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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

ähnelt der andern. Maurische Hufeisenbogen überwölben die Thüren; zierlich geschmiedetes Gitterwerk umspinnt die Fensteröffnungen, und maurische Linienspiele, kleine Blumenmuster, phantastische Verschlingungen, von Gyps geformt oder in den Stein gemeißelt, ziehen sich an Thürwölbungen, Fenstern und Mauern entlang. Solche reizende Einzelheiten fesseln bei jedem Schritt den Blick. Sonst sind die Häuser selbst einförmig und nüchtern. Manchmal steht das äußere Thor offen, und dann sehen wir wohl in einen kleinen Gartenhof, eine Art offener Vorhalle. Leicht geschwungene Bogenstellungen umgeben den Raum; mit bunt glasirten Fliesen sind die Wände überzogen; aus einer Brunnenschale in der Mitte rauscht ein feiner Wasserstrahl empor, und grüne und farbige Dachziegel springen weit vor und umrahmen das Ganze. Da haben wir das vornehme maurische Haus, von dem Märchen und Reisebeschreibungen erzählen, das immer seltener wird und das vielleicht nur noch in Tunis zu finden sein mag. Weit größere Pracht mag sich wohl noch hinter den fest verschlossenen Pforten bergen, denn das orientalische Haus kehrt seine glänzendste Seite dem Inneren zu. Vielfach sind die Ueberreste altrömischer Bauten von den Muselmännern benutzt worden. Antike Säulen aus dem zerstörten Karthago, Marmorbalken, andere Bauglieder sind oft in die orientalischen Häuser hineingeflickt und zu Prellsteinen oder zu Stufen der Moscheeneingänge verwendet.

Der Mohammedanismus des Abendlandes hat gänzlich andere Bauweisen, wie derjenige der Türkei und ihrer östlichen Provinzen, selbst bis tief nach Aegypten hinein. Dort giebt die edle Kugelform der ehemals christlichen Sophienkirche von Constantinopel das Vorbild für alle Moscheen im Reiche. Hier folgt man mehr spanischen, maurischen Bauwerken, schlägt weit ausgebauchte Hufeisenbogen, liebt schlanke Säulen, freie Vorhöfe, Tonnengewölbe, die gänzlich mit phantastischen Linienverschlingungen in Gyps bedeckt und belebt sind. An die Alhambra, die Zisa von Palermo wird man hier weit mehr erinnert, als an die Prachtbauten von Constantinopel.

Freilich stiehlt das Auge nur gelegentlich solche Eindrücke zusammen. Das Volk, sonst von formeller, etwas feierlicher Freundlichkeit, von gemessenem Phlegma, wird heftig und wild, wenn man nur den unreinen Fuß auf die zur Pforte eines Moscheehofes führende Stufe setzt. Auch daran merkt man, wie hier Sitten, Religion und alter Brauch sich rein und streng erhalten haben, mehr als irgend anderswo auf mohammedanischem Gebiete. In den türkischen Städten bedarf es zwar eines Erlaubnißscheines zum Besuche der Moscheen, in dem nahen Algerien aber, wo derselbe arabische Volksstamm wohnt, wie in Tunis, geht man unbelästigt ein und aus durch alle Moscheen.

Um die große Moschee ziehen sich verdeckte Gänge nach allen Richtungen. Dort liegen die Bazare, die Waarenhöfe, die Werkstätten; dort findet der nomadisirende Araber einen „Chan“, eine Herberge, die ihn mit seiner Waare aufnimmt; dort sucht der Wüstensohn eine der zahlreichen Schreibstuben auf, in denen er Rath findet, die dicken Bücher und Handschriften selbst nachschlagen oder auch einen der stets anwesenden Schriftgelehrten mit Abfassung von Actenstücken, Gesuchen oder Testamenten beauftragen kann. In diese Bazargänge drängt sich das Leben von Tunis zusammen, ein Getriebe von sinnverwirrender Fremdartigkeit und Mannigfaltigkeit. Ist Tunis auch die Hauptstadt des kleinen Fürstenthums, besitzt es selbst über 100,000 Einwohner, so wird sein Volkscharakter doch nicht durch diese seßhaften Bewohner allein bestimmt. Es bildet den großen Markt, den Hauptverkehrsplatz, die Stapelstätte für Alle, die tief aus dem Lande, aus den Oasen der Wüste, von den Bergfluren des benachbarten Tripolis, wie der algierischen französischen Provinzen kommen.

Während wir in den anderen Gassen nur wenigen Menschen begegnen, herrscht hier dichtes Gewühl, lautes Geschrei, lebhafter Handel und Wandel, sodaß es Mühe macht, sich zurechtzufinden. Der eine der überdeckten Gänge bildet den Gewürzbazar. Da sitzt in jeder Bude ein Muselmann in langem Kaftan, hohem Turban, mit untergeschlagenen Beinen auf dem hohen Tische zwischen Kräutern, Straußeneiern, bunten Wachskerzen, Räuchermitteln, Essenzen und allerlei Heilmitteln. Rosenöltropfen in lange Röhrenfläschchen gebannt, wohlriechende Rattenschwänze und Spezereien legt er uns mit stummem Kopfbeugen zur Auswahl vor. Das Anpreisen scheint ihm seine Würde zu untersagen; wie ein Fürst den ihm gebührenden Tribut, streicht er das Geld ein, und sein großes dunkles Auge senkt sich kaum merkbar zum Abschiedsgruße. Lebhafter geht es in dem Stoff- und Gewebebazar zu. Arabische Teppiche mit wundervollen Mustern liegen in einzelnen der kleinen Buden aus; florartige Seidenzeuge mit Atlasstreifen oder Gold durchwirkt, wie die Vornehmen sie zum Burnus verwenden, lange, gazeartige Seidenbänder mit goldener Stickerei, die man zu Turbanen kunstvoll um’s Haupt schlingt, reizen die Kaufbegierde auch der Europäer, ebenso die großen orientalischen Wollendecken, die wie alle die anderen Gewebe aus den Haushaltungen, den Händen der Weiber im Lande hervorgehen und hier an den Markt gebracht werden. In einem andern Bazar liegen Juwelen und Geschmeide aus. Dort allein sieht man auch Weiber. Gänzlich verhüllt, die Gesichter unter Schleiermasken verborgen, hocken sie auf den Bänkchen der Verkäufer, lassen die funkelnden Brillanten durch die fetten Hände gleiten und weiden die strahlenden Augen an dem Glitzern der edeln Steine. Anderswo giebt es Waffen, alte und neue, lange Flinten, kunstvoll ausgelegte Dolche, Pistolen von ausgezeichneter Arbeit in gestickten Ledertaschen.

Doch wandern wir auch durch die Reihen, in denen das einfache Handwerk sich angesiedelt hat. Jeder Geschäftszweig wohnt beisammen in seinem eigenen Bazar. Die Tischler, die Schuhmacher, die Sattler, die Trödler, die Flintenmacher haben ihre eigenen Bezirke. Gastlich räumt der arabische Handelsmann uns einen Polstersitz sich zur Seite ein, und von dort können wir das Menschengewühl ruhig ansehen. Er erklärt uns, so weit sein Bischen Französisch oder Italienisch reicht, was wir zu wissen begehren. Es ist ein buntes Völkergemisch, das da bei uns vorüberstreift!

Der Eingeborene, in weite Gewänder von feinem maisgelbem, bläulich-grauem, blaßrothem Tuch gehüllt, das mit farbigen Schnüren oder Goldfäden reich gestickt ist, tritt vornehm und sicher, als Bürger der Hauptstadt auf. Den Reichsten trägt ein brauner Diener den langen Tabaksbeutel, das Pfeifenrohr und die kleine gestickte Geldtasche nach. Aber auch die Aermeren, die Arbeitenden erscheinen nicht ohne Gemessenheit und Würde. Die nomadisirenden Araber, die Beduinen, die Tunis als eine Art Stammeshauptstadt betrachten, kommen mit ihren Kameelen, mit dem ganzen Tribus hierher. Sie hüllen sich in flatternde weiße Stoffe und bergen das Haupt in weiße Tücher, um welche Schnüre von braunem Kameelhaar gewunden werden. Sie sind die schönsten von allen. Ihre Gesichtsfarbe glänzt in blassem Oliv; ihr großes dunkles Auge tritt aus dem bläulichen Perlmutterweiß lebhaft hervor, und ihre hochgeschwungenen Brauen, ihre langen Wimpern geben dem Antlitz einen edlen Ausdruck. Da und dort taucht der braune Biskris auf, der Sohn der Oasen, welcher den kupferfarbenen Körper kaum mit einem kurzen schmutzig weißen Wollenhemd bedeckt, einen knappen Mantel lose um die Schultern schlägt, um an keiner Handarbeit behindert zu sein. Denn er ist der Dienstling für Alle, leitet und treibt die Kameele, trägt Lasten, besorgt schnellfüßige Aufträge und lungert in den Bazaren umher, um auf ehrliche oder unehrliche Weise Geld zu verdienen. So stuft die Farbenschattirung sich ab bis zum tiefen Negerschwarz. Meist mögen diese blankhäutigen, schwarzen Kerle einst als Sclaven der Araber aus der Wüste mit hierhergebracht worden sein. Die Sclaverei hat gesetzlich aufgehört, die Neger aber sind entweder freiwillig in dem alten Abhängigkeitsverhältnisse verblieben, oder leben nun hier als selbstständige Leute. Sie sind indeß in die Bevölkerung nur eingesprengt, bilden keine eigentliche Gruppe derselben.

Als eine solche bezeichnet unser tunesischer Handelsmann uns aber die Juden. Der arabische Jude, der vielleicht mit den aus Spanien vertriebenen Mauren sich in Nordafrika angesiedelt haben mag, hält keine Gemeinschaft mit den aus Europa hergekommenen Israeliten. Wie diese sich an ihre Landsleute, an Deutsche, Franzosen, Italiener in Lebensart, Sprache, Tracht und Geselligkeit schließen, so gehört der orientalische Jude fest zu den Arabern. Er kleidet sich wie sie, spricht ihre mit dem Hebräischen verwandte Sprache und lebt in ihren Stadttheilen, wenn auch gesondert in eigenen Judenvierteln. Es bedarf eines besonderen Scharfblickes, um den Juden von dem Muselmann zu unterscheiden.

Nur die orientalische Jüdin zeichnet sich aus. Sie ist äußerlich eine andere in Algier, in Constantine, in Tunis. Ueberall dort aber ist sie das einzige Weib, das sich offen und zwar gern

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 510. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_510.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)