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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

auf der Straße zeigt, das Beziehungen anknüpft, den Eintritt in ihr Haus gestattet, das die orientalischen Straßen- und Volkstypen durch das „Ewig-Weibliche“ bereichert. Denn die arabische, maurische, tunesische Frau sieht man niemals oder nur scheu und vermummt, und was Reisende von ihren Beziehungen, Abenteuern, Erlebnissen mit arabischen, kabylischen, maurischen Mädchen und Frauen rühmen, das bezieht sich alles auf Jüdinnen, die sich im Hause ganz den eingeborenen Weibern gleich tragen.

Die ewigen Geldverlegenheiten des Bey haben das Glück der tunesischen Juden gemacht; sie haben ihn den Juden in die Arme geführt, und diese haben solche Verbindungen zu benutzen gewußt, nicht nur zu guten Geschäften, sondern auch zur Besserung ihrer gesellschaftlichen Stellung. Diese Errungenschaften tragen besonders die Jüdinnen zur Schau. Die reiche Jüdin, meist strotzend von Körperfülle, schlendert grell aufgeputzt durch die Bazargänge, sicher, daß keine Frau eines mohammedanischen Stammes sie dort durch Schönheit oder Glanz verdrängt. Ihr Antlitz trägt sie frei, seine Farben oft noch gehoben durch künstlich aufgetragenes Schwarz auf den Augenbrauen, durch Weiß und Roth auf Stirn und Wangen. Den Kopf krönt eine kleine Kappe von Goldstoff, nicht selten mit Edelsteinen besetzt. Daraus fällt über das Hinterhaupt ein dünner, kurzer Schleier, nur zur Zier, nicht zur Verhüllung. Der ganze Unterkörper bis zur Hüfte steckt in einem Tricot von Baumwolle oder Seide, auf dem Spitzenstreifen oder Weißstickereien glatt aufliegen. Darüber wird dann nur noch eine Blouse von feuerfarbener oder heller Seide geworfen, die kaum bis auf die Schenkel reicht, den Unterkörper gänzlich frei läßt und an die oberen Theile sich bei jedem Schritte anschmiegt.

Diese Jüdinnen sind die auffälligsten Erscheinungen in dem bunten tunesischen Straßenleben. Durch den Abstand ihres freien Wesens von dem scheuen Benehmen der vermummten mohammedanischen Weiber ist man versucht, sie alle für herausfordernd, ja noch für schlimmer zu halten. Aber die angesehenen, ehrbaren, reichen Frauen watscheln ebenso grell geschmückt, grell gekleidet auf den Straßen umher, wie jene Tänzerinnen im Judenviertel, zu denen uns Abends ein Miethling des Gasthofes führt, mit einer großen Laterne in der Hand, denn das Innere der Hauptstadt besitzt keine Straßenbeleuchtung. Dort, in ihrem Gemach, führt die Jüdin mit einigen Gespielinnen bei ohrenzerreißender Blechmusik Tänze auf, die theils aus lebhaftem Geberdenspiel, theils aus Zuckungen, Vorschnellen des feisten Körpers, aus Zurückweichen und Haschen bestehen. Zu solchen Abendunterhaltungen finden sich nicht nur neugierige Fremde ein, auch der Muselmann, für den sie ja eigentlich bestimmt sind, sucht sie gerne auf, als einzige abendliche Lustbarkeit.

Einem Maler müßten die Straßenbilder von Tunis eine unerschöpfliche Fundgrube bieten. Die Künstler klagen nur, daß man jeden Versuch solcher Thätigkeit mit Steinwürfen verhindere; denn der Muselmann hält es für Entweihung und Raub, wenn man ihm seine Züge stiehlt. Noch eigenthümlichere Bilder geben einzelne kleine, nischenartige Räume, die zwischen den Bazaren sich öffnen. Da sehen wir Barbierstuben, Kaffeehäuser, öffentliche Schreiber, Kinderschulen. Am zahlreichsten sind die ersteren. Junge Bursche, selbst prächtig frisirt, mit blanken Messingbecken und langen Messern ausgerüstet, bewegen sich in dem engen Raume, der rings von einem Polsterdivan umgeben ist. Gravitätisch, in beschaulicher Ruhe hocken längs der Wände die ehrbaren Männer von Tunis wie Wachsfiguren, oft zehn oder fünfzehn neben einander. Sie harren geduldig, bis der braune Junge seine Künste an ihnen vollführt, bis er sie mit duftendem Wasser, mit seinem Pudermehl verschönt hat, und sitzen selbst darnach noch eine Weile, wenn nicht neue Kundschaft sie vertreibt.

Lebhafter geht es im Kaffeehause zu. Auch das ist ein kleines, nischenartiges Loch. Hinten auf einem kleinen Kohlenherde steht die Messingkanne mit dem chocoladendicken Kaffee, daneben winzige, henkellose Tassenköpfe, nicht größer als eine halbe Eierschale. An dem Boden, auf dem Divan, bis vor die Thür kauern, hocken, liegen die Gäste, und jeder stellt solche Eierschale mit dem braunen, sehr starken Tranke neben sich, erhält eine lange Pfeife, deren Rohr bis auf die Erde reicht, und verträumt hier Stunde auf Stunde. Manchmal schieben zwei ein Schach- oder Damenbret zwischen sich auf den Polstersitz und spielen eine Partie oder lassen sich auch wohl Karten reichen, um am Erdboden, auf Teppiche gelagert, ein Spiel zu machen. Am liebsten blicken die Leute schweigend und träumend in’s Leere. Es bilden sich da aus den herrlich gewandeten, schönen Gestalten köstliche Gruppen, denen man gern bei ihrem Nichtsthun zuschaut. Im eigenen Hause fehlt den Männern jede Geselligkeit, alle Unterhaltung; das Kaffeehaus muß ihnen diese gewähren.

Am interessantesten aber sind die öffentlichen Schreibe- und Lesestuben. Dort sitzen die Schriftgelehrten, die Advocaten, die Männer der Feder beisammen. Sie brüten über dicken Bänden, über kunstvollen Handschriften, in die sie, die Brille auf der Nase, das Antlitz halb vergraben. Oft sieht man einige mit einander streiten; oft versehen sie dem Laien Schreiberdienste. Sie lassen sich durch Straßenlärm, durch das Geschrei der Ausrufer, durch die Kameelzüge bei ihrer Arbeit nicht stören und sitzen halbe Tage lang in ihren Schriften verloren.

Mehr seitab liegen die Knabenschulen, die sich gewöhnlich in der Ecke einer Moschee einnisten. Für Bequemlichkeit, für gute Haltung des Körpers sorgt dort Niemand. In einem öden Raume hocken die Jungen auf dem Estrich, und der Lehrer thront zwischen ihnen. Er leitet die Lautirübungen, spricht laut vor, und die Bengel plärren gewissenhaft nach. Wer’s nicht richtig macht, dem winkt der alte Muselmann mit dem langen Stecken. Man kritzelt auch die arabischen Schriftzeichen auf den großen Tafeln nach, die an die Lehmwand gehängt werden. Alles sitzt oder kauert vielmehr bunt durch einander, scheint im Allgemeinen aber emsig bei der Sache zu sein. Auch die Schulen liegen, höchstens durch ein offenes Vorgemach getrennt, frei in den Gassen, und man kann sehen und hören, was dort getrieben wird. Die Jungen blicken wohl neugierig umher, kichern und plaudern, genau so wie überall in der Welt, aber der Stecken des Schulmeisters stellt Ordnung und Aufmerksamkeit wieder her. Sobald das Zeichen zum Schlusse gegeben wird, wickelt der Knäuel am Boden sich aus einander; die Knaben schlagen den Burnus um die Schulter und wandern so gemessen heim wie die Alten.

Wer weiß, was aus diesen kleinen Tunesiern noch einmal wird. General Kheredim, der allmächtige Großvezier, ist als schöner circassischer Knabe, welchen Piraten auf den Sclavenmarkt gebracht hatten, von dem Sultan, den die junge Gestalt mit dem intelligenten Kopf gereizt, gekauft worden. Mustapha ben Ismail, der andere Minister, war in Tunis Kaffeehauskellner und hat den braunen Mokka jahrelang bereitet, bis auch an ihm der Bey Gefallen gefunden. Rang, besondere gelehrte Vorbildung, Beschäftigung mit den Staatswissenschaften scheint also nicht nothwendig zu sein, um hier zu den höchsten Würden zu gelangen. Wir fuhren eines schönen Nachmittags hinaus nach dem Bardo. Da begegnete uns die Staatscarosse des Mustapha ben Ismail, des noch immer geliebten Günstlings. Er ist ein schöner junger Mann von kaum dreißig Jahren und wohnt stets in unmittelbarer Nähe des Bey, der ihm indessen verstattet hat, einige Frauen zu nehmen. Mustapha begleitet den Bey auch in den Bardo zu den wöchentlichen Gerichtssitzungen. Heute stand dieser Palast, welcher eine Stunde außerhalb der Stadt landeinwärts in einer von Hügeln umschlossenen Ebene liegt, der Besichtigung offen. Eine Wasserleitung aus alter Zeit, noch von den römischen Karthagern erbaut, spannt ihre Bogen über den Weg. An den öffentlichen Brunnen rasten Kameele; da trinken durstige Biskris; da bieten Händler Datteln, Feigen, Apfelsinen oder fettes Backwerk feil, das zu den Leckerbissen der niederen Araber gehört.

Der Bardo ist Palast, Festung, kleine Stadt, Exercirplatz, alles zusammen, und der Verkehr ist hier ungehindert. Dicke Mauern schließen den ganzen Bezirk ein, und nur zwei Thore gewähren Zutritt. Dort stehen Wachposten, wieder arg zerlumpt, wieder strickend und Körbe flechtend. Ein Gewirre niedriger Lehmhütten umgiebt den Herrscherbau. In ihnen nisten kleine Handwerker, und da giebt es Buden mit Naschwerk, Kaffeehäuser, aber auch Magazine, Heuschober, Karawanserais, in denen die Kameeltreiber mit ihren Thieren nächtigen. Endlich kommt man zum ersten der Vorhöfe, dann zu einem zweiten, dritten, schließlich zu dem Palaste.

Hier könnte man wieder an die Wunder von „Tausend und eine Nacht“ glauben. Schlanke, gewundene Säulen tragen die maurischen Hufeisenbogen, die rings um die Wände laufen; Springbrunnen rauschen aus Marmorschalen auf; ein Netzwerk

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 511. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_511.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)