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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

durch die ausgezeichnete Lage am schiffbaren Sarno, zum Hauptstapelplatz für den lebhaften Getreide- und Oelhandel der ganzen Gegend wurde, und daß also Pompeji wegen dieser Spedition, griechisch πόμπη (Sendung), von den Griechen seinen Namen erhielt. Uebrigens wird der Name auch aus dem Oskischen – von Pumpago – abgeleitet.

Ueber die ältere und spätere Geschichte Pompejis bietet sich uns eine reiche Literatur dar, denn wir können sowohl aus den alten römischen Historikern wie auch aus zahlreichen, zum Theil ausgezeichneten Werken und Aufsätzen moderner Gelehrter und Schriftsteller, z. B. Winckelmann, Mommsen, Mazois, Ternite, Gervinus, Breton, Welcker, O. Müller, Dr. J. Overbeck, Garucci, Fiorelli, Katte, E. Preshun und Anderer schöpfen. Die römischen Historiker berichten, daß die Gründer der Stadt, die Samniten, in langen Kämpfen sich tapfer gegen den Ansturm der Römer behaupteten, bis 290 v. Chr. Samnium nebst Campanien unter das Römerjoch gebeugt wurde.

Pompeji war dann Provinzstadt mit Municipalverfassung (aber ohne Stimmrecht in den römischen Comitien) und hob sich in jeder Hinsicht, denn seine Blüthe überdauerte auch den von Sulla, 82 v. Chr., grausam niedergeworfenen Aufstand der Pompejaner, weil seine vorzügliche Handelslage und bedeutende Industriethätigkeit einestheils und der Zuzug reicher Ansiedler, die wegen der herrlichen Luft und klimatischen Vorzüge herbeikamen, anderntheils den Aufschwung bedeutend förderten. Für Rom wurde Pompeji ein Eldorado, zuletzt eines der berühmtesten Luxusbäder, in welchem z. B. Cicero, die Kaiser Augustus und Claudius schöne Villen besaßen. Augustus liebte es besonders, und deshalb ließ er dort eine nach ihm benannte nördliche Vorstadt, Pagus Augustus felix, erbauen. Es war ein Sitz des Reichtums, des Wohllebens, eine Heimath der Künste und des Handels zugleich, gerade weil es bei seiner Kleinheit (Overbeck schätzt die höchste Einwohnerzahl auf nur 12,000 bis 18,000) politische Bedeutung nicht besaß und nicht darnach strebte. Die Bewohnerschaft war dagegen eifrigst dem Erwerb, dem Handel, aber auch der Kunst und dem Vergnügen ergeben. Prachtvolle öffentliche Gebäude, reizende Privathäuser, reich ausgeschmückte Bäder, in denen sich Kostbarkeiten der feinsten Art aufhäuften, zierten die Stadt, Malereien und Sculpturen von bedeutenden Künstlern das Innere und Aeußere der Häuser.

So war denn die beglückte freudenreiche Stadt auf dem Gipfelpunkte der Entwickelung angelangt, als plötzlich im Jahre 63 n. Chr. am 5. Februar ein furchtbares Erdbeben den Boden erschütterte und die schreckensbleichen Bewohner durch einander jagte. Man hatte den alten rebenumkränzten Vesuv, der allerdings über tausend Jahre lang sich ruhig und friedlich verhalten hatte, stets mit den sorglosesten Blicken betrachtet und sicher angenommen, daß die ausgebrannte vulcanische Kraft in Ewigkeit erloschen sei. Grausamer Irrthum! Ein großer Theil Pompejis wurde durch Einsturz der Häuser zerstört. Wie viele unersetzliche Denkmäler griechischer Kunst, römischer Prachtliebe und altoskischer Architektur mögen damals verloren gegangen sein! Das damalige Bedenken des römischen Senats, den Wiederaufbau der Stadt an derselben Stelle zu gestatten (vgl. Winckelmann: „Nachrichten“ 7 und „Geschichte der Kunst“ VII, 3), erscheint sehr begründet, aber die Liebe für den heimathlichen Boden überwand alle Vorsicht und Befürchtungen. Die Stadt wurde in dem specifisch römischen Baustile der Zeit Nero’s wieder erbaut, gewährte also nunmehr ein vollständiges Bild einer echten römischen Municipalstadt. Schöner und schöner entfaltete sich die neue Stadt im nächsten Jahrzehnt und war schon nach sechszehn Jahren der Vollendung nahe, allein die Unterirdischen „haßten das Gebild der Menschenhand“ und das entsetzlichste Naturereigniß jener Zeit (zur Zeit des Kaisers Titus), ein furchtbarer Ausbruch des Vesuvs, vernichtete in ebenso viel Stunden, wie der Ausbau Jahre beansprucht hatte, das herrliche Pompeji für immer.

Am 24. August des Jahres 79 n. Chr. (nach Anderen schon am 23.) gegen ein Uhr Nachmittags, als gerade eine festlich begeisterte Menge die großen Räume des Amphitheaters füllte, verwandelte sich plötzlich der hellste Tag in dunkelste Nacht, das Fest in Jammer und Noth, die Lust in Schrecken und Verzweiflung, während unaufhörliche Blitze, riesengroße Feuersäulen, Asche, Felsstücke, Rauchwolken – kurz, ein Chaos des Entsetzens, die von Todesangst Ergriffenen umgab.

In dem bekannten Briefe von Plinius dem Jüngeren wird das für Jahrtausende unvergeßliche Schauerdrama am anschaulichsten in allen seinen Scenen geschildert und auch der Tod des älteren Plinius erzählt (Plinius, Epistolae VI, 16, 20). Dunkle, nur von den flammenden Blitzen durchleuchtete Nacht hüllte die ganze Gegend ein, über welche unaufhaltsam das Verderben sich wälzte, und als nach drei ewig langen Tagen und Nächten die Aschen- und Rauchwolken wieder den Sonnenstrahlen den Durchblick gestatteten, war das schon früher zerstörte Stabiae in seinen Ueberresten, waren die blühenden Städte Herculanum und Pompeji nebst Oplontis und Teglana vom Erdboden verschwunden, versenkt in ihr dunkles Lavagrab für mehr als anderthalb Jahrtausende.

Die Begrabenen verfielen im Laufe der Zeit vollständig der Vergessenheit, als wären sie nie dagewesen; nur der Name „civita“ (Stadt) wurde noch von Landleuten, die ja stets an alten Traditionen am treuesten festhalten, dem Orte der Verschüttung beigelegt, und selbst als der Architekt Fontana im Jahre 1592 bei Anlegung eines unterirdischen Canals mitten durch das frühere Pompeji auf Mauertrümmer mit Inschriften stieß, blieb Letzteres unbeachtet, bis endlich im Jahre 1748 (unter der Regierung Karl’s von Bourbon, des spätern Königs Karl’s des Dritten von Spanien) einige Winzer beim Umgraben von Weinbergen die ersten glücklichen Wiederfinder Pompejis und seiner höchst kostbaren Schätze wurden. Der Geniecorps-Officier Don Rocco Alcubierre durfte darauf die Ausgrabungen beginnen und Pompeji vollständiger entdecken. Weit eifriger betrieb man später, zur Zeit Murat’s, die wichtige Ausgrabung der Stadt, die so oft längeren Unterbrechungen ausgesetzt war, aber die systematische Fortführung des Werkes blieb bis in die neueste Zeit verschoben, und erst durch den genialen Director Fiorelli wurde zum Ruhme der Italia unita die Ausgrabung so gründlich gefördert, daß bis jetzt schon mehr als der dritte Theil Pompejis offen zu Tage liegt.

Die Ausgrabungsarbeit hat sich mit Grund hauptsächlich auf Pompeji concentrirt, weil diese Stadt höher gelegen, das heißt auf einer uralten, aus Lava gebildeten Anhöhe erbaut war, sodaß nur eine fünf bis sechs Meter tiefe Verschüttungsmasse wegzuräumen ist, und auch, weil die Ueberdeckung größtentheils nur aus schwarzer Vulcanasche, mit Bimsteinbrocken vermengt, besteht. So ist denn die Ausgrabung sehr erleichtert, lohnender und kann im größten Umfang ausgedehnt werden, während Herculanum viel tiefer, etwa dreißig Meter tief, unter vulcanischer Auswurfsmasse, verglaster Lava und sonstigem schwer zu durchbrechendem Material begraben liegt. Außerdem müßten die direct über Herculanum aufgebauten Städte Portici und Resina dem Auferständniß der todten Stadt geopfert werden. So muß wohl das alte Herculanum mit seinen vielleicht unschätzbaren Kunst- und Wissenschaftsalterthümern für die Ewigkeit da unten liegen.

Heute ist das Studium der pompejanischen Ausgrabungen Allen recht bequem gemacht. Der Tourist fährt vom Centralbahnhofe in Neapel ab nach Nocera (hart am Golfe geht diese Eisenbahnlinie entlang), weidet seine Blicke an dem reizenden Landschaftsbilde und erreicht schon in einer Stunde das kleine Bahnhofsgebäude mit der Aufschrift „POMPEI“. Nun wird er sich vermuthlich erst in einem der Hôtels auf dem grünüberwachsenen Wall vor der Stadt erholen und dann seine Wanderung in den Ruinen beginnen, nachdem er das Eintrittsgeld (zwei Franken) erlegt hat.

Er tritt durch das Herculanerthor von Westen her in Pompeji ein und ist gleich im Anfange nicht wenig darüber erstaunt, daß diese welterobernden alten Römer in so kleinen, niedrigen und niedlichen Häusern, worin Alles so eng zusammengekästelt, so beschränkt und unbequem gewesen sein muß, wirklich gewohnt haben.

Man sieht freilich von den schönen alten Tempeln und größeren Häusern nur noch die Mauern, die massiven Erdgeschosse, denn die Dachstühle und oberen Stockwerke (meist aus Fichtenholz) wurden ja durch die feurigen Massen verbrannt und zerstört. Auch sind alle transportablen Monumente, namentlich die metallenen und steinernen Geräthe, Sculpturen, Decorationen, ferner die Wandgemälde, Mosaiken etc., um sie vor neuen Zerstörungen der Elemente zu sichern, nach Neapel in das „Museo nazionale“ (früher Borbonico) hinweggetragen worden. So sehr aber auch dieser Ausschmuck vermißt wird, so ergreift doch jeden Beschauer, der für welthistorische Tragik Sinn und Empfänglichkeit besitzt, ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 571. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_571.jpg&oldid=- (Version vom 29.7.2020)