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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

auf seine trefflichen Eisenquellen, warmen Bäder, Kaltwasser-, Fluß-, Fichtennadelbäder nur begreiflich erscheint. Die gesunde Waldluft des 300 Meter hoch liegenden Ortes wirkt nicht wenig zu den vorzügliche Erfolgen der Cur.

Das Edelfrauengrab ist ein Wasserfall, den der Gottschlägbach in einer schaurig wilden Schlucht bildet. Man besucht dieselbe von der badischen Eisenbahnstation Achern aus, von welcher meist der Ausflug nach dem erst kürzlich in der „Gartenlaube“ (Jahrg. 1879, Nr. 8) dem Leser vorgeführten Allerheiligen angetreten wird. Viele Wanderer vereinigen beide Ausflüge. Man pflegt bis Ottenhöfen zu fahren, beginnt dann eine lange, aber genußreiche Fußwanderung und erreicht nach dreiviertel Stunden den Schluß des unteren Bachthales. Dort braust der Bach gewaltig tobend durch die enge und hohe Schlucht, Wasserfälle ganz in der Art der berühmten bei Allerheiligen bildend. Schmale Stege führen an dem Fall hinauf zu einer Höhle, welche einst das Wasser ausgewaschen hat. An diese Höhle und deren Benennung knüpft sich eine Sage, die wir dem Meyer’schen „Wegweiser durch Schwarzwald, Odenwald, Bergstraße und Heidelberg“ – einem, nebenbei gesagt, sehr empfehlenswerten Reisebuche[WS 1] – nacherzählen: „Eine Frau von Bosenstein, ob ihrer Hartherzigkeit von einer dem Hungertod nahen Armen verflucht, gebar in Abwesenheit ihres Gatten sieben Knaben auf einmal. Entsetzt über solchen Segen des Himmels, gab sie einer vertrauten Magd den Auftrag, sechs der Kinder im Teich zu ertränken. Diese, im Begriff den Mord zu vollziehen, wird durch den von der Jagd zurückkehrenden Vater überrascht und befragt, was sie zu thun im Begriff sei.

‚Junge Hunde ersäufen,’ entgegnet verwirrt die Dirne.

Der Ritter aber entdeckt das beabsichtigte Verbrechen, droht der Magd mit dem qualvollsten Tod, wenn sie ihrer Herrin eine Silbe verrathe, nimmt die Kinder und läßt sie heimlich erziehen. Als sie erwachsen sind, nimmt er sie mit auf die Burg und bei fröhlichem Banket fragt er, welche Strafe eine Mutter verdiene, die ihre Kinder ermorden lasse.

‚Lebendig eingemauert muß solch ein Weib werden,’ ruft vorschnell die unnatürliche Mutter.

,So ist’s Dein eigenes Todesurtheil!’ entgegnet der Graf, indem er ihr die sechs ermordet geglaubten Jünglinge vorstellt.

In dieser Höhle nun soll das Urtheil vollzogen worden sein; die Nachkommen Jener sollen aber noch unter dem Namen ‚Hund’ im Kappeler Thal leben.“

Die Sage ist vermuthlich späte Erfindung durch Mißverständniß, denn eigentlich heißt der Ort „der Edelfrauengraben“, auch dürfte hier eine Version der Melusinensage vorliegen. Wenn man die schmalen Stiegen hinaufklimmt, gelangt man zu einem Pavillon, wo sich eine großartige Gebirgsaussicht auf wildverwitterte Felsenkämme zeigt. Ein sehr guter Fußweg führt von da in einer Stunde nach Allerheiligen.

Der Triberger (oder auch: Tryberger) Wasserfall, zu dem wir uns jetzt wenden, ist der „Löwe des Gebirges“, und seit der Eröffnung der sogenannten „Schwarzwaldbahn“ von Offenburg nach Villingen hat der Besuch dieser Sehenswürdigkeit so ungemein zugenommen, daß zeitweise die ganze Gegend, besonders der Ort Triberg von Reisenden überfüllt ist. Die Triberg-Fahrer kommen gewöhnlich von Offenburg mit der genannten Bahn, welche der Semmeringbahn an Kühnheit und Großartigkeit wenig und an Höhe nur um 140 Meter nachsteht, durch das unterste Stück des herrlichen Kinzigthals bis Hausach herauf, ein Stück, das trotz hoher Bergeinrahmungen äußerst lieblich ist. Bei Hausach wendet sich die Bahn südlich in’s Gutachthal. Die Landschaft, zuerst noch anmuthig, nimmt in diesem Thal allmählich einen immer ernsteren, bedeutenderen Charakter an. Bis Hornberg nennen die Leute es noch das „Himmelreich“; hat man dieses sehr malerisch gelegene und eine treffliche Sommerfrische gewährende Städtchen und das Thalthor passirt, welches einst durch ein noch in seinen Trümmern drohend vom Felskegel herabschauendes Schloß vertheidigt wurde, so beginnt die sogenannte „Hölle“, der enge und schroffe Theil, zahlreiche Schluchten und Felsenwände aufweisend, bis nahe bei Triberg der Thalwinkel wieder einen sanfteren Charakter gewinnt. Triberg hat angeblich seinen Namen von drei Bergen, die hier mit drei Thälern zusammentreffen. Der Ort sieht ganz modern aus, seit er nach dem vernichtende Brande von 1826 wieder aufgebaut ist, und erscheint wie ein Muster bürgerlicher Behaglichkeit und einfacher Wohlhäbigkeit.

Der Wasserfall wird mit Recht als ein, wenn auch kleineres, Pendant zum Schweizer Gießbach bezeichnet, weil er, wie jener, besonders durch seine malerische Schönheit, die Gruppirung von Wald auf Felsenterrassen, über welche er fällt, sich auszeichnet; er ist wohl, wenn man von den Alpengegenden absieht, der schönste Wasserfall Deutschlands. Wie der Gießbach, wird er seit Jahren oft bengalisch beleuchtet, und es läßt sich nicht bestreiten, daß der Eindruck in stiller, lauer Sommernacht ein märchenhafter, zauberischer ist, wenn ringsum Alles in Thaldunkel und Waldesschatten liegt, nur oben die Sterne funkeln, und dann allmählich Stämme und Kronen der Bäume, das Gestein, und das schäumende Gewässer in wundersamer, geheimnißvoller Weise aufglühen. Ein bequemer Fußweg führt an den Fällen hinauf und bietet reizvolle Blicke auf das Thal von Triberg. Erwähnt ist das Gutachthal, Hornberg und Triberg auch in Nr. 11 der „Gartenlaube“ von 1869[WS 2], und Nr. 22 giebt eine Wanderung von da über St. Georgenwald hinaus nach Rottweil. Wir halten uns deshalb nicht weiter dabei auf, sondern versetzen uns in den südlichen Schwarzwald, um den Feldberg zu ersteigen.

Man besucht den Feldberg meist von Freiburg aus, der Perle des Breisgaues mit dem wundervollen Münster, welche ein früherer Jahrgang der „Gartenlaube“ (1875, Nr. 42) bereits geschildert hat. Von da aus nehmen wir den Weg wieder durch ein Höllenthal, auf der großen Straße nach Donaueschingen, welche hier gelegt wurde, um Marie Antoinette nach Frankreich zu führen; im October 1796 machte auf dieser Straße Moreau seinen berühmten Rückzug; späterhin wesentlich nachgebessert, war sie für den Verkehr aus Süddeutschland nach dem Breisgau und Elsaß hochwichtig. Geredet ist von diesem Wege schon in Nr. 10 der „Gartenlaube“ 1868. Von dem Wirthshause zum „Stern“, dessen Laube ein hübsches Bildchen von Pixis in jener Nummer darstellt, erreicht man mit der Post oder fußwandernd bald den Titisee, an welchem wiederum ein seit etlichen Jahren als Sommerfrische sehr beliebtes Wirthshaus steht. Von diesem berühmtesten See des Schwarzwaldes wandern wir über Bärenthal im Quellthale der Wutach aufwärts zu dem von unserm Künstler dargestellten Feldsee. Nur 14 Morgen umfassend, in 1113 Meter Meereshöhe gelegen, ist derselbe wegen seiner Scenerie der großartigste des Schwarzwaldes. Ernst und düster sind die tannenbewachsenen, moosbedeckten Felsgesenke des Nordufers, dem der Quellbach der Wutach entrauscht, nackt aber, und ein imposantes Amphitheater bildend, starren die wilden Felsmassen hunderte von Metern am Südufer empor, und über ihnen wölben sich die Kuppen des Feldbergkammes, der sich noch an 400 Meter über den Spiegel des Sees erhebt. Hier ist Alles öde und einsam; nur daß etwa ein Raubvogel kreischt, oder eine der schmackhaften Schwarzforellen über die Wasserfläche sich emporschnellt.

Ein ziemlich steiler, aber ganz gangbarer Zickzackweg führt durch üppigen, labenden Wald zu einem Gasthof auf der Hochfläche empor, dem „Feldbergerhof“, von wo man bis zur höchsten Kuppe noch eine Stunde behaglichen Spazierengehens hat. Auf dem Wege blickt man in die Schlucht des Sees hinab; die Scenerie erinnert lebhaft an den Kamm des Riesengebirges bei den Teichrändern oder Schneegruben. Auf der Platte des Aussichtsthurmes angelangt, überblickt man nach allen Richtungen ein wogendes Meer von Gipfeln. Von seinen meist mit Wald bestandenen Seiten sendet der Feldberg fast regelrecht vier Arme nach den vier Weltgegenden aus, welche dann in zahllosen Aesten und Verzweigungen das große und umfangreiche Schwarzwaldgebirge bilden. Besonders hervor treten die schönsten Aussichtspunkte: Belchen, Blauen, Schauinsland, Höhenschwand. Außer dem Gebirge überblickt man die lachende Rheinebene, aus welcher sich der malerische dreigipflige Kaiserstuhl erhebt, dahinter läuft in langen Zügen, parallel dem Schwarzwalde, der vielkuppige Wasgenwald (oder die Vogesen), südöstlich der Jura, der zu dem ungeheuren Panorama der Schweizeralpen, der österreichischen und baierischen Alpen überleitet. In einer Ausdehnung von etwa 52 Meilen strahlt dieser Alpenwall im Glanze seiner Gletscherkronen – wahrlich ein Panorama, das eine Reise verlohnt! Die Wanderung vom „Stern“ der Hölle bis zum Feldberggipfel erfordert fünf Stunden und ist, wenn man sich Zeit gönnt, nicht eben beschwerlich.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Berichtigung
  2. Vorlage: Nr. 21
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 556. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_556.jpg&oldid=- (Version vom 26.2.2020)