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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

und Tagelöhner kamen aus dem Hinterhofe herbeigestürzt, die Mägde aber verriegelten die Thür der Küche und verkrochen sich – sie glaubten nicht anders, als die aufgeregte Menge wolle den Herrn Rath massacriren.

Man klopfte nicht, sondern schlug unter Fluchen und Drohungen mit derber Faust an die Thür der Amtsstube, als der fahrlässige Grubenbesitzer nicht sofort erschien. Da flog drinnen der Riegel zurück, und der Rath trat auf die Steinstufe heraus, ganz fahl im Gesichte vor Schreck und Bestürzung.

Zwanzig Kehlen zugleich schrieen ihm die Unglücksbotschaft zu. Dem sonst so kalten und ruhigen Manne wankten sichtlich die Kniee; er griff schweigend nach seinem Hute und schritt sofort durch die Leute, die sich ihm anschlossen, ohne daß er Kraft und Geistesgegenwart gefunden hätte, ihre lärmende Begleitung mit strengen Worten zurückzuweisen. Seine Knechte und Taglöhner und die beherzte Stallmagd liefen auch mit.

Von diesem Auftritt in der Hausflur hatte Mosje Veit keine Ahnung. Von dem Birnbaum herabgeklettert, war er nach der immer noch offenstehenden Gartenthür in der Mauer gelaufen und hatte sie zugeschlagen und verschlossen. Nun war die Tante gezwungen, in der Küchenschürze, ohne Hut und Shawl über die Promenade zu gehen, wenn sie auf das Klostergut zurückkehren wollte – es geschah ihr ganz recht; warum war sie fortgelaufen zu den fremden Leuten, die er und der Papa nicht ausstehen konnten.

Er hatte auch versucht, die bleichende Leinwand, die nicht gestohlen war, wie er gelogen, von den Pflöcken zu nehmen und sie zusammengerollt im Gebüsch zu verstecken; das gab einen heillosen Schrecken und Aerger für die Tante Therese, aber für seine Hände waren die starken flachshaltigen Weben doch zu schwer – den Spaß mußte er sich vergehen lassen. Er biß dafür die im Grase liegenden Frühbirnen eine um die andere an und warf sie wieder hin; schließlich griff er zu seinem an der Mauer lehnenden Blasrohr, um nach den Spatzen zu schießen.

Aber man kam ja gar nicht, um ihn zu suchen, wie das jeden Mittag geschah, wenn gegessen werden sollte, und es mußte doch längst Tischzeit sein. Er lief durch den Hof und guckte in die Ställe und in die Gesindestube. Die Thüren standen offen; das Vieh brummte und blökte, aber keine Menschenseele war zu sehen, und auf dem weißgescheuerten Tisch in der Gesindestube lag weder das große Hausbrod noch dampfte die mächtige Eßschüssel, die stets pünktlich, auf den Glockenschlag, gebracht wurde.

Auch die Küche war leer. Aus der Bratröhre quoll heißer Dampf, und auf dem Herde kochte der Suppentopf über – das brodelte, zischte und schäumte, und Veit schob kichernd vor innerer Wonne ein dürres Holzstück um das andere in das Feuer; es sollte brennen, brennen, bis kein Tropfen Suppe mehr im Topfe und der Braten in der Röhre zu Pulver verbrannt war. Die „dummen“ Mägde benutzten zu frech die Gelegenheit, wo die Tante für den Moment nicht zu Hause war, und standen irgendwo und klatschten. Und richtig, als er in die Hausflur zurückkehrte, da sah er sie drüben am offenen Mauerpförtchen in lebhaften Verhandlungen stehen.

Das sollte aber auch gleich auf der Stelle der Papa erfahren; er sollte sie beim Klatschen und Faullenzen erwischen.

Veit klopfte an die Thür der Amtsstube; denn in der letzten Zeit hatte sie der Rath stets verschlossen gehalten, auch wenn er im Zimmer war – er behauptete, man laufe ihm neuerdings zu direct und ungenirt in seine Arbeitsstube und störe ihn um jeder Lappalie willen.

Aber das Klopfen wurde nicht beachtet; und so versuchte Veit mit der Thürschnalle zu rasseln – knarrend fiel die Thür zurück; sie war nicht verschlossen gewesen, und der Papa mußte fortgegangen sein – das Zimmer war leer.

Für Mosje Veit war das eine kostbare Entdeckung. Er kramte für sein Leben gern in der Amtsstube, in den alten Scharteken, die sich auf den unteren Brettern der Bücherrepositorien hinreihten, und von denen viele alte Holzschnitte enthielten. Er trat auch oft auf die Gallerie und predigte über das Geländer herab in plärrendem Kanzelton, als sei die Amtsstube von einem andächtigen Auditorium erfüllt. Manchmal war es ihm auch geglückt, den Wandschrank auf der Gallerie zu öffnen und die alten zinnernen Orgelpfeifen, die pausbäckigen Holzengel an das Tageslicht zu schleppen.

Er lief spornstreichs die wenigen Stufen hinauf – plötzlich blieb er stehen; seine intelligenten Augen funkelten, wie die eines Fuchses, dem eine willkommene Beute zuläuft – da war ja wieder einmal dem Heiligen auf der Holzwand der Arm ausgerissen. Der Spalt, der so unbarmherzig das segnend ausgestreckte Glied von dem Rumpfe schnitt, erwies sich zwar diesmal kaum halb so breit und gähnend wie neulich, aber er war doch sichtbar und lief in scharfer Linie durch die Holzschnitzerei bis hinunter auf die Dielen, wie eine Thürluke.

(Fortsetzung folgt.)
Pompeji, die Lavastadt.
Zum achtzehnhundertsten Gedenktage ihres Untergangs (24. August).
II.

Das antike Hauptforum Pompejis war ursprünglich, ähnlich unseren Marktplätzen des Mittelalters, Mittelpunkt der Stadt, wo das Rathhaus nebst den Gerichtsämtern und städtischen Verwaltungsgebäuden stand, die Märkte und der Handelsverkehr sich concentrirten. Später aber wurde es nur für die öffentlichen Angelegenheiten reservirt und dem Handelsverkehr entzogen.

Es muß einst einen ungemein schönen Gesammtanblick dargeboten haben, indem daselbst ein Triumphbogen als Haupteingang, ein prächtiger Jupiter-Tempel, eine Basilika (Gerichtsgebäude mit den drei Tribunalien), das bilderreiche Pantheon mit den Wechslerbuden, der Sitzungssaal der Decurionen, das Eumachia-Gebäude oder die Börse, ein Venus-Tempel (früher dem Bacchus gewidmet), in welchem der gesetzliche Aichungsblock oder das Normalmaß der Pompejaner sich befindet, nebst anderen Häusern zusammen ein harmonisches, an architektonischer Schönheit reiches Ganzes bildeten. In dem ebenfalls sehenswerten Zollhaus hat man einige Gewichte, eine Normalwage und zwei menschliche Skelete auf Pferdegerippen, denen Glocken um den Hals hingen, bei der Ausgrabung aufgefunden.

Aelter als das Hauptforum ist das Forum triangulare, das noch aus der Zeit der pompejanischen oder campanischen Unabhängigkeit stammt und das man als die Burg oder Akropolis der Stadt betrachten kann. Nicht nur der Ausschmuck desselben mit schönen Propyläen, sondern auch die herrliche Fernsicht, die man von dort herab genießt, haben diesen Platz wohl zu einem Lieblingsort der alten Pompejaner gemacht. Auch steht auf ihm Pompejis ältestes Bauwerk, ein griechischer Tempel.

Unter den sonstigen Tempelbauten interessiren am meisten der Tempel der Fortuna, der des Quirinus, und auch der Isis-Tempel, der sich von allen am besten erhielt. Man fand darin Opferüberreste (Brod, Wein, Hühnerfüße, Fischgräten) und das Skelet eines Opferpriesters, welcher mit dem Opfermesser in der Hand, also gerade bei seiner heiligsten Handlung, vom Aschentode ereilt worden ist.

Ganz besondere Anziehungskraft bewähren auch die drei ausgegrabenen Theater, von denen das eine, etwa 70 Ellen breit und tief, ungefähr 5000 Zuschauer faßte und noch den Platz für die Bühne, das Orchester und die Rangclassen der Zuschauerplätze erkennen läßt. Das kleinere Odeum genannt, hatte wohl nur für 1600 Menschen Raum und diente hauptsächlich für musikalische Aufführungen. – Das großartige Amphitheater am Ostende der Stadt gehört zu den schönsten und besterhaltenen Baudenkmälern des classischen Alterthums überhaupt. Dort ergötzten die grausamsten Schaustücke: Gladiatorenkämpfe, blutige Thierhetzen und andere hochbeliebte Spielarten unmenschlicher Barbarei den feinsten und niedrigsten Pöbel der Stadt und Umgegend. Die räumliche Ausdehnung des Bauwerks ist höchst bedeutend; sie umfaßt 30 Sitzreihen, die von der Arena treppenförmig aufsteigen und wohl an 20,000 Zuschauer fassen konnten.

Sehr luxuriös war sicherlich die Einrichtung der Bäder der Stadt, wohl meist Thermen, von denen 1824 ein sehr gut erhaltenes, mit Malereien und Stuckarbeiten reich verziertes öffentliches Badehaus ausgegraben wurde, das so wundervolle

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 582. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_582.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)