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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

haben und daß man nachher Seeschaum und Schiffstrümmer meilenweit von der Küste trifft. Der Ursprung dieser zuweilen in wenigen Stunden Tausende von Menschenleben und Millionen von Besitzthümern vernichtenden Wirbelstürme ist vor wenigen Jahren (1872) von dem Professor Reye in Straßburg auf so geringfügige Ursachen zurückgeführt worden, daß wir dieselben als bestes Beispiel der im Vorhergegangenen oft betonten Unberechenbarkeit des Wetters hier etwas näher betrachten müssen.

Reye erkannte als die Grundursache einen schwankenden, weil falschen Gleichgewichtszustand der Atmosphäre, wie er bei ruhiger, heiterer Luft leicht dadurch entsteht, daß die an der Erdoberfläche erwärmte und mit Feuchtigkeit gesättigte Luft, wenn die Temperaturabnahme nach oben nur etwa einen drittel Grad auf hundert Meter beträgt, nicht mehr aufsteigt, vielmehr sich, von der kälteren Luft der oberen Regionen zusammengedrückt und dadurch schwerer gemacht, unter ihr in großen Massen ansammelt.

In der Region der Windstillen, aus denen die Wirbelstürme meist ihren Ursprung nehmen, werden, eben wegen der geringen Luftbewegung, besonders häufig ungeheuere Massen wärmerer, feuchter Luft unter der kühleren und trockeneren Oberschicht in einem solchen schwankenden Gleichgewichtszustande erhalten. Nehmen wir nun an, ein Vogel steige dort senkrecht in die Höhe, oder ein Feuer werde auf dem Felde angezündet; an der betreffenden Stelle findet die unten in der Ausdehnung vieler Meilen angesammelte feuchtwarme Luft einen Ausweg; von dem auf ihr lastenden Drucke befreit, steigt sie, sich immerwährend ausdehnend, wie in einem Schlote mit zunehmender Geschwindigkeit aufwärts. Oben seitlich abfließend, zieht sie von unten her an der ihres Ueberdruckes entlasteten Stelle andere feuchte Luftmassen nach sich, und der Zug durch diesen unsichtbaren Schornstein, dessen Wandung aus Luft besteht, wird mit jedem Augenblicke heftiger. Nach der Luftverdünnung, die sich am Fuße desselben bildet, strömen von allen Seiten die benachbarten, ebenfalls zum beschleunigten Aufsteigen befähigten Massen herbei und werden, noch ehe sie die windstill bleibende Mitte erreicht haben, nach oben gerissen. In Folge der Erddrehung wird die unten herbeigezogene Luft, statt gerade und radial nach dem luftverdünnten Centrum hinzuströmen, genöthigt, in Spiralwindungen um dasselbe zu kreisen. Ist das luftverdünnte Centrum nördlich vom Aequator gelegen, so müssen die herbei gesogenen nördlichen Luftströmungen, welche aus Gegenden geringerer Umdrehungsgeschwindigkeit kommen, hinter dem rascher bewegten Centrum zurückbleiben, die südlichen dagegen ihm vorauseilen, und so wird hier ein Wirbel entstehen müssen, der wie die Zeiger einer auf dem Glasbauch liegenden Taschenuhr herumgeht. Auf der südlichen Halbkugel entstandene Wirbelstürme drehen sich aus derselben Ursache wie die Zeiger einer auf dem Rücken liegenden Taschenuhr. Die Geschwindigkeit der Luftströmung wird dabei nach mechanischen Gesetzen beständig beschleunigt, je näher der Wind dem Centrum kommt. Wenn man bedenkt, daß die von größeren Wirbelstürmen herbeigesogene Luft oft hundert Meilen weit herkommt, so kann man sich erklären, wie die anfangs vielleicht nur mit einer Geschwindigkeit von fünf Metern in der Secunde begabte Luft gegen das Centrum eine größere Geschwindigkeit als selbst die Geschosse unserer Riesenkanonen erreicht. Das erklärt die furchtbare Wirkung der Wirbelstürme und ebenso die Abnahme der Wirkung, wenn der Cirkel sich in Folge der Verminderung der saugenden Kraft allmählich erweitert. Diese Wirbel bewegen sich nun, nach einem Gesetze, welches Helmholtz in neuester Zeit festgestellt hat, welches aber hier nicht näher aus einander gesetzt werden kann, unter dem Einflusse der herrschenden Passatwinde in einer fast parabolischen Bahn von Amerika nach Europa. Zwischen dem zehnten und zwanzigsten Grad nördlicher Breite entstehend, nähern sie sich in der Richtung der Antillen der Halbinsel Florida und entfernen sich, ihren Umfang immer mehr erweiternd, fast in der Richtung des Golfstromes von Amerika, woher die Schiffersage entstanden ist, daß sie auf dem Golfstrome gleichsam reiten sollen.

Die Geschwindigkeit ihrer Fortbewegung beträgt in der Nähe der Antillen vier bis fünf geographische Meilen in der Stunde, auf dem nordatlantischen Meere sechs bis acht Meilen, sodaß sie im Mittel zehn bis zwölf Tage brauchen, um von ihrer Ursprungsstätte aus unsere Küsten zu erreichen. Obwohl ihre Wuth sich unterwegs bedeutend abgekühlt hat, richten sie doch noch an unsern Küsten manchmal viel Unheil an, und die telegraphische Meldung dieser unliebsamen Gäste vermag uns daher großen Vortheil zu bringen. Ein Beispiel einer derartigen Anmeldung – welches aber nicht gehörig beachtet wurde – legte H. Parry am 1. Februar 1875 der Pariser Akademie der Wissenschaften vor. Er hatte am 13. Januar in französischen Zeitungen auf Grund von Telegrammen, die er von Boston und Saint Pierre Miquelon empfangen hatte, darauf aufmerksam gemacht, daß ein dort beobachteter Cyklon die Richtung nach Europa eingeschlagen und am 10. auf Neufundland gewüthet habe. Er hatte hinzugefügt, daß dieser Wirbelsturm, wie gewöhnlich, der Richtung des Golfstromes folge und in vier bis fünf Tagen in Irland zu erwarten sein dürfte. Er kam in der That mit der größten Pünktlichkeit am 15. Januar in Irland angerast, befand sich am 17. in Dänemark und setzte, beträchtlichen Schaden anrichtend, seinen Weg bis nach Asien fort, wie es schien auf dem besten Wege, eine Reise um die Welt zu machen. Dieses Beispiel zeigt, wie sehr es sich empfiehlt, solchen Sturmwarnungen eine größere Aufmerksamkeit zuzuwenden, als es bisher geschehen ist.

Diese Wirbelstürme haben übrigens in ihrer Entstehung eine große Aehnlichkeit mit unseren Sommergewittern, denen ein ähnlicher Zustand des falschen Gleichgewichtes in der Atmosphäre vorausgeht, welche wir als sogenannte „Schwüle“ empfinden, bis mit einem Wirbelsturme in der Höhe und unter Blitz, Donner und Regen oder Hagel die Ausgleichung erfolgt. Daher können solche kleinere Wirbelstürme auch unter Umständen nicht blos vorausgesagt werden, sondern Jemand, der mit diesen Verhältnissen des durch ungemeine Schwüle sich ankündigenden gestörten Gleichgewichts näher bekannt ist, kann gleich einer mittelalterlichen Blocksberghexe und sicherer als ein afrikanischer Regenzauberer Unwetter und Sturm erzeugen. Reye giebt davon in seinem obengenannten Werke mehrere Beispiele, von denen wir eines der lehrreichsten mittheilen wollen. Der Capitain Alexander Mackay war während der regenlosen Monate April, Mai, Juni im Jahre 1845 bei einer Vermessung der atlantischen Küste in Florida beschäftigt, und er wußte aus den Untersuchungen des amerikanischen Meteorologen Espy, daß man in dieser Zeit leicht durch größere Feuer Sturm und Regen herbeiführen könne. Da sich nun in dieser Gegend viele ausgetrocknete Schilfweiher befanden, die der Vermessung ohnehin sehr hinderlich waren und unter dem frischen Schilf eine zwei bis drei Fuß hohe Schicht trockenen und sehr entzündlichen Schilfes enthielten, beschloß er, gelegentlich ein derartiges Experiment zur allgemeinen Erquickung anzustellen.

Als eines Tages die ganze Expedition sich in Klagen über die außerordentliche Schwüle und Hitze erging, feuerte der Capitain die Neger durch das Versprechen eines reichlichen Regenschauers und einer frischen Brise an, die Vermessung weiter zu führen. „Sie starrten empor, und rings herum – keine Wolke so breit wie eines Mannes Hand war zu sehen. Und sie blickten wieder mit gutmüthigem, ungläubigem Grinsen auf den Capitain

‚Hoho! Hehe! Capitain Wolken machen aus nichts! Hihi! – Bringen Capitain Wasser all diesen Weg von der See? Hoho! Hihi!‘

Der Capitain that über diese Zweifel sehr ungehalten, und die trockene Schilflage des Weihers wurde angezündet. Die Flammen erhoben sich sofort bis über die höchsten Bäume, eine dichte Rauchsäule stieg spiralförmig gewunden empor, und als die Rauchsäule verging und eine Wolke sich zu bilden begann, zog der Capitain einen weiten Kreis rings um sich im Sande und stellte sich in die Mitte, phantastische Figuren machend und aus gebrochenem Französisch kabbalistische Formen drechselnd. Noch blieb die Wolke unbemerkt; aller Augen waren auf den Capitain gerichtet, welcher dastand, auf die Erde starrend und dort Teufelsfratzen zeichnend. Da auf einmal ein Rollen fernen Donners; jeder Blick wandte sich augenblicklich nach oben: eine Wolke breitete sich dort aus. Der Donner nahm zu, die Blitze leuchteten lebhafter, die Kniee der Neger schlugen vor Angst zusammen; schon fiel der Regen, und in Strömen, obgleich nach allen Seiten der reine Himmel unter der Wolke sichtbar war. Der Capitain behauptete mittlerweile seine mystische Haltung und setzte seine wilden, seltsamen Evolutionen fort. Einige in den Schwank eingeweihte Weiße fielen auf die Kniee, und ihnen folgten die Neger, deren Furcht mit dem Sturme zunahm. Mit gefalteten Händen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 537. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_537.jpg&oldid=- (Version vom 15.3.2021)