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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


No. 29. 1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig· – In Heften à 50 Pfennig.


Im Schillingshof.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.


Donna Mercedes stand noch am Schreibtisch; ihre zarte Hand lag dicht vor der jugendlichen Männergestalt im ovalen Bronzerahmen.

„José schläft,“ sagte sie, den Hereinkommenden gewissermaßen zurückhaltend, als er direct auf die Thür des anstoßenden Zimmers zuschritt. Sie wandte den Kopf nicht nach ihm, kaum, daß ihn ihr Blick streifte, um sich dann auf das Bild zu senken, neben welchem ihre Hand lag.

Er trat sofort dicht an den Schreibtisch, sodaß er ihr in das Gesicht sehen konnte; der in dieser Ecke concentrirte Schein der großen Kugellampe fiel grell und voll auf ihn. „Was ist vorgefallen?“ fragte er.

Bei seiner raschen Bewegung war sie leicht in sich zusammengeschreckt; sie mußte sich sagen, daß er die plötzliche Wandelung ihres Wesens nicht ruhig hinnehmen würde, aber noch nie hatte man sie so ohne Umschweife nach den Beweggründen ihres Handelns gefragt.

„Ich verstehe Sie nicht, mein Herr!“ antwortete sie mit verletzender Kälte und hob die Augen von dem Männerkopfe im Bronzerahmen – welch ein Contrast zwischen dem Gesichte mit der feinen schmalen Adlernase, dem durchsichtig bleichen Colorit, dem dünnlippigen, korallenrothen, kleinen Mund dort, und den starken, dunkelgefärbten Zügen des Mannes hier, der ihr mit seiner hochgewachsenen Gestalt den Ausblick in das Zimmer wehrte! In Damentoilette, eine Spitzenmantille über das dicke, glattanliegende Seidenhaar geworfen, hätte Jener leicht das schönste spanische Mädchen vorstellen können, während dem Manne im vollen, krausen Bart der Eisenhut auf der kantigen Stirn sehr wohl angestanden haben würde.

„Ich verstehe Sie nicht, mein Herr“ – hatte sie gesagt. Diese lässige, ausweichende Antwort im Verein mit dem vergleichenden Blick, den er sehr wohl bemerkt, trieben ihm eine flüchtige Röthe in die Wangen.

„Soll ich glauben, daß Sie das Kind da drüben, welches wir Beide vergöttern, ohne irgend welches schwerwiegende Motiv der Gefahr eines Rückfalles aussetzen wollen?“ fragte er, seinen Blick fest auf sie heftend. „Auf Ihren Armen wollten Sie José hinaustragen? Wohin?“

Welche Art zu fragen! So direct auf das Ziel loszugehen! Das war wieder einmal die deutsche Art, die jeder diplomatischen Ausflucht einen Knüppel über den Weg wirft, um sie stolpern zu machen.... Sie konnte ihm doch unmöglich gestehen, daß sie seine Domestiken, wenn auch unabsichtlich, belauscht habe, daß dieser Bedientenklatsch im Stande gewesen sei, „Donna de Valmaseda“ von der stolzen Höhe ihres Selbstbewußtseins herabzuschleudern, ihr die Herrschaft über das empört aufstürmende, leidenschaftliche Blut zu rauben. Vorhin, in der Flurhalle, hatte es ihr allerdings auf den Lippen geschwebt, ihm in das Gesicht hinein zu sagen. „Ich will mit Dir nichts zu schaffen haben. Du trägst die Schuld, daß die Gemeinheit Anderer mich zu Dir in ein falsches Licht bringt, weil Du Dich zu der Pflege des Kindes gedrängt, weil Du mich von der ersten Stunde an verhindert hast, ein Haus zu verlassen, dem die Herrin fehlt, dem sie böswillig den Rücken gekehrt.“ – Aber jetzt, wo diese tiefen Augen so nahe auf sie herabsahen, daß sie meinte, durch das dunkle und doch so klare Blau in seine Seele hineinsehen zu können, jetzt fand sie nicht den Muth, dem Manne, der ihr in treuer Hingebung Stab und Stütze gewesen, dessen jedesmaliges Erscheinen sie zuletzt selbst ersehnt, die ganze Verantwortung aufzubürden und ihm mit schnödem Undank zu lohnen....

„Warum noch ein Wort über die Motive verlieren, die der ärztlichen Entscheidung gegenüber selbstverständlich fallen müssen!“ sagte sie achselzuckend und sah auf die feinen Fingernägel ihrer Rechten.

Er lächelte ironisch bitter. „Ja, dieser Ausspruch hat verfügt, daß weder hinsichtlich des Zimmers, noch der Pflege irgend ein Wechsel eintreten soll,“ wiederholte er langsam betonend, und sein Blick fixirte durchdringend das Gesicht, das sich ihm plötzlich zuwandte.

„Darüber werde ich doch noch ein Wort mit dem Doctor sprechen,“ sagte sie rasch. „Oder vielmehr, wir, die Pflegenden, müssen uns über vorzunehmende Aenderungen verständigen.... In den furchtbaren Leidenstagen war ich egoistisch genug, Opfer anzunehmen, wo sie mir geboten wurden – das muß aufhören. Ich darf nicht länger dulden, daß Sie sich an der Pflege betheiligen –“

„Also doch Caprice, wie ich richtig vermuthete!“ fiel er ein.

Sie fuhr empor. Er hatte eine wehe Stelle in ihrem Herzen berührt, die Stelle, wo die Reue leise schlummert, um bei irgend einem Klang, einem Wort aufzuschrecken. Ja, sie war einst, in den strahlend schönen Tagen, wo noch der breite Strom des Glückes und die Wogen des üppigsten, sonnenhellsten Lebens sie geschaukelt, capriciös, übermüthig gewesen. Alle diese Todten, die da im Bild die Ecke füllten, sie hatten die einzige Tochter

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 481. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_481.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)