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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

die Vorgeschichte des Schwanenritters noch ganz im Bereiche des Märchenhaften. Es klingt in dieselbe hinein nicht sowohl die Mär von den Schwanenjungfrauen, als vielmehr jenes wunderliche Märchen von den sieben Brüdern und der treuen Schwester, das durch den Pinsel Moritz von Schwind’s eine neue künstlerische Verklärung gefunden hat. Im zweiten Theile, der eigentlichen Schwanenrittersage, steigt die Erzählung aus dem romantischen Dämmer zur Helle des geschichtlichen Tages; sie führt den sächsischen Kaiser Otto den Ersten in die Scene und bezeichnet weiter als die Enkel des Schwanenritters Gottfried von Bouillon und Balduin, den ersten König von Jerusalem.

Der Minnesänger Conrad von Würzburg rückt in seinem uns nur fragmentarisch überlieferten Schwanenritter die geschichtliche Basis noch weiter zurück – in die Zeiten Karl’s des Großen. Hier ist es Beatrix, die schöne Tochter Gottfried’s von Brabant und Erbin von Cleve, deren Herz und Land der Schwanenritter wider deren ländersüchtigen Schwager, den Sachsenherzog, gewinnt. Da sind wir also wieder auf Cleve’schem Boden. Eine ältere belgisch-französische Tradition macht den Schwanenritter von Cleve zu einem Krieger Julius Cäsar’s, und weitere Forschungen führen ihn zurück bis auf Ulysses, der, nach einer Stelle im Tacitus, auf seinen Irrfahrten auch rheinaufwärts gefahren ist.

Eine eigenartige Entwickelung erhielt die Sage vom Schwanenritter dadurch, daß die mittelalterliche Kunstdichtung sie mit der Gral- und Artussage in Verbindung brachte. An die Stelle des heidnischen Mythus mit seiner grandiosen Phantastik des Märchens, mit seinem sinnlichen Zauber, tritt hier die weihrauchduftende, sinnbethörende Mystik des Christenthums, wie sie sich in jener wunderbaren, ursprünglich maurischen Legende von dem heiligen Gefäße, in welches das zur Erlösung der Welt geflossene Blut des Heilands aufgefangen war, und im König Artus und seiner Tafelrunde ausspricht, die das heilige Kleinod in einem besondern mit Gold, Marmor und Edelstein verschwenderisch ausgestatteten Tempel im fernen Lande India hüten. Der rettende Ritter des Schwans ist jetzt ein Abgesandter des Grals, Lohengrin, der Sohn des Tempelritters Parcival. Der Schwan, der ihn führt, erscheint nicht mehr unter der Metamorphose eines Menschen, sondern unter der eines Engels, als Bote des Himmels. So führt ihn zuerst Wolfram von Eschenbach am Schlusse seiner großen Graldichtung „Parcival“ in Scene. Es herrschte im Lande Brabant, heißt es dort, eine Frau von würdereichem Leben, großem Reichthum und hohem Stande. Viele Fürsten warben um ihre Hand, aber ihr demüthig keuscher Sinn widerstand all ihrem Werben; nur der sollte ihr Genosse sein, der ihr gesandt werde von Gottes Hand. Da erscheint der von den Grafen des Landes hart Bedrängten der ersehnte Bräutigam des Himmels auf einem von einem Schwan gezogenen Schifflein. Dann folgen Verlöbniß und Hochzeit, das Verbot der Frage und dessen verhängnißvoller Bruch.

Im jüngeren Titurel (1270), einer Nachbildung des Fragment gebliebenen älteren Titurels von Wolfram von Eschenbach, nimmt die Geschichte Lohengrin’s eine von der herkömmlichen total verschiedene Entwickelung, welche dadurch von Wichtigkeit ist, daß Richard Wagner sie theilweise als Leitmotiv in seinem „Lohengrin“ verwandte. Hier wird die Gattin Lohengrin’s, Belaye de Lizeborge, weniger von den Qualen der Neugier, die Abkunft des Gemahls zu erfahren, als von der Furcht vor dessen Unbeständigkeit gepeinigt. Da erhält sie von einer Zofe den Rath, sich ein Stück vom Leibe Lohengrin’s zu verschaffen und dasselbe heimlich zu verzehren. Dies Mittel wirke ein unzertrennliches Band der Liebe zwischen ihr und ihm. Zu diesem Ende dringen die Verwandten der Frau Nachts in Lohengrin’s Schlafgemach; dieser erwacht, sieht traum- und schlaftrunken die bloßen Schwerter, wittert Verrath, holt aus zum Kampf und fällt durch das Schwert der eigenen Freunde. Seine Gattin tödtet der Gram.

Zwanzig Jahre später erschien ein selbstständiges größeres Gedicht, das den Namen unseres Sagenhelden Lohengrin an der Spitze trägt. Der Anordnung des Gedichtes nach trägt Wolfram von Eschenbach auf den Wunsch des Landgrafen Hermann von Thüringen vor versammeltem Hofe die Märe vor, wie Lohengrin vom König Artus gesandt war gen Brabant. Gleichwohl ist Wolfram von Eschenbach nicht der Verfasser des Gedichts, vielmehr ist derselbe bis zum heutigen Tage unbekannt geblieben. Die Sage ist hier, soweit sie sich nicht im Wundergebiet des Grals bewegt, auch mehr auf den Boden des Geschichtlichen fixirt und rein menschlicher Empfindung nahe gerückt.

Der Inhalt ist im Wesentlichen derselbe wie der des allbekannten Libretto’s von Richard Wagner’s Oper „Lohengrin“, und darf daher ein näheres Eingehen auf denselben dem Leser hier wohl erspart bleiben. Nur einer Personen-Veränderung müssen wir besonders gedenken. Nach der Sage ladet das Brautpaar Lohengrin und Elsa den Kaiser, die Kaiserin und alle Fürsten zur Hochzeit nach Brabant. Unter letzteren befindet sich ein Graf von Cleve, den beim Turnier Lohengrin in den Sand streckt, wobei dem Besiegten der Arm zerschmettert wird. Da ersteht in der Gattin des Grafen von Cleve die Rächerin an Lohengrin, indem sie Elsa aufreizt, nach ihres Gemahls geheimnißvoller Abkunft zu fragen. Diese in der Sage episodische Figur der Frau von Cleve wächst in der Oper „Lohengrin“ zu der dämonischen Ortrud empor, welche das dramatische Gegenspiel wider Lohengrin und Elsa mit wahrhaft furchtbarer Energie vollzieht. Sie hat den Bruder Elsa’s in einen Schwan verzaubert und dadurch den Verdacht erregt, daß Elsa ihn gemordet habe. Telramund, ihr Gatte, zeiht diese vor dem Kaiser ausdrücklich des Mordes, er wird von Lohengrin im Kampfe besiegt, aber begnadigt. (In der Sage läßt der Kaiser dem Besiegten den Kopf abschlagen.) Dafür klagt er ihn offen der Zauberei an, an die er selbst auch glaubt. Die zauberkundige Ortrud weiß, daß, wenn ihm ein Stück seines Leibes, auch nur das kleinste Glied, entrissen wird (Motiv aus dem jüngeren Titurel), sein Zauber gebrochen ist. Telramund beschließt, ihm ein solches Stück gewaltsam zu entreißen, und kommt dabei um. Der Rangstreit zwischen Elsa und Ortrud beim Kirchgange weist zurück auf die gleiche Scene zwischen Brunhild und Chrimhild in den Nibelungen. Lohengrin darf seinen Namen nicht nennen, weil seine heilige Kraft als Gralritter nur so lange wirkt, wie er unerkannt bleibt, doch bringt ein brünstiges Gebet ihm seine Kraft noch so weit wieder, daß er vor seiner Heimkehr Elsa’s Bruder entzaubert.

Der Born sagenhafter Romantik im Schloß zu Cleve ist mit der Schwanenrittersage noch nicht ausgeschöpft. Auch die Sage von der weißen Frau hat dort einen ihrer vielverzweigten Wohnsitze eingenommen. Sie steht mit der Schwansage in innerer Verbindung. In die Farbe des Schwans gekleidet, wohnt der weißen Frau, gleich den Walküren, die Gabe der Weissagung bei, und sie ist gleich den Schwanenjungfrauen und dem das Schiff geleitenden Schwane die Botin zum höhern ewigen Leben. Nach einer Deutung ist auch die weiße Frau Niemand anders als die schöne Beatrix von Cleve, die Gattin des Schwanenritters Helias, welche aus Reue über ihre unselige Frage und zur Sühne des gebrochenen Gelübdes ruhelos fortlebt und als Schutzgeist ihres Hauses im Schloßthurme zu Cleve von Zeit zu Zeit erscheint, um bedeutungsvolle Wendungen in der Geschichte ihres Geschlechts voraus zu verkünden. Von da ging sie mit dem Heimfall des Geschlechts im Wege Erbgangs an das Haus Brandenburg auch dahin mit über.

In Beziehung zur Schwansage steht auch der Cleve’sche Schwanenorden, der als Ordenswappen einen sitzenden Schwan mit goldener Kette führte.

Endlich schlingt auch noch eine andere Sage ihr frisches Blätterwerk in die trockenen Lettern der Chronik des Hauses Cleve. Es ist die durch Gottfried Kinkel in so anmuthiger Weise poetisch wiedergeborene Aventiure von Otto dem Schützen. Der junge Graf Otto, erzählt der Chronist, Sohn des Landgrafen Heinrich von Hessen, sollte nach dem gewöhnlichen Loose der nachgeborenen Söhne in den geistlichen Stand treten. Sein Sinn aber steht auf männliche Thaten und Abenteuer; er kauft sich statt der Bücher Schwert und Armbrust und zieht statt auf die hohe Schule nach Paris unerkannt als schlichter Schütze an den Hof des Grafen Adolph des Fünften von Cleve. Dort gewinnt er sich durch sein ritterliches Wesen, seinen Muth und seine Gewandtheit das laute Lob des Grafen und die stille Gunst von dessen Tochter, der schönen Beatrix. Da erscheint nach sieben Jahren ein hessischer Ritter, Heinrich von Homberg, am Hofe, der alsbald den jungen Prinzen erkennt, von diesem aber um Beibehaltung seines Incognitos gebeten wird, denselben aber doch durch sein Benehmen dem Grafen Adolph verräth. Da nun inzwischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 588. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_588.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)