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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

von Stucklinien, Schnörkeln, Pflanzengebilden umzieht Wände, Gewölbe und Flure. Die Pracht steigt, je weiter wir vordringen. Eine Marmortreppe, von ruhenden Löwen getragen, führt hinan; und mit glasirten Platten sind die Wände der Vorhallen bedeckt, auf denen vielfarbige Musterspiele glänzen. Der phantastische Schmuck von Stucklinien wird immer lebhafter; die Säulen werden immer schlanker, und die maurischen Bogen schwingen sich immer kühner empor. Das Ganze wirkt zuerst bezaubernd. In diese Märchenpracht einer vergangenen Zeit blickt nur die Verkommenheit und Armseligkeit der Gegenwart hinein und stört den Eindruck. Den zerlumpten Soldaten hat man Brettchen unter die nackten Füße legen müssen, damit sie sich auf den Marmorfliesen bei stundenlangem Stehen nicht den Tod holen. Die herrlichen maurischen Hallen, der Thronsaal, die Gemächer, die einst angelegt wurden von den üppigsten und prachtliebendsten Herrschern ihrer Zeit, sind oft verunstaltet worden durch schäbige Papiertapeten, durch altmodische harte Möbel mit grellen Damastbezügen, wie unsere Großeltern sie in die Putzstuben stellten, durch Stahlstiche an den Wänden. Der Herrscher des Volkes, welches die besten Teppiche der Welt wirkt, legt in seine Säle widerwärtige englische Decken mit großen Blumen. Das Alles sticht schreiend ab gegen das, was der Bardo einst gewesen, wozu er von den üppigen Piratenfürsten angelegt worden ist.

Wir treten hinaus auf einen der Altane, unter uns liegt das Manöverfeld, auf dem die Reiterspiele veranstaltet werden, die das Auge und den Sinn des Herrschers oder seiner Gäste ergötzen. Eine freundliche Landschaft umgiebt den Bardo. Seine alten Gemäuer blicken hinab auf die nahe Manuba, wo in hübschen, aber keineswegs prachtvollen Landhäusern der Bey, seine Lieblinge und die Großen des Landes wohnen. Die Flur ist grün, mit Palmengärten, Oelhainen, Blumen- und Obstgärten geschmückt. Nur der Weinstock fehlt. Der Spiegel eines kleinen Süßwassersees senkt sich in das kesselförmige, von Hügelkränzen umgebene Land, und von Süden her kommen breitere Wege und schmale Kameelpfade über die Berge herab. Dort mündet die Wüste aus, und nach dorthin dehnt sich das unermeßliche Hinterland ohne Grenzen; dahin soll die Pforte sich öffnen, die das Wasser des Meeres über das Land ergießt und eine bequeme Straße zur Sahara schafft. Links im Osten liegt die Hauptstadt: die Kasba mit dem Beypalaste hoch oben an die Ringmauer gelehnt, von dieser sich hinabsenkend das weiße Häusergewirr von Tunis, aus dem die von offenen Säulenstellungen gebildeten Minarets emporragen. Noch weiter im Osten glänzt der Spiegel des Bahirasees. Den Hintergrund schließen die bläulichen Hochgebirge, die riesenhaft aus dem Golfe des alten Karthago sich erheben; in weitem Rund umschließen sie die bergige Landzunge, auf der die wenigen Trümmer der untergegangenen Stadt den Boden bedecken.




Blätter und Blüthen.


Der schönste Tod. Bekanntlich haben die Griechen und Römer die vom Blitze erschlagenen Menschen für die Lieblinge der Götter erklärt, und der berühmte englische Physiker Tyndall hat kürzlich in einem interessanten Vortrage nachgewiesen, daß diese Todesart mindestens völlig schmerzlos ist. Der Grund, den er dafür anführt, hört sich im ersten Augenblicke seltsam an, obwohl er offenbar durchaus richtig ist. Er sagt nämlich, zur Schmerz-Empfindung gehöre viel mehr Zeit, als zum Blitztode, der Schmerz könnte somit erst zum Bewußtsein kommen, nachdem der Mensch schon eine Weile todt ist. Bekanntlich hat zuerst Helmholtz (1856) mittelst sehr genauer Methoden und empfindlicher elektrischer Apparate, die das Messen von Tausendsteln von Secunden gestatten, nachgewiesen, daß die Fortpflanzung der Empfindung in den Nervenbahnen viel langsamer als die des Schalles in der Luft, geschweige denn des Lichtes oder der Elektricität vor sich geht. Er fand, daß eine Empfindung in den Nerven des Menschen im Mittel 180 bis 200 Fuß in der Secunde zurücklegt, sodaß ein Schmerz am Ohre merklich früher als ein solcher in der großen Zehe empfunden wird, wenn auch beide genau gleichzeitig veranlaßt wurden. Bei weniger reizbaren und namentlich bei kaltblütigen Thieren, wie z. B. beim Wal und Frosch, erfordert die Leitung die doppelte Zeit und darüber, und ebenso vergehen meßbare Zeiträume (etwa 1/10 Secunde), ehe die zum Gehirn geleitete Empfindung sich irgendwie in Muskelzusammenziehungen, das heißt in Körperbewegungen äußern kann. Eine Büchsenkugel geht in etwa 1/1000 Secunde durch den Kopf; ein Blitz braucht, um den Körper zu durchlaufen und seine vollständige Wirkung dabei auszuüben nur 1/100000 Secunde; es kann also von irgend welchem Bewußtwerden ihrer Wirkungen nicht die Rede sein. Damit stimmen auch die Aussagen solcher Personen überein, die, vom Blitze getroffen, sich wieder erholen und aus der Betäubung erwachen. Ein Soldat, Namens Hemmer, der im Jahre 1788 zu Mannheim, unter einem Baume stehend, vom Blitze getroffen worden war, wußte nur, daß er in die Höhe gesehen habe, als ihn plötzlich das Bewußtsein verließ, und ein englischer Geistlicher, Namens Bartol, erinnerte sich durchaus keines Schmerzes, den er empfunden hatte, als ihn der Blitz traf.

Je weniger diesen Personen das Schwinden des Bewußtseins mit irgend einem Schmerz verbunden erschienen war, desto lästiger fanden sie das Wiederaufleben. Der letztgenannte Geistliche empfand eine schreckliche Bedrängniß und eine entsetzliche Schwere in allen seinen Gliedern, die nur langsam wich. Professor Tyndall selbst hatte eines Tages die unfreiwillige Gelegenheit, eine Probe vom Blitzstrahl zu bekommen, als er in einer Vorlesung dem Drahte einer elektrischen Batterie von fünfzehn Leydener Flaschen zu nahe gekommen war. Sein Leben war ohne jeden Schmerz für eine Secunde ausgelöscht. In der zweiten Secunde erwachte er, bemerkte, was geschehen war, und suchte das Publicum zu beruhigen, während es ihm vorkam, als sei sein Körper in lauter Stücke gerissen. Er sagte den erschreckten Zuhörern, daß er mitunter gewünscht habe, einen solchen Zufall zu erleben, aber wahrscheinlich empfand er kein Verlangen nach einer Wiederholung. Wenn man durch eine besondere Einrichtung des Apparats im Stande wäre, den Blitztod sicher zu copiren, so dürfte dies die humanste Ausübungsform der Todesstrafe sein, die sich erdenken ließe.

Verhängnißvoller übrigens als für Herrn Thyndall ist eine solche Berührung vor wenigen Wochen für einen jungen deutschen Kaufmann in Riga geworden, der dem großen Inductionsapparate zu nahe gekommen war, welcher, durch eine Locomobile getrieben, das Haus seines Chefs, mit elektrischem Lichte erleuchtete[WS 1]. An diesem Apparate befinden sich zwei ziemlich weit von einander entfernte Klemmschrauben, die einzigen nicht mit Guttapercha überzogenen Theile der Leitung des elektrischen Stromes, deren gleichzeitige Berührung deshalb lebensgefährlich ist. Wahrscheinlich hatte der junge Mann, in dem Glauben, es werde sich blos um einen mäßigen elektrischen Schlag handeln, beide Klemmschrauben gleichzeitig berührt; er leitete dadurch den mächtigen Strom, der demjenigen einer Batterie von dreihundert Elementen entsprach, durch seinen Körper und fiel, von dem blitzartigen Schlage getroffen, todt hin, während in demselben Augenblicke die elektrische Beleuchtung im Hause und Garten erlosch: Aerztlicher Beistand fand sich sofort, aber alle Wiederbelebungsversuche waren erfolglos, und die Aerzte konnten nur den Trost geben, daß der Tod jedenfalls ein völlig schmerzloser gewesen sei.




Eingeregnet. (Mit Abbildung auf S. 501.) Warum können wir vor einem Bildchen, das ein so häufiges Reisemißgeschick im Hochgebirge darstellt, wie das Eingeregnetwerden es ist, uns des Lächelns nicht enthalten? Sind doch dazu künstlich herbeigezogene Contraste der verschiedenen Einwirkung des Unwetters auf etwaige Leidensgefährten nicht einmal nöthig! Der Herr Professor unseres Bildes könnte ganz allein unter dem Regendach des Alpenhauses stehen, und dennoch bliebe er eine komische Figur, und wäre er es nur als ein Mensch, der ausschließlich mit der offenbaren Absicht dasteht, auf das Aufhören des Regens zu warten. Die trippelnde Ungeduld einem Naturvorgange gegenüber, mit dessen Verlauf der menschliche Wille gar nichts zu thun hat, macht den Mann um so lächerlicher, je mehr sein gelehrtes Aussehen und sein Alter ihn zu ruhigem Ausharren verpflichten und auf eine weise Ausnutzung der für die Reiselust verlorenen Zeit hinweisen sollten. Dieser weisen Ausnutzung der Regenzeit huldigt das schäkernde Pärchen im Hintergrunde; die jungen Leute bieten einen erheiternden Anblick, aber komische Figuren sind sie nicht, sie tragen nur dazu bei, die nutzlose Verzweiflung des Alten noch spaßhafter erscheinen zu lassen. Gottlob ist zwischen den Quellen der Erde und des Himmels der Unterschied, daß jene immerzu, diese aber nur zeitweilig fließen und endlich doch einmal aufhören müssen. Das verspricht auch diesem Bilde ein gerechtes Ende, denn wenn wieder die Sonne zum Wandern winkt, geht in des Professors Antlitz die helle Freude auf, während die Jugend wahrscheinlich einen betrübten Abschied nimmt.




Der zweite deutsche Stenographentag tritt in der alten Kaiserstadt Frankfurt am Main in der Zeit vom 15. bis 18. August dieses Jahres zusammen. Er ist das Organ des deutschen Gabelsberger Stenographenbundes, welcher im Jahre 1868 bei der fünfundzwanzigjährigen Jubelfeier der Gabelsberger’schen Schrift – eine Erfindung deutschen Geistes, die inzwischen die meisten Völker Europas sich angeeignet haben – zu München begründet wurde. Der Bund vereinigt gegenwärtig gegen anderthalbhundert Vereine. Letztere haben in allen Provinzen des deutsche Reiches, in Oesterreich und in der Schweiz ihren Sitz und werden in den Augusttagen ihre Vertreter nach Frankfurt senden, um über die Mittel zur Weiterverbreitung der von ihnen gepflegten Kunst und über die Fortbildung der Schrift zu berathen und zu beschließen. Aber auch aus weiterer Ferne, aus Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland und Ungarn haben sich bereits Gäste angekündigt. Denn in allen diesen Ländern werden in Gabelsberger’s Schriftzügen die Verhandlungen der Parlamente aufgenommen, wie dies in der deutschen Heimath der Erfindung bei den meisten namhaften politischen Körperschaften schon längst üblich ist. Wie wäre überhaupt der ungestörte Fortgang unseres öffentlichen und literarischen Lebens denkbar, wenn wir auch nur einmal acht Tage lang die deutsche Redezeichenkunst entbehren sollten? Dem stillen Gelehrten, welchem wir diese kostbare Gabe zu danken haben, wird in seiner Vaterstadt München für seinen bevorstehenden hundertsten Geburtstag ein Standbild errichtet werden.



Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 512. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_512.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)