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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


No. 31. 1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig· – In Heften à 50 Pfennig.


Im Schillingshof.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.


Donna Mercedes wartete vergebens auf ihr Wiedererscheinen; sie hörte nur, wie sich rasche Schritte drüben immer weiter von der trennenden grünen Wand entfernten und auf den geradlinigen Weg einbogen.... Ihr war seltsam zu Muthe. Nun hatte sie der Mutter ihres Bruders Auge in Auge gegenüber gestanden – sie hatte stets bitteren Haß gegen dieses tyrannische Weib gefühlt, und seit sie das Klosterhaus gesehen, aus welchem ihres Vaters erste Frau stammte, hatte sich jener Empfindung auch der Abscheu vor gemeiner Berührung beigemischt. Diese Vorstellung war jetzt versunken vor der herrlichen, stolzen Matronenerscheinung, die sie eben gesehen. Sie begriff vollkommen, daß diese Frau die Jugendliebe Major Lucian’s gewesen; sie verstand jetzt den letzten heißen Wunsch ihres Bruders, die Mutter zu versöhnen und in ihrem Herzen Liebe für seine Waisen zu erwecken.... Mochte jene auch äußerlich unzugänglich und starr erscheinen – tief in ihrer Seele lag doch verborgene Gluth, der schlimmste Feind, mit dem sie zu kämpfen hatte, eine wahre Geißel, welche die Natur der Tochter der Wolframs mitgegeben; gerade diese Gabe hatte sie zu dem gemacht, als was sie erschien, zu der Unerbittlichen, die ihrem Herzen, als schlechtem Rathgeber, mißtraute und consequent seine Einflüsterungen verwarf.... Donna Mercedes fühlte einen geheimnißvollen Zug – in dieser Natur lag eine gewisse Verwandtschaft mit der ihrigen.... Aber – seltsames Räthsel! – dieselbe Frau, die gewaltthätig in das Schicksal der Ihren eingegriffen, die ein Zurückweichen nie gekannt, sie war eben vor einer boshaften kindischen Drohung geflohen.

Die Schritte drüben gingen auf das Hinterhaus zu und mochten wohl der Thür nahe sein, als diese aufgestoßen wurde. Eine starke, tiefe Männerstimme – dann ein kurzes, hartes Auflachen, so hämisch, so verletzend, daß es selbst die unbetheiligte Zuhörerin reizte.

Die Majorin aber schien ihre Haltung wieder gewonnen zu haben. „Bin ich Deine Gefangene, Franz?“ hörte Donna Mercedes sie fragen. „Oder wollen wir in unseren alten Tagen noch Vormund und Mündel spielen? – Lasse mich! – Darf ich nicht nach dem fremden Kinde fragen, das durch unsere Schuld krank geworden ist?“

Damit ging sie in das Haus. Die Thür wurde zugeschlagen – in Nachbars Garten regte sich nichts mehr.

Donna Mercedes verließ ihren Posten. Wie traumbefangen, von völlig neuen Gedanken und Empfindungen bestürmt, wanderte sie noch einige Male in der Allee auf und ab und schlug dann den Weg nach dem Säulenhause ein.

Es dunkelte stark. Aus den weißen Lampenkugeln der Flurhalle strömte blendendes Licht und fiel auch aus der weitoffenen Thür wie ein breiter, glänzender Teppichstreifen über die Stufen der Freitreppe draußen. – Donna Mercedes wollte eben den Fuß auf die unterste Stufe setzen, als sie durch die entgegengesetzte, gleichfalls offene Hausthür eine Dame in den Flurraum treten sah, der alsbald eine zweite folgte.

Angesichts der zuerst eintretenden Gestalt schrak sie unwillkürlich zusammen; schattenhaft lang, schmal und grau, geräuschlos wie auf nackten Sohlen und ein gespenstisch fahles Gesicht forschend nach allen Seiten hinwendend, so glitt sie herein; es war, als schwebe der Hausgeist des alten Schillingshofes Musterung haltend durch die Halle. Aber diese geisterhafte Erscheinung hatte eine sehr menschliche Stimme von nervöser Gereiztheit.

„Mein Gott, wie bettelhaft ist das Entrée!“ sagte sie in weinerlichen Tönen. „Die Thüren weit offen wie in einer Schenke, und kein Diener zu hören noch zu sehen!... Ich bitte Dich, Adelheid“ – wandte sie sich zurück nach der andern Dame, die eben mit sichtlichem Unwillen einige Strohhalme von ihrer schwarzen Schleppe schüttelte – „ziehe die Thürglocke, aber so stark Du kannst!“

Die Dame im schwarzen Kleide trat wieder hinaus in die Säulenhalle und that wie ihr geheißen – die Glocke gab keinen Laut von sich.

Die Dame in Schwarz bog in den nach Süden laufenden Corridor ein. „Robert, wo stecken Sie?“ rief sie mit gebieterischer Stimme in das Souterrain hinab.

Die vollklingenden Laute schienen eine wahrhaft elektrisirende Kraft zu haben. Polternde Füße stürzten die Souterraintreppe herauf, und der Bediente Robert, hinter sich den Gärtner, den Hausknecht und den Stallburschen, erschien athemlos in der Flurhalle.

„Verzeihung, gnädiges Fräulein,“ stammelte er; „ich war nur für einen Augenblick in die Küche gegangen, um einen Schluck Wasser zu trinken.“

Er schritt vor und verbeugte sich tief vor der grauen Tante, die unbeweglich inmitten der Flurhalle stehen geblieben war. „Gnädige Frau Baronin kommen völlig unerwartet; wir – “

Sie unterbrach ihn mit einer ungeduldigen Handbewegung. „In welchem verwahrlosten Zustande finde ich mein Haus!“ sagte sie, in ihre vorhin so aufgeregte Stimme nunmehr die Kälte der Gebieterin legend. „Ist der Schillingshof ein Gasthaus, daß die Thürflügel angelweit offen stehen? – Die Thürglocke ist

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 513. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_513.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)