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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

aus, und nie kehrte sie zurück, ohne daß Träger mit umfangreichen Packeten ihr folgten. Sie kaufte an Stoffen und modernen Schmucksachen, was ihr gefiel, und verhielt sich den Preisen gegenüber mit der Nonchalance einer überseeischen Grundherrin, die Tausende und aber Tausende zu commandiren hat.

Nun kam sie eines Nachmittags, zum Ausgehen gerüstet, in den großen Salon. Sie sah ein wenig echauffirt aus, und die Augen glänzten aufgeregt durch den Gazeschleier, den sie gegen Staub und Sonnenbrand vor dem Gesicht kokett drapirt hatte.

„Meine Casse ist leer, Mercedes,“ sagte sie obenhin. „Ich habe Verschiedenes zu bezahlen und brauche mindestens fünfhundert Thaler.“ Mit nachlässiger Geberde hielt sie die kleine behandschuhte Rechte hin, um das Verlangte in Empfang zu nehmen.

„Du hast vor Kurzem erst eine gleich große Summe geholt,“ versetzte Donna Mercedes frappirt – sie wollte offenbar noch etwas hinzufügen, allein die kleine Frau unterbrach sie sofort.

„O bitte, rege Dich doch ja nicht auf um so einer Lappalie willen!“ sagte sie boshaft und winkte beschwichtigend mit der Hand. „Aber auch fünfhundert Thaler!“ wiederholte sie mit Pathos. „Ein Heidengeld! Meiner Mama freilich fielen fünfhundert Thaler nur so durch die Finger, wenn es galt, auf den Gastreisen Trinkgelder zu geben – das könnten wir armen Schlucker natürlich nicht.... Bah! möchtest Du mir nicht auch die paar Bissen, die ich esse, in den Mund zählen, Dame Mercedes? Das ist die brillante Versorgung, die man mir vorgespiegelt hat, als ich mich entschloß, nach Amerika mitzugehen. Uebrigens“ – sie fuhr unter einer sprechenden Pantomime mit der Hand über den Hals – „ich will gleich meinen Kopf verwetten, daß Dir nicht das Recht zusteht, meinen Geldverbrauch in so engherziger Weise zu controlliren, und deshalb werde ich mich endlich einmal beschweren –“

Sie verstummte – dort auf dem Schreibtisch, an welchem ihre Schwägerin saß, lag bereits das Geld hingezählt. Donna Mercedes zeigte schweigend mit dem Finger auf die Banknoten – kein Muskel ihres Gesichts bewegte sich.

Lucile strich das Geld zusammen und ließ es in ihre Tasche gleiten.

„Ich werde Paula mitnehmen,“ sagte sie, „das Kind braucht nothwendig einen neuen Hut –“

„Paula hat sich im Garten müde gelaufen – sie schläft drüben in der Kinderstube.“

„So werden wir sie wecken.“

Sie flog, als habe sie keinen Augenblick Zeit zu verlieren, durch das Krankenzimmer in die Kinderstube, allein Donna Mercedes folgte ihr auf dem Fuße und hielt sie an der Thür zurück.

„Welche Thorheit, Lucile!“ zürnte sie. „Um einer Laune willen das Kind aus seinem erquickenden Schlaf aufzuschrecken!“

Aber schon stieß die kleine Frau die Thür auf und lief geräuschvoll in die Kinderstube hinein.

Deborah saß strickend am Fenster, und die kleine Paula lag ausgekleidet in süßem Schlummer in ihrem Bettchen.

„Dummheit!“ schalt Lucile im höchsten Aerger die schwarze Wärterin. „Was fällt Dir ein, das Kind zu einer kurzen Mittagsruhe bis auf’s Hemd auszuziehen! – Paula, Paula, wach auf!“ rief sie – aber die Kleine schlug die Augen nicht auf, und das Köpfchen sank schlaftrunken auf das Kissen zurück.

Inzwischen hatte sich die Schwarze erhoben und stellte sich beweglich bittend und protestirend vor die kleine Schlummernde.

„Ich weiß nicht, was ich von Dir denken soll, Lucile,“ rief Donna Mercedes, ganz betroffen über das aufgeregte Gebahren ihrer Schwägerin.

„Denke was Du willst! Ich werde doch wahrhaftig so viel Recht haben, mein Kind mitzunehmen, wenn es mir beliebt.... Du wirst Paula sofort anziehen, Deborah!“ befahl sie. „Dabei wird die kleine Schlafmütze schon aufwachen.“

„Das Kind bleibt in seinem Bett,“ entschied Donna Mercedes mit kalter Ruhe.

„Ach, Tante, was ist mit Paula?“ rief José mit seiner schwachen Stimme ängstlich erregt herüber.

Bei diesen Lauten erschrak Donna Mercedes.

„Lucile, sei vernünftig,“ sagte sie beschwichtigend, als spreche sie zu einem widerspenstigen Kinde. „Gehe später! Dann kannst Du Paula mitnehmen.“

„Ich will aber nicht.“

Eine dunkle Röthe bedeckte das zarte Gesicht unter dem Schleier, und es sah fast aus, als kämpfte die kleine Frau mit aufsteigenden Thränen.

In diesem Augenblick trat die Kammerjungfer Minna in Hut und Shawl auf die Thürschwelle; sie hatte offenbar schon länger draußen gewartet und kam, ihre Dame an das Fortgehen zu erinnern.

„Es ist sehr spät,“ meldete sie unterwürfig, aber mit unruhig flackernden Augen; „und wenn die gnädige Frau heute wirklich das Geschäft noch abmachen wollen –“

Lucile ließ sie nicht ausreden. Wie eine gereizte kleine, wilde Katze sprang sie auf ihre Schwägerin los, als beabsichtige sie, ihr die Augen auszukratzen.

„Du bist von jeher mein böser Geist gewesen,“ zischte sie durch die Zähne. „Meine Triumphe hast Du mir stets geschmälert, wenn nicht gestohlen, gelbe Zigeunerin, hochmütige Pflanzerprinzessin Du, indem Du Dich vordrängtest, indem Du Dich auf Deine Baumwollensäcke stelltest – dagegen kommen bei Euch drüben wirkliche Schönheit und Anmuth natürlich nicht auf. Die dummen Leute bildeten sich nachgerade wirklich ein, die kleine Deutsche reiche Dir das Wasser nicht, und schließlich haben sie Dich auch noch zu meinem Zuchtmeister gemacht.... Aber nun ist an mir die Reihe, Donna de Valmaseda! Nun sollst Du sehen, was Lucile Fournier in Deutschland werth ist!... Wenn ich bedenke, daß ich hier nur zu winken brauche, um Alt und Jung zu enthusiasmiren, so begreife ich selbst nicht mehr, wie ich’s acht Jahre lang drüben in der Einöde, zwischen Eueren Reisfeldern und Zuckersiedereien ausgehalten habe.“

Sie griff nach dem Sonnenschirm, den sie vorhin auf den Stuhl vor Paula’s Bett geworfen hatte, und rauschte mit ihrer seidenraschelnden Schleppe hinaus. Im Krankenzimmer huschte sie zu José hin und strich ihm mit schmeichelnder Hand das Haar aus der Stirn.

„Mache, daß Du aus dem Käfig da kömmst, Herz’le!“ sagte sie. „Du bist ja wieder gesund wie ein Fisch und könntest längst mit Pirat im Garten herumtollen.... Geh, sei ein rechter Junge und leide es nicht, wenn sie Dich noch länger mit Spitalsuppen füttern wollen.... Adieu, Schatz!“

Wenige Augenblicke darauf sah Donna Mercedes sie in Minna’s Begleitung eiligst durch den Vorgarten schreiten. Drüben auf der Promenade wurde ein eben leer vorüberfahrender Miethwagen angerufen und die kleine Frau fuhr nach der Stadt, um jedenfalls wieder einmal mit großen Einkäufen heimzukommen.

Donna Mercedes sah ihr finster nach. Ihr Herz durchfuhr der heiße Wunsch, der davonrollende Wagen möchte mit seiner schönen Insassin in die weite Welt hineinfahren, um – nicht wiederzukehren.

Sie schrak zusammen und sah sich scheu um, als habe sie diesen blitzähnlich auftauchenden Gedanken laut ausgesprochen und irgend eine in der Nähe lauernde böse Macht könnte sich seiner bemächtigen. Dabei fühlte sie den todestraurigen Blick ihres Bruders vorwurfsvoll auf sich ruhen, und beschämt gedachte sie der heiligen Versicherungen, die sie ihm gegeben und unter denen er beruhigt die Augen für diese Welt geschlossen hatte. O wunderliches Frauenherz! Unter den furchtbarsten Schicksalsschlägen ausdauernd und mit unerschöpflicher eigener Kraft sich immer wieder stählend, bäumte es sich hier gegen die Nadelstiche einer boshaften Zunge und fühlte den Muth erlahmen....

Ruhiger geworden, setzte sich Donna Mercedes zu José und sprach mit leiser, sanfter Stimme zu ihm. Die laute, lebhafte Mama mit ihrem ungedämpft hohen Organ und den seidenrauschenden Gewändern hatte den kleinen Patienten aufgeregt. Die dichten Fenstergardinen mußten zugezogen werden, weil er sich selbst gegen das durch die verdüsternde Säulenhalle und das herabgelassene Rouleau sehr gemilderte Tageslicht wieder empfindlich zeigte; er schrak beim leisesten Geräusch zusammen, und sein Puls ging beschleunigter.

Ueber dem Bemühen, die bösen Folgen der Aufregung zu beseitigen, war es Abend geworden. Deborah machte im großen Salon den Theetisch zurecht und fragte an, ob sie auch für Paula, die seit José’s Erkranken um diese Zeit stets bei ihrer Mama war, die Abendmilch herüberbringen dürfe; sie habe zwar drüben alles zum Thee vorgerichtet, aber die gnädige Frau sei noch nicht zurückgekommen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 483. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_483.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)