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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

anders werden muß, wenn es der Zeit und dem Sinne des Volkes gemäß sein soll, begreift und fühlt ein Jeder. Nicht Jeder kann die Quelle des Uebels aufspüren, in meiner Kunst kann ich’s, ich sehe deutlich, wo es hier fehlt.“

Das hat er denn auch bewiesen durch eine lange Reihe unsterblicher Werke, die fortan entstanden, um durch die Größe und Erhabenheit der Gesinnung, die aus ihnen spricht, wie ihre bis zur Härte gehende Ehrlichkeit und Verachtung alles leeren Scheins überaus wohlthätig auf die deutsche Malerei zu wirken. Freilich konnte er nicht ahnen, daß der Kampf, den er gegen das Ueberwuchern des Antinationalen in unserer Kunst wie in unserem Leben begann, noch heute auf allen Gebieten mit gleicher Schärfe fortdauern werde, ja daß unser Theater, unsere Literatur, unsere Industrie, unsere Sitten, unsere religiösen und politischen Institutionen noch heute die Fremdherrschaft nicht völlig abgestreift haben, daß Rom, Paris und Jerusalem sich sogar in dieselbe theilen würden.

Er selber wandte sich jetzt zunächst Shakespeare und Dante zu, verwandten Geistern, zu deren Dichtungen er einige Compositionen von großer Schönheit zeichnete. Im Umgang mit ihnen wuchs mächtig seine Ehrfurcht vor der Kunst und ihrer Mission im Volksleben; er verlangte jetzt für sie, in einem merkwürdigen Briefe an Görres, Befreiung von ihrer entwürdigenden Stellung als hungrige Schmeichlerin von Privatpersonen; die Erzieherin und Bildnerin zu allem Edeln und Hohen im öffentlichen Dienste solle sie werden, also ihre uralte religiöse Mission erfüllen können, was sie nur durch monumentale Leistungen vermöge. Daß die monumentale die eigentliche Kunst des Volkes sei oder sein solle, begriff er ebenso, wie der Instinct des Genies ihn daneben, ganz so wie drei Jahrhunderte früher Dürer und Holbein, zur Illustration als der zweiten Form volksthümlicher Kunst geführt hatte. Durch sie sollte sich später seine Schule, Schwind, Schnorr, Ludwig Richter und Kaulbach voran, so unvergängliche Verdienste um das deutsche Volk erwerben.

Inzwischen hatte sich der junge Meister 1814 mit einer schönen Römerin vermählt, eine Verbindung, die, wie glücklich sie ihn auch später gemacht hat, zunächst doch nur seine Sorgen um das tägliche Brod vermehren mußte, sodaß er aus der Noth gar nicht herauskommen zu sollen schien. Dafür hatte sich um ihn schon eine große Schaar begeisterter Freunde gesammelt: nach den beendeten Befreiungskämpfen waren Veit und Schadow, die sie mitgemacht, aus Berlin, Eberhard aus München, Führich aus Wien, Julius Schnorr, Olivier und Vogel aus Sachsen, Fohr aus Heidelberg gekommen und hatten in ihm ihren geistigen Mittelpunkt gefunden.

Selbst die lang ersehnten monumentalen Aufgaben und damit Befreiung wenigstens aus der allerdrückendsten Noth nahten jetzt allmählich. Zunächst durch den preußischen Consul Bartholdy, der den jungen Künstlern den Vorschlag machte, ihm die Gemächer seines neu erworbenen Palastes Zuccaro mit Fresken zu verzieren. Freilich nur gegen Ersatz der Auslagen. Sie wählten mit Rücksicht auf des Bestellers Confession die Geschichte von Joseph in Aegypten, und Cornelius, der das Ganze leitete, übernahm für sein Theil die Auslegung des Traumes und das Wiedersehen mit den Brüdern, die er in lebensgroßen Figuren ausführte. Beide sind überaus achtbar gelungen. Sie bezeichnen aber auch einen neuen Abschnitt in seiner Entwickelung, den Uebergang von der romantischen zur classischen Kunst, eine neue Renaissance, die, ohne das nationale Streben nach scharfer Charakteristik aufzugeben, sich doch an die Formen der großen Meister des 16. Jahrhunderts anschließt.

Dabei ist er geblieben; von jetzt an giebt es kein Schwanken mehr bei ihm. Da auch Overbeck’s und Veit’s Arbeiten sehr schön ausfielen, so machte diese Production der jungen Deutschen in Rom großes Aufsehen und veranlaßte den Marchese Massimi, sich ebenfalls ein paar Säle seiner Villa mit Bildern aus „ Dante“, Tasso“ und „Ariost“ durch sie ausmalen zu lassen. Cornelius übernahm den „Dante“ und hatte auch bereits einige Compositionen gezeichnet, als der Kronprinz Ludwig von Baiern im Januar 1818, glühend von Kunstliebe, nach Rom kam. Er sah Cornelius’ Arbeiten bei Bartholdy, und sie gefielen ihm so, daß er ihm die Ausmalung zweier Säle seiner neu erbauten Glyptothek übertrug. Das war nun freilich der größte Glücksfall, der dem jungen Meister begegnen konnte nach mehr als zwanzigjähriger bitterer Noth; weniger groß um deswillen, weil er eben diese Noth endete, welch seine Energie keinen Augenblick gebrochen hatte, als weil er ihn der Gefahr entriß, dem Vaterlande immer fremder zu werden. Losgetrennt von demselben und seiner geistigen Arbeit, war die Stellung dieser jungen Deutschen nachgerade eine durchaus ungesunde geworden, wie denn gerade dieser Trennung das Ueberhandnehmen des Nazarenerthums, des Anheimfallens an die katholische Romantik in dem Overbeck’schen Kreise mit ihrer schemenhaften Heiligenmystik, hauptsächlich zuzuschreiben ist. Rom kann für deutsche Künstler nie etwas Anderes sein, als eine Schule, die man ein paar Jahre besucht, um sich den Geschmack auszubilden, den Sinn zu erweitern; bleibt man länger, so führt es die Heimathslosigkeit herbei. Die Künstler gewöhnen sich dann, die Kunst als Selbstzweck anzusehen, nicht als einen Factor im bürgerlichen Leben neben anderen, der diesem Leben zu dienen, es zu veredeln und zu zieren, seine Ideale zu gestalten, aber eben darum sie auch zu verstehen und zu theilen hat. Der Künstler, welcher sich auf einen solchen Isolirschemel gesetzt und sich außerhalb der Gemeinschaft der Bürger gestellt hat, sinkt sehr bald zum Virtuosen herab, verfällt dem gröbsten Egoismus und der Selbstvergötterung, oder verkauft wohl auch gar, wie es die Nazarener gethan, das Vaterland an den Ultramontanismus. Das sah auch Niebuhr sehr wohl ein, dessen Umgang seit zwei Jahren auf Cornelius außerordentlich bildend eingewirkt, seinen Horizont mächtig erweitert hatte. Wie er ihn längst dem preußischen Staat zu gewinnen gedacht, so war er es, der ihn jetzt dem Kronprinzen von Baiern empfohlen.

Ohne Zweifel war die Beschäftigung mit der griechischen Göttermythe, wie sie durch die Verzierung eines Gebäudes bedingt ward, welches die Perlen antiker Kunst enthalten sollte, ein großes Glück für Cornelius und hat ihn vor dem Mysticismus aller anderen Romantiker gerettet. Von den beiden Sälen ward der eine der Götter-, der andere der Heldensage, also der Theogonie des Hesiod und der Ilias zugetheilt. War Cornelius schon immer einer tiefsinnigen Betrachtung menschlicher Geschicke wie jener Personification der Naturkräfte, aus welcher die griechische Göttermythe hervorgegangen, zugeneigt gewesen, so gab ihm dieser Vorwurf Gelegenheit, jetzt an ihm die ganze Fülle seines Geistes wie seiner mächtigen Gestaltungskraft zu erproben. Seine Auffassung dieser Mythen unterscheidet sich gründlich von jener der Renaissance, welche dieselben mehr als eine heiter spielende Fabelwelt behandelt; sie ist durchaus modern philosophisch. Die schönsten der Cornelius’schen Compositionen, zumal die Unterwelt, entstanden noch in Rom unter dem Einfluß Raphael’s und Giulio Romano’s, deren Stilprincipien der Meister mit einer weit eingehenderen und tieferen Charakteristik der einzelnen Persönlichkeiten verband, als sie die „Cinquecentisten“, die großen italienischen Meister der Jahre 1500 bis 1600, gewöhnlich haben. Man kann denn auch die Compositionen des Göttersaals zum Größten und Besten rechnen, was die moderne Kunst überhaupt hervorgebracht, ja es möchte keine Nation ihnen Aehnliches von sinn- und geistvoller Erfindung an die Seite zu setzen haben. Der Aufbau der Gruppen, die Bethätigung eines außerordentlich feinen rhythmischen Sinnes, ist überaus großartig und einfach; nichts ist umsonst und nichts zu viel da. Cornelius’ Kunst ist eben kein Ausfluß naiver Schilderlust, sondern lediglich eine Sprache, um seine Ideen auszudrücken. Sie erzeugt daher bei allem Reichthum nicht sowohl das Gefühl des Behagens, als durch ihre ernste Hoheit das der Bewunderung und eine Anspannung der Seelenkräfte. Durchaus männlich-herber Art, verschmäht sie das sinnlich Reizende, wenn es nicht im harmonischen Wohllaut der Linien liegt. Zeigt sich hier in der Composition, der Auffassung und Behandlung des ganzen Stoffes wie der Charakteristik der einzelnen Gestalten Cornelius den größten Meistern aller Zeiten ebenbürtig, so kann man nicht dasselbe in Betreff der Ausführung, der Zeichnung und Modellirung sowohl wie ganz besonders der Malerei, sagen. Doch das führt uns nach München und auf die Verhältnisse, unter denen er seine Compositionen dort an die Wand malen mußte.

(Schluß folgt.)



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 487. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_487.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2020)