise, die ich unternahm, um die Aufmerksamkeit des Volkes der Vereinigten Staaten auf die bösen Wirkungen des Institutes der Negersclaverei hinzulenken, machte ich die Bemerkung, daß in den freien Staaten des Nordens, namentlich in Neu-England, ein Umschwung der Gesinnung zu Gunsten der Abschaffung der Sclaverei verhältnißmäßig weniger eingetreten ist, als im Süden. Man begegnete mir in den nördlichen Staaten mit bittererer Geringschätzung, stärkerer Opposition, rücksichtsloserer Verleumdung, zäherem Vorurtheile und größerer Apathie, als unter den Sclavenhaltern. Gewiß gab es einzelne rühmenswerthe Ausnahmen. Diese Thatsache konnte mich wohl betrüben, aber nicht entmuthigen. Ich beschloß, die Fahne der Emancipation um jeden Preis vor den Augen des amerikanischen Volkes, im Angesicht von Bunker Hill, hier in Boston, der Geburtsstätte unserer nationalen Freiheit und Unabhängigkeit, zu entfalten. Dieselbe ist nun entfaltet; möge sie lange wehen, unverletzt durch die Zeitereignisse und die Angriffe verzweifelter Feinde; ja, möge sie wehen, bis jede Kette gebrochen ist, bis jeder Sclave seine Freiheit erlangt hat! Laßt die südlichen Unterdrücker zittern, laßt ihre geheimen Mitschuldigen erzittern, laßt alle Feinde der verfolgten schwarzen Race mit Zagen erfüllt werden! In dem Glauben an die in unserer Unabhängigkeitserklärung niedergelegte Wahrheit, daß alle Menschen von Natur gleichgeboren sind, daß sie von ihrem Schöpfer gewisse unveräußerlichen Rechte erhalten haben, darunter Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit, in diesem Glauben werde ich mit aller mir zu Gebote stehenden Macht eintreten für die sofortige, unentgeltliche Befreiung der Sclavenbevölkerung unseres Landes. Hierzu bin ich fest entschlossen; ich werde klar und deutlich meine Ansichten zum Ausdruck bringen und keine Winkelzüge machen, nicht einen Zoll breit werde ich zurückweichen, und schließlich wird man gezwungen sein, auf mich zu hören.“

Diese Worte besaßen eine prophetische Bedeutung und sind in der Hauptsache in Erfüllung gegangen. Gerade fünfunddreißig Jahre später, am 1. Januar 1866, konnte Garrison erklären, daß das schwere und große Werk, welches er unternommen, vollendet sei, er konnte mit stolzer Zufriedenheit und voll Dank gegen die Vorsehung das Aufhören seines „Liberator“ proclamiren. Sein eigener Sohn hatte tapfer in der Unionsarmee gegen die südlichen Rebellen gekämpft; Charleston, das Brutnest der Secession, war unter dem Jubel der befreiten Sclaven gefallen, und die Handschellen und Ketten des Sclavenmarktes waren als Sieges- und Friedenstrophäen auf die Redaction des „Liberator“ nach Boston gesandt worden.

Bevor aber dies Alles geschehen konnte, hatte Garrison und seine Gesinnungsgenossen persönlich viele Mühen und Gefahren zu erdulden, und die Union hatte die härtesten und blutigsten Kämpfe zu bestehen. Nicht wenige Emancipationisten wurden von den Sclavenhaltern und ihren Helfershelfern weggefangen, ausgepeitscht und gehängt. Zu Alton im Staate Illinois wurde der edle und muthige Elijah P. Lovejoy in der Vertheidigung seines Redactionslocals von den wüthenden Anhängern der Sclaverei erschossen; der alte John Brown starb unfern von Charleston den Tod am Galgen, aber sein Name lebt fort in dem Andenken seiner Landsleute, und das Lied von John Brown tönte manchem Rebellen während des Secessionskrieges verderbenbringend in das Ohr. Garrison selbst konnte in Boston dem Tode nur dadurch entgehen, daß er durch die Behörden in das Gefängniß geführt wurde. Als er nämlich im October des Jahres 1835 in einer öffentlichen Versammlung über die Gründung von Antisclavereivereinen Bericht erstatten wollte, stürmte ein Mob in den Saal, schleppte den Freiheitsmann durch die Straßen der Stadt und mißhandelte ihn auf das Schmachvollste. In den Sclavenstaaten, z. B. Georgien, wurden hohe Summen auf seinen Kopf gesetzt.

Garrison war wiederholt in England, wo er mit Wilberforce, Lord Brougham, Clarkson und anderen Freiheitsfreunden über die Emancipation der Negersclaven berieth und den feurigen Redner George Thompson bestimmte, nach Amerika zu kommen und dort für das Niederbrechen der Sclaverei zu wirken. Wir Deutschen haben die Ehre, durch Karl Follen in den Reihen der Abolitionisten würdig vertreten gewesen zu sein.

Noch bis in die jüngste Zeit interessirte sich Garrison lebhaft für das Schicksal der Neger und warnte durch öffentliche Kundgebungen vor den unions- und freiheitsfeindlichen Bestrebungen der demokratischen Partei, an deren Spitze gegenwärtig wiederum eingefleischte Rebellenfreunde stehen. Auch für die Auswanderungen der Neger, welche im Beginne des Jahres massenhaft nach den Nordstaaten stattfanden, empfand er das lebhafteste Interesse. Seit 1834 verheirathet, führte er eine glückliche Ehe; seine Frau starb vor ihm, er selbst aber schied zu New-York im Hause seines Schwiegersohnes, Henry Villard, aus diesem Leben. Seine irdischen Ueberreste wurden unter allgemeiner Theilnahme zur Erde bestattet.

Wohl war Manches an den Tendenzen der radicalen Abolitionisten, der sogenannten „Garrisonianer“, nicht zu billigen; man mag ihre lange Abschließung gegen die Tagespolitik unpraktisch und zweckwidrig finden, man mag selbst die Art ihrer Propaganda nicht überall gutheißen, denn sie verurtheilten sogar die Constitution der Vereinigten Staaten, weil sie die Sclaverei erlaubte, als „eine Vereinigung mit der Hölle“ und wollten lieber die Auflösung der Union, als das Fortbestehen der Sclaverei: aber dennoch sind die Abolitionisten edle Idealisten und hingebende Patrioten gewesen, und – was mehr als Alles das ist – sie waren lange Zeit das politische Gewissen des amerikanischen Volkes, sie waren seine Mahner und Rather in den Stunden der politischen Versuchung und Gefahr; sie hielten ihm kühn und unerschrocken den Spiegel seiner Schande vor, wenn es sich von den Handwerkspolitikern zu einem schmutzigen Schacher über Ehre und Grundsätze verleiten lassen wollte. Sie haben vor Allem das Verdienst, dem Despotismus der Sclavenhalter seine Maske abgerissen und ihn in seiner ganzen Nacktheit, in seiner Unverträglichkeit mit den freien Institutionen der Union gezeigt zu haben. Es ist vielleicht in den Vereinigten Staaten mehr, als irgend sonstwo, eine ungewöhnliche Erscheinung, daß ein Mann für sich selbst auf äußeren Erfolg verzichtet, daß er sein ganzes Leben an die Verwirklichung einer hohen Idee setzt und jede Gemeinschaft mit den politischen Parteiführern, den Spendern von Gunst und Aemtern, von sich weist. Ehre darum dem Andenken der Abolitionisten und einem ihrer ersten und bedeutendsten Führer – William Lloyd Garrison!

Rudolf Doehn.




Klytia.
Von Hermann Oelschläger.
(Schluß.)

Den nächsten Morgen brachte ich damit zu, die Wohnung einzuräumen, die ich immer behaglicher fand. Die Klytiabüste ließ ich unberührt und sogar unbesehen. Eine gewisse Scheu hielt mich dem Kasten doch noch immer fern. Als ich gegen Mittag das Haus verließ, bemerkte ich zu meiner Freude, daß ein Tischler, der im Parterre seine Werkstätte aufgeschlagen hatte, Tags zuvor ausgezogen war. Da hatte ich denn weiter keine lärmende Störung bei meinen Arbeiten zu befürchten, wenn auch die Wohnung wieder besetzt schien. Denn an einem Fester lehnte ein zerbrochener Spiegel mit allerlei sonstigem armseligem Hausgeräth. An dem Fester, welches mit demjenigen meines Schlafzimmers correspondirte, war das Rouleau herabgelassen. Einem vierjährigen Jungen, im dritten Stock, der mir während des Vormittags mit seinen eisenbeschlagenen Stiefeln zuviel über dem Kopfe herumgetrampelt hatte, brachte ich bei meiner Rückkehr ein Paar Filzschuhe mit, deren fleißige Benutzung ich der gerührten Mutter des Knaben aus Gesundheitsrücksichten gerade jetzt bei dem gefährlichen Uebergange vom Winter in das Frühjahr dringend anempfahl. Und so schien ich denn nach oben und unten gleich gesichert; alles Uebrige, wenn ich arbeite wollte, lag weiterhin lediglich und ganz allein an mir selbst.

Wenige Tage darauf war ich aus lustiger Gesellschaft spät nach Mitternacht nach Hause gekommen und hatte mich in meinem Himmelbett kaum dem ersten Schlummer hingegeben, als es heftig

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 473. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_473.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)